Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.er keinen Augenblick zu verlassen wagt, ans Furcht, ein Dintenfaß oder sonst et¬ Der Alterspräsident, Canonicus Lensing -- "5 Jahr und 2 Monate alt er keinen Augenblick zu verlassen wagt, ans Furcht, ein Dintenfaß oder sonst et¬ Der Alterspräsident, Canonicus Lensing — «5 Jahr und 2 Monate alt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278430"/> <p xml:id="ID_2572" prev="#ID_2571"> er keinen Augenblick zu verlassen wagt, ans Furcht, ein Dintenfaß oder sonst et¬<lb/> was umzuwerfen, und wie er seine Verlegenheit durch ein stereotypes wohlwollend<lb/> blasses Lächeln zu übertünchen strebt. Der Mann ist einem Sturm nicht gewachsen!<lb/> Ich sah ihn einmal beim Nachhausegehn in jenem Defilv; er stand wahrscheinlich<lb/> um Jemand zu erwarten, in derselben ängstlich verrenkten Haltung, wie er am<lb/> Ministertisch saß, und schien froh, daß ihn Niemand anfiel. Lesen Sie die Worte,<lb/> mit denen er die Kündigung des dänischen Waffenstillstandes anzeigte. Hätten Ar n im<lb/> oder Vincke sich ganz auf dieselbe Art ausgedrückt, sie hätten die Versammlung<lb/> elektrisirt. So aber kamen jene kriegerischen Anzeigen mit einer Blödigkeit und<lb/> Schüchternheit heraus, daß man jeden Augenblick fürchten mußte, der Redner<lb/> werde anfangen zu weinen. — Wenn v. d. Heydt durch sein Auftreten im ver¬<lb/> einigten Landtag sich einen gewissen Ruf erworben hat, so kann das nur in dem<lb/> Inhalt dessen, was er sagte, gelegen haben, durch seine Persönlichkeit hat er ge¬<lb/> wiß nicht imponirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2573" next="#ID_2574"> Der Alterspräsident, Canonicus Lensing — «5 Jahr und 2 Monate alt<lb/> — gehörte in der Constituante zur rechten Seite. Er eröffnete die Versammlung<lb/> ziemlich ungeschickt mit einer Rede, in der er die Meinung aussprach, das gesammte<lb/> Land habe die octroyirte Verfassung mit Jubel begrüßt, was einen wahren Sturm<lb/> von Seiten der Linken hervorrief. Er ist der Sprache nicht mächtig; das Prä¬<lb/> sidium hat er mit möglichster Haltung geführt, was ihm übrigens die Versamm¬<lb/> lung sehr erleichterte. Ich muß beiläufig bemerken, daß mit Ausnahme einiger<lb/> Rothen in der ganzen Versammlung die gute und feste Absicht vorwaltet, auch<lb/> das Unangenehme mit Anstand zu betreiben. Wenn ein tüchtiger Mann, wie<lb/> Grabow Präsident wird, der auch dnrch seine politischen Ansichten keine Seite<lb/> verletzt, so kann man von der neuen Legislative das Beste hoffen. Lensing wurde<lb/> einmal in große Verlegenheit gesetzt. In dem von der Rechten proponirten und spä¬<lb/> ter auch en bloc angenommenen Geschäftsreglement war die Bestimmung enthalten,<lb/> daß auch während des Provisoriums die Versammlung jeden Augenblick das Recht<lb/> haben sollte, an Stelle des Alterspräsidenten einen provisorischen Präsidenten zu<lb/> erwählen. Die Linke focht diese Bestimmung an, und Geheünrath Riedel verthei¬<lb/> digte sie, indem er das Institut des Alterspräsidenten als das verwerflichste schilderte,<lb/> was jemals erfunden sei, da das Alter stumpf mache und unfähig, eine große<lb/> Versammlung zu leiten, und das Provisorium eines Alterspräsidenten als ein<lb/> Sodom und Gomorrha. Alle Welt war außer Fassung: so war noch nie über<lb/> einen Parteigenossen gesprochen worden. Darauf setzte denn Riedel mit seiner<lb/> gewöhnlichen, gemessenen und etwas koketten Langsamkeit hinzu: „freilich haben<lb/> wir jetzt zufällig das Glück, einen höchst würdigen Mann" u. s. w. Bei diesen<lb/> Worten, denen die Rechte lebhaften Beifall spendete, schnitt Vincke eines von<lb/> jenen Gesichtern, die ihn unsterblich machen würden im Gedächtniß der Menschen,<lb/> auch wenn er nie ein Wort gesprochen hätte. Ungeschickt blieb die Wendung im»</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0442]
er keinen Augenblick zu verlassen wagt, ans Furcht, ein Dintenfaß oder sonst et¬
was umzuwerfen, und wie er seine Verlegenheit durch ein stereotypes wohlwollend
blasses Lächeln zu übertünchen strebt. Der Mann ist einem Sturm nicht gewachsen!
Ich sah ihn einmal beim Nachhausegehn in jenem Defilv; er stand wahrscheinlich
um Jemand zu erwarten, in derselben ängstlich verrenkten Haltung, wie er am
Ministertisch saß, und schien froh, daß ihn Niemand anfiel. Lesen Sie die Worte,
mit denen er die Kündigung des dänischen Waffenstillstandes anzeigte. Hätten Ar n im
oder Vincke sich ganz auf dieselbe Art ausgedrückt, sie hätten die Versammlung
elektrisirt. So aber kamen jene kriegerischen Anzeigen mit einer Blödigkeit und
Schüchternheit heraus, daß man jeden Augenblick fürchten mußte, der Redner
werde anfangen zu weinen. — Wenn v. d. Heydt durch sein Auftreten im ver¬
einigten Landtag sich einen gewissen Ruf erworben hat, so kann das nur in dem
Inhalt dessen, was er sagte, gelegen haben, durch seine Persönlichkeit hat er ge¬
wiß nicht imponirt.
Der Alterspräsident, Canonicus Lensing — «5 Jahr und 2 Monate alt
— gehörte in der Constituante zur rechten Seite. Er eröffnete die Versammlung
ziemlich ungeschickt mit einer Rede, in der er die Meinung aussprach, das gesammte
Land habe die octroyirte Verfassung mit Jubel begrüßt, was einen wahren Sturm
von Seiten der Linken hervorrief. Er ist der Sprache nicht mächtig; das Prä¬
sidium hat er mit möglichster Haltung geführt, was ihm übrigens die Versamm¬
lung sehr erleichterte. Ich muß beiläufig bemerken, daß mit Ausnahme einiger
Rothen in der ganzen Versammlung die gute und feste Absicht vorwaltet, auch
das Unangenehme mit Anstand zu betreiben. Wenn ein tüchtiger Mann, wie
Grabow Präsident wird, der auch dnrch seine politischen Ansichten keine Seite
verletzt, so kann man von der neuen Legislative das Beste hoffen. Lensing wurde
einmal in große Verlegenheit gesetzt. In dem von der Rechten proponirten und spä¬
ter auch en bloc angenommenen Geschäftsreglement war die Bestimmung enthalten,
daß auch während des Provisoriums die Versammlung jeden Augenblick das Recht
haben sollte, an Stelle des Alterspräsidenten einen provisorischen Präsidenten zu
erwählen. Die Linke focht diese Bestimmung an, und Geheünrath Riedel verthei¬
digte sie, indem er das Institut des Alterspräsidenten als das verwerflichste schilderte,
was jemals erfunden sei, da das Alter stumpf mache und unfähig, eine große
Versammlung zu leiten, und das Provisorium eines Alterspräsidenten als ein
Sodom und Gomorrha. Alle Welt war außer Fassung: so war noch nie über
einen Parteigenossen gesprochen worden. Darauf setzte denn Riedel mit seiner
gewöhnlichen, gemessenen und etwas koketten Langsamkeit hinzu: „freilich haben
wir jetzt zufällig das Glück, einen höchst würdigen Mann" u. s. w. Bei diesen
Worten, denen die Rechte lebhaften Beifall spendete, schnitt Vincke eines von
jenen Gesichtern, die ihn unsterblich machen würden im Gedächtniß der Menschen,
auch wenn er nie ein Wort gesprochen hätte. Ungeschickt blieb die Wendung im»
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