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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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in's Weite, gen Norden, wahrscheinlich, um einen gefahrlosen Ankerplatz aufzu¬
suchen. Wir aber knirschten mit den Zähnen, über die Vereitelung des Fangs,
welcher uns ganz sicher geschienen hatte. Jedenfalls brachte das Zollbvot wichtige
Depeschen an die Dänischgeflnnteu in Hadersleben, hatte vielleicht sogar den be¬
rüchtigten Bauernagitator Lauritz Skau an Bord, der das Landvolk gegen die
Deutschen fanatisirte -- unser Aerger war unbeschreiblich.

Da ein Verborgensein jetzt, bei dem augenscheinlichen Verrath unserer An"
Wesenheit, gar nichts mehr nützen konnte, so eilten mehrere sogleich hinüber nach
dem Leuchtthurm, um die Verräther zu suchen und zu bestrafen. Ein finstrer,
schickender rothhaariger Mann empfing sie in der Thüre des niederen Fischerhau¬
ses, welches dem Thürmer zum Aufenthalt dient. Er verstand kein deutsches Wort,
schien aber, eine gewichtige Axt in der Hand, nicht übel Lust zu haben, sein Haus¬
recht zu vertheidigen -- allein das Knacken eines Hahn'S brachte ihn zur Raison;
er ward ekelhaft unterwürfig, wurde aber trotzdem gefangen genommen und ein¬
gesperrt. Eine Frau in mittleren Jahren lief händeringend in der Stube umher
und schien flüchten zu wollen; wenigstens packte sie all' ihr Eigenthum in wun¬
derlichster Mischung zusammen und achtete kaum aus das Geschrei eines schmutzigen
Kindes, das auf dem Boden hcrnmkugelte und bald von dem, bald von jenem
Stück des Hausraths gestoßen wurde. Eine lieblichere Erscheinung versöhnte aber
bald mit diesen widrigen Eindrücken. Aus einem der kleinen Fenster, welche der
Treppe des Thurms Licht geben, schaute ein allerliebster Mädchenkopf mit hellblon¬
den, reichen Locken und großen blauen Angen, so naiv erschrocken und doch halb
spöttisch lächelnd über die seltsamen Gestalten und das Kauderwelsch, welches sie
als dänisch radebrechten, daß augenblicklich ein Wettlauf nach neuer Gefangen¬
nahme entstand. Aber das flinke Kind sprang mit einem Satze die Treppe hinab,
zur Hinterthür hinaus durch den Garten in's Posthaus, verfolgt von lachenden,
jubelnden Freischärlern. Vergessen war Krieg und Verrath und als das Mädchen,
nachdem es lange vergeblich gesucht worden war, endlich an einem Giebelfenster
erschien mit einer Zwillingsschwester, da regte sich alter Stndentenbrauch und das
ganze Detachement vereinigte sich zu einem Ständchen am hellen Tage. Da aber
die Mehrzahl nur ein einziges Lied singen konnte, so mußten die Mädchen das:
Schleswig-Holstein stammverwandt hören, was sie mit einer Grimasse vergalten
und verschwanden. Vielleicht hat sie aber eben so sehr unser unharmonischer Ge¬
sang wie ihr Patriotismus vertrieben.

Im Norden von ganz Schleswig findet man uuter dem Landvolk nur sehr
selten Sympathie für die deutsche Sache. Es ist auch nicht zu verwundern --
Sprache, Sitten und Gebräuche, alte Gewohnheiten und Uebungen weisen den
Nordschleswiger weit mehr an den Dänen, wie an den Deutschen. Und beson¬
ders das Küstenoolk will von den Letzteren gar nichts. Nach den dänischen In¬
seln geht aller Handel und Verkehr, dort ist in nächster Nähe seit Jahrhunderten


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in's Weite, gen Norden, wahrscheinlich, um einen gefahrlosen Ankerplatz aufzu¬
suchen. Wir aber knirschten mit den Zähnen, über die Vereitelung des Fangs,
welcher uns ganz sicher geschienen hatte. Jedenfalls brachte das Zollbvot wichtige
Depeschen an die Dänischgeflnnteu in Hadersleben, hatte vielleicht sogar den be¬
rüchtigten Bauernagitator Lauritz Skau an Bord, der das Landvolk gegen die
Deutschen fanatisirte — unser Aerger war unbeschreiblich.

Da ein Verborgensein jetzt, bei dem augenscheinlichen Verrath unserer An»
Wesenheit, gar nichts mehr nützen konnte, so eilten mehrere sogleich hinüber nach
dem Leuchtthurm, um die Verräther zu suchen und zu bestrafen. Ein finstrer,
schickender rothhaariger Mann empfing sie in der Thüre des niederen Fischerhau¬
ses, welches dem Thürmer zum Aufenthalt dient. Er verstand kein deutsches Wort,
schien aber, eine gewichtige Axt in der Hand, nicht übel Lust zu haben, sein Haus¬
recht zu vertheidigen — allein das Knacken eines Hahn'S brachte ihn zur Raison;
er ward ekelhaft unterwürfig, wurde aber trotzdem gefangen genommen und ein¬
gesperrt. Eine Frau in mittleren Jahren lief händeringend in der Stube umher
und schien flüchten zu wollen; wenigstens packte sie all' ihr Eigenthum in wun¬
derlichster Mischung zusammen und achtete kaum aus das Geschrei eines schmutzigen
Kindes, das auf dem Boden hcrnmkugelte und bald von dem, bald von jenem
Stück des Hausraths gestoßen wurde. Eine lieblichere Erscheinung versöhnte aber
bald mit diesen widrigen Eindrücken. Aus einem der kleinen Fenster, welche der
Treppe des Thurms Licht geben, schaute ein allerliebster Mädchenkopf mit hellblon¬
den, reichen Locken und großen blauen Angen, so naiv erschrocken und doch halb
spöttisch lächelnd über die seltsamen Gestalten und das Kauderwelsch, welches sie
als dänisch radebrechten, daß augenblicklich ein Wettlauf nach neuer Gefangen¬
nahme entstand. Aber das flinke Kind sprang mit einem Satze die Treppe hinab,
zur Hinterthür hinaus durch den Garten in's Posthaus, verfolgt von lachenden,
jubelnden Freischärlern. Vergessen war Krieg und Verrath und als das Mädchen,
nachdem es lange vergeblich gesucht worden war, endlich an einem Giebelfenster
erschien mit einer Zwillingsschwester, da regte sich alter Stndentenbrauch und das
ganze Detachement vereinigte sich zu einem Ständchen am hellen Tage. Da aber
die Mehrzahl nur ein einziges Lied singen konnte, so mußten die Mädchen das:
Schleswig-Holstein stammverwandt hören, was sie mit einer Grimasse vergalten
und verschwanden. Vielleicht hat sie aber eben so sehr unser unharmonischer Ge¬
sang wie ihr Patriotismus vertrieben.

Im Norden von ganz Schleswig findet man uuter dem Landvolk nur sehr
selten Sympathie für die deutsche Sache. Es ist auch nicht zu verwundern —
Sprache, Sitten und Gebräuche, alte Gewohnheiten und Uebungen weisen den
Nordschleswiger weit mehr an den Dänen, wie an den Deutschen. Und beson¬
ders das Küstenoolk will von den Letzteren gar nichts. Nach den dänischen In¬
seln geht aller Handel und Verkehr, dort ist in nächster Nähe seit Jahrhunderten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/433>, abgerufen am 23.07.2024.