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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Ich weiß es wohl, daß ihr neben dem Nationalgott auch die Freiheitsgöttin
mit gleichem Enthusiasmus verehrt; aber ihr müht euch auf eurem Staudpunkte
vergebens ab, eine vernünftige Einheit in diese Doppelreligion zu bringen. Dem
Nationalgotte glaubt ihr zunächst mit frommer Hingebung dienen zu müssen; wenn
ihr aber wieder deu Cultus der Freiheit begeht, dann scheint die demokratische
Göttin euch wegen der Besonderheit des Nationalcnltns zu zürnen, sie scheint so¬
gar zu verlangen, daß ihr die heiligen Penaten des Volks als Götzen in die
Flamme ihres Altars werft. Ihr wißt noch nicht diese heilige Zwei auf vernünf¬
tige Weise zu vereinen; ihr bringt höchstens eine widerspruchsvolle Einheit, ein
Doppelwesen, eine Sphinx zu Stande, die euch dann mit ihren Räthseln martert.
Ich sah es euch an, welcher Kampf von wechselnde" Gefühlen euch bestürmte, als
ihr neben dem Manne, unter dessen eiserner Faust ihr geseufzt habt, den Gegenkönig
Kossuth's, das Schwert Kroatiens als Verbündeten erblicktet! Jenerzog als Feldmar¬
schall im Namen der beleidigten Majestät gegen Wien, um dort so gut wie in Prag,
die Ruthen und Beile des Lictors, die Insignien der Gewalt, den aufgeregten Massen
zu zeigen; dieser als ein ritterlich kühner Stammesfürst im Namen seines schwer
gekränkten Volkes, um die Rache gegen das Deutschthum zu vollführen, und den
Sängern seines Vaterlandes neuen Stoff für schwuugreiche Lieder zu liefern. Je¬
ner ging nur der Demokratie in allen ihren Proteusgestalten mit seinen Kanonen
an den Leib, sie mochte nun in einem Swornostcvstum, oder in einem Heckerhnt
mit deutschem Schwert und rother Schleife erscheinen, -- und darum hatte er
auch in Prag keine nationale Schilderhebung, sondern eine "weitverzweigte Ver¬
schwörung" mederbvmbardirt: dieser zog unmittelbar gegen das Deutschthum zu
Felde, welches früher mit absolutistischer, nun mit ochlvkratischer Willkür die na¬
tionale Existenz des Slaventhums bedrohte. Und nun waren beide, der slavische
Heros, die Hoffnung und Zuversicht der stop-iiiskä lip-l und der kaiserliche Ge¬
neral, der gesendet war, eine jede nationale Romantik mit Feuer und Schwert
zur politischen Prosa zu bekehren, zu einer und derselben That vereint! Mit
widerstrebender Lippe küßtet ihr die Ruthe, die gegen euch gebraucht wurde, blos
deshalb, weil das czechenfcindliche Wien damit gezüchtigt werden sollte! Ich be¬
wunderte euch damals, als ich sah, welche Opfer ihr eurem Gotte zu bringen
vermöget. Diese Selbstverleugnung, diese fabelhafte Ascetik hätte ich euch bei
eurer Jugend nicht zugetraut.

Aber der Preis, den ihr erwartet, wird euch nicht zu Theil werden; denn
religiöse Opfer werden ohnehin in dieser Welt niemals belohnt. Ihr täuscht euch,
wenn ihr glaubt, daß den romantischen Hoffnungen von Agram und Prag nichts
mehr im Wege steht, wenn die Romantik von Wien und Pesth vollends zu Grabe
getragen ist. Das Glas, durch welches ihr in die Welt hinansblickt, hat noch
immer keinen rechten Schliff; ihr sehet noch an alleu Gegenständen, selbst an den
Fittigen des östreichischen Adlers die trügerischen blauweißrothen Ränder. Die


Ich weiß es wohl, daß ihr neben dem Nationalgott auch die Freiheitsgöttin
mit gleichem Enthusiasmus verehrt; aber ihr müht euch auf eurem Staudpunkte
vergebens ab, eine vernünftige Einheit in diese Doppelreligion zu bringen. Dem
Nationalgotte glaubt ihr zunächst mit frommer Hingebung dienen zu müssen; wenn
ihr aber wieder deu Cultus der Freiheit begeht, dann scheint die demokratische
Göttin euch wegen der Besonderheit des Nationalcnltns zu zürnen, sie scheint so¬
gar zu verlangen, daß ihr die heiligen Penaten des Volks als Götzen in die
Flamme ihres Altars werft. Ihr wißt noch nicht diese heilige Zwei auf vernünf¬
tige Weise zu vereinen; ihr bringt höchstens eine widerspruchsvolle Einheit, ein
Doppelwesen, eine Sphinx zu Stande, die euch dann mit ihren Räthseln martert.
Ich sah es euch an, welcher Kampf von wechselnde» Gefühlen euch bestürmte, als
ihr neben dem Manne, unter dessen eiserner Faust ihr geseufzt habt, den Gegenkönig
Kossuth's, das Schwert Kroatiens als Verbündeten erblicktet! Jenerzog als Feldmar¬
schall im Namen der beleidigten Majestät gegen Wien, um dort so gut wie in Prag,
die Ruthen und Beile des Lictors, die Insignien der Gewalt, den aufgeregten Massen
zu zeigen; dieser als ein ritterlich kühner Stammesfürst im Namen seines schwer
gekränkten Volkes, um die Rache gegen das Deutschthum zu vollführen, und den
Sängern seines Vaterlandes neuen Stoff für schwuugreiche Lieder zu liefern. Je¬
ner ging nur der Demokratie in allen ihren Proteusgestalten mit seinen Kanonen
an den Leib, sie mochte nun in einem Swornostcvstum, oder in einem Heckerhnt
mit deutschem Schwert und rother Schleife erscheinen, — und darum hatte er
auch in Prag keine nationale Schilderhebung, sondern eine „weitverzweigte Ver¬
schwörung" mederbvmbardirt: dieser zog unmittelbar gegen das Deutschthum zu
Felde, welches früher mit absolutistischer, nun mit ochlvkratischer Willkür die na¬
tionale Existenz des Slaventhums bedrohte. Und nun waren beide, der slavische
Heros, die Hoffnung und Zuversicht der stop-iiiskä lip-l und der kaiserliche Ge¬
neral, der gesendet war, eine jede nationale Romantik mit Feuer und Schwert
zur politischen Prosa zu bekehren, zu einer und derselben That vereint! Mit
widerstrebender Lippe küßtet ihr die Ruthe, die gegen euch gebraucht wurde, blos
deshalb, weil das czechenfcindliche Wien damit gezüchtigt werden sollte! Ich be¬
wunderte euch damals, als ich sah, welche Opfer ihr eurem Gotte zu bringen
vermöget. Diese Selbstverleugnung, diese fabelhafte Ascetik hätte ich euch bei
eurer Jugend nicht zugetraut.

Aber der Preis, den ihr erwartet, wird euch nicht zu Theil werden; denn
religiöse Opfer werden ohnehin in dieser Welt niemals belohnt. Ihr täuscht euch,
wenn ihr glaubt, daß den romantischen Hoffnungen von Agram und Prag nichts
mehr im Wege steht, wenn die Romantik von Wien und Pesth vollends zu Grabe
getragen ist. Das Glas, durch welches ihr in die Welt hinansblickt, hat noch
immer keinen rechten Schliff; ihr sehet noch an alleu Gegenständen, selbst an den
Fittigen des östreichischen Adlers die trügerischen blauweißrothen Ränder. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/45>, abgerufen am 23.12.2024.