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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Bodelschwingl), der fünfte" Harkort und der Landrath Kleist-Retzow.
Auf den Bänken des rechten Centrums -- wenn dieser Name im Voraus gebraucht
werden darf, habe ich von bekannten Männern nur Auerswald und den Finanz¬
rath Camp hau sei, bemerkt. Ganz an der Wand sammelt sich die bis jetzt nur
kleine Fraction Jenen ermann, welche eine Vermittelung mit der Linken anstrebt,
und der letztern möglicherweise die Majorität verschaffen wird.

Bevor ich die allgemeine Haltung der Kammern schildere, will ich einige
Daguerotypen bekannter Persönlichkeiten geben. Zuerst die beiden Minister, welche
zugleich Kammermitglieder sind: Manteuffel und v. d. Heydt.

Manteuffel, Minister des Innern sieht aus wie ein alter verkümmerter
Bureaukrat; er hat nichts frei Aristokratisches in seinem Wesen. Alle seine Be¬
wegungen sind eckig und unbeholfen; wenn ihn Jemand grüßt, bückt er sich sehr
tief, aber steif wie eine Gliederpuppe; es ist in seinem Körperbau wie in seiner
Haltung keine einzige Wellenlinie. Sein Gesicht ist blaß, gelblich, sein Auge sieht
selbst durch die Brille mißtraurisch und grämlich nach allen Seiten hin. Er sitzt
finster und in möglichst engen Formen zusammengekauert an seinem Pult; scheu,
als ob jeden Augenblick ein unvorhergesehener Angriff erfolgen könnte. Seine Züge
sind unbeweglich, einen einzigen Augenblick machte er einen schwachen Versuch zum
Lächeln, aber das Lächeln erfror auf seiner dünnen Lippe. Zweimal sah er sich
veranlaßt, ans einen improvisirten Ausfall der Radicalen zu antwortender erhob
sich langsam, gekrümmt, unter beständigem Händereiben; seine Stimme knarrte wie
ein schlecht gearbeiteter Nußknacker, er sprach langsam und mit Mühe, aber was
er sagte, war ebenso verständig als sachgemäß. Das Portrait ist nicht geschmei¬
chelt, ich muß aber noch eines hinzusetzen. Manteuffel macht den Eindruck, als
ob er in Verhandlungen wie im geselligen Verkehr so unbequem als möglich wäre,
ein Mann, bei dem man nur mit Mühe etwas erreichen, aber auf den man sich
verlassen könne. Man wundert sich, einen solchen Mann an der Spitze einer Ne¬
gierung zu sehen, die sich durch einen großen, kühnen Entschluß constituirt hat;
daß er Ausdauer besitzt, steht man ihm wohl an. Warten wir ab, wie er den
Angriffen, die wahrscheinlich ans die gehässigste Weise über ihn einstürmen werden,
begegnen wird. Vielleicht trägt das Bewußtsein, auf seiue gegenwärtigen Bun¬
desgenossen nicht sicher rechnen zu können, zu seiner eigenthümlichen Haltung bei.
Wenigstens rief nur ein kleiner Theil der Rechten, als Bücher sich an sie wandte:
"Ich weiß nicht, meine Herrn, ob Sie das gegenwärtige Ministerium zu stützen
gedenken," ein vernehmliches Ja! Der größere Theil blieb still, und replicirte
auch auf das lebhafte Zischen nicht, das gleich darauf von der gestimmten Linken
erscholl.

v. d. Heydt, der Handelsminister ist eine große, starke Figur mit gesundem,
gutmüthigem Gesicht, dünnen, blonden Haaren und bürgerlichem Anstrich. Mau
bedauert den Mann, wie er dasitzt in einer möglichst gezwungenen Haltung, die


"rin,bot"n. l. is<". 55

Bodelschwingl), der fünfte» Harkort und der Landrath Kleist-Retzow.
Auf den Bänken des rechten Centrums — wenn dieser Name im Voraus gebraucht
werden darf, habe ich von bekannten Männern nur Auerswald und den Finanz¬
rath Camp hau sei, bemerkt. Ganz an der Wand sammelt sich die bis jetzt nur
kleine Fraction Jenen ermann, welche eine Vermittelung mit der Linken anstrebt,
und der letztern möglicherweise die Majorität verschaffen wird.

Bevor ich die allgemeine Haltung der Kammern schildere, will ich einige
Daguerotypen bekannter Persönlichkeiten geben. Zuerst die beiden Minister, welche
zugleich Kammermitglieder sind: Manteuffel und v. d. Heydt.

Manteuffel, Minister des Innern sieht aus wie ein alter verkümmerter
Bureaukrat; er hat nichts frei Aristokratisches in seinem Wesen. Alle seine Be¬
wegungen sind eckig und unbeholfen; wenn ihn Jemand grüßt, bückt er sich sehr
tief, aber steif wie eine Gliederpuppe; es ist in seinem Körperbau wie in seiner
Haltung keine einzige Wellenlinie. Sein Gesicht ist blaß, gelblich, sein Auge sieht
selbst durch die Brille mißtraurisch und grämlich nach allen Seiten hin. Er sitzt
finster und in möglichst engen Formen zusammengekauert an seinem Pult; scheu,
als ob jeden Augenblick ein unvorhergesehener Angriff erfolgen könnte. Seine Züge
sind unbeweglich, einen einzigen Augenblick machte er einen schwachen Versuch zum
Lächeln, aber das Lächeln erfror auf seiner dünnen Lippe. Zweimal sah er sich
veranlaßt, ans einen improvisirten Ausfall der Radicalen zu antwortender erhob
sich langsam, gekrümmt, unter beständigem Händereiben; seine Stimme knarrte wie
ein schlecht gearbeiteter Nußknacker, er sprach langsam und mit Mühe, aber was
er sagte, war ebenso verständig als sachgemäß. Das Portrait ist nicht geschmei¬
chelt, ich muß aber noch eines hinzusetzen. Manteuffel macht den Eindruck, als
ob er in Verhandlungen wie im geselligen Verkehr so unbequem als möglich wäre,
ein Mann, bei dem man nur mit Mühe etwas erreichen, aber auf den man sich
verlassen könne. Man wundert sich, einen solchen Mann an der Spitze einer Ne¬
gierung zu sehen, die sich durch einen großen, kühnen Entschluß constituirt hat;
daß er Ausdauer besitzt, steht man ihm wohl an. Warten wir ab, wie er den
Angriffen, die wahrscheinlich ans die gehässigste Weise über ihn einstürmen werden,
begegnen wird. Vielleicht trägt das Bewußtsein, auf seiue gegenwärtigen Bun¬
desgenossen nicht sicher rechnen zu können, zu seiner eigenthümlichen Haltung bei.
Wenigstens rief nur ein kleiner Theil der Rechten, als Bücher sich an sie wandte:
»Ich weiß nicht, meine Herrn, ob Sie das gegenwärtige Ministerium zu stützen
gedenken," ein vernehmliches Ja! Der größere Theil blieb still, und replicirte
auch auf das lebhafte Zischen nicht, das gleich darauf von der gestimmten Linken
erscholl.

v. d. Heydt, der Handelsminister ist eine große, starke Figur mit gesundem,
gutmüthigem Gesicht, dünnen, blonden Haaren und bürgerlichem Anstrich. Mau
bedauert den Mann, wie er dasitzt in einer möglichst gezwungenen Haltung, die


«rin,bot«n. l. is<». 55
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[0441] Bodelschwingl), der fünfte» Harkort und der Landrath Kleist-Retzow. Auf den Bänken des rechten Centrums — wenn dieser Name im Voraus gebraucht werden darf, habe ich von bekannten Männern nur Auerswald und den Finanz¬ rath Camp hau sei, bemerkt. Ganz an der Wand sammelt sich die bis jetzt nur kleine Fraction Jenen ermann, welche eine Vermittelung mit der Linken anstrebt, und der letztern möglicherweise die Majorität verschaffen wird. Bevor ich die allgemeine Haltung der Kammern schildere, will ich einige Daguerotypen bekannter Persönlichkeiten geben. Zuerst die beiden Minister, welche zugleich Kammermitglieder sind: Manteuffel und v. d. Heydt. Manteuffel, Minister des Innern sieht aus wie ein alter verkümmerter Bureaukrat; er hat nichts frei Aristokratisches in seinem Wesen. Alle seine Be¬ wegungen sind eckig und unbeholfen; wenn ihn Jemand grüßt, bückt er sich sehr tief, aber steif wie eine Gliederpuppe; es ist in seinem Körperbau wie in seiner Haltung keine einzige Wellenlinie. Sein Gesicht ist blaß, gelblich, sein Auge sieht selbst durch die Brille mißtraurisch und grämlich nach allen Seiten hin. Er sitzt finster und in möglichst engen Formen zusammengekauert an seinem Pult; scheu, als ob jeden Augenblick ein unvorhergesehener Angriff erfolgen könnte. Seine Züge sind unbeweglich, einen einzigen Augenblick machte er einen schwachen Versuch zum Lächeln, aber das Lächeln erfror auf seiner dünnen Lippe. Zweimal sah er sich veranlaßt, ans einen improvisirten Ausfall der Radicalen zu antwortender erhob sich langsam, gekrümmt, unter beständigem Händereiben; seine Stimme knarrte wie ein schlecht gearbeiteter Nußknacker, er sprach langsam und mit Mühe, aber was er sagte, war ebenso verständig als sachgemäß. Das Portrait ist nicht geschmei¬ chelt, ich muß aber noch eines hinzusetzen. Manteuffel macht den Eindruck, als ob er in Verhandlungen wie im geselligen Verkehr so unbequem als möglich wäre, ein Mann, bei dem man nur mit Mühe etwas erreichen, aber auf den man sich verlassen könne. Man wundert sich, einen solchen Mann an der Spitze einer Ne¬ gierung zu sehen, die sich durch einen großen, kühnen Entschluß constituirt hat; daß er Ausdauer besitzt, steht man ihm wohl an. Warten wir ab, wie er den Angriffen, die wahrscheinlich ans die gehässigste Weise über ihn einstürmen werden, begegnen wird. Vielleicht trägt das Bewußtsein, auf seiue gegenwärtigen Bun¬ desgenossen nicht sicher rechnen zu können, zu seiner eigenthümlichen Haltung bei. Wenigstens rief nur ein kleiner Theil der Rechten, als Bücher sich an sie wandte: »Ich weiß nicht, meine Herrn, ob Sie das gegenwärtige Ministerium zu stützen gedenken," ein vernehmliches Ja! Der größere Theil blieb still, und replicirte auch auf das lebhafte Zischen nicht, das gleich darauf von der gestimmten Linken erscholl. v. d. Heydt, der Handelsminister ist eine große, starke Figur mit gesundem, gutmüthigem Gesicht, dünnen, blonden Haaren und bürgerlichem Anstrich. Mau bedauert den Mann, wie er dasitzt in einer möglichst gezwungenen Haltung, die «rin,bot«n. l. is<». 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/441>, abgerufen am 23.07.2024.