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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Plätzen und Straßen bei Tag und Nacht gespielt haben. Hier lagen das Burleske
und das Tragische, das drolligste Behagen und die furchtbarste That dicht bei
einander. Der feinste Humor, mit welchem der Genius des deutschen Volkes
die Straßenkampfe und Volksemeuten des letzten Jahres aufgeführt hat, sah oft
aus wie eine grandiose Ausführung Shakespearscher Acte, so zurecht gemacht war
Alles für den Künstler. -- Auch unser Volk hat in dem letzten Jahre Helden
und Lieblingscharaktere gewonnen, es hat sich mit warmer Anhänglichkeit seinen
Führern hingegeben, hat an ihren Augen gehangen und die Worte von ihren
Lippen gesogen, es hat seine Abhängigkeit von bedeutender Menschenkraft leb¬
haft gefühlt und die Sehnsucht nach ihr ist sehr heftig geworden; auch dem
Künstler werden sich aus dem bunten Hintergründe einzelne Gestalten mächtig her¬
vor heben, ihre Bedeutung, ihre Thaten und ihr Schicksal werden seine Kunst
eben so weihen, wie sie das Leben der deutschen Nation adeln. Der Maler wird
Sinn bekommen für historische Portraits und geschichtliche Actionen, der Dichter
für Menschengröße, epische und dramatische Helden. Und wenn sie die stärkste
Kraft, den reinsten Menschenwillen in unsern Tagen zerschellen sehen bei dem-
Znsammenstoß feindlicher Mächte, wenn sie bemerken, wie unsere Führer in dem
großen Kampf der politischen Gegensätze ihre Lebenskraft ausreiben, so muß die
Ehrfurcht vor tragischen Verhängniß, die Erkenntniß, daß der Größte abhängig
ist vor größerer Macht, und die Rührung über die sinkende Heldenkraft zu tragi¬
schen Stoffen und großen Kompositionen führen.

Wenn sich so aus den meisten Erscheinungen der Gegenwart nachweisen läßt,
daß sie befruchtend aus die Entwickelung unsrer Kunst wirken müssen, so soll auch
nicht verschwiegen werden, daß ein Gcdeiyn der schönen Kunst dadurch noch nicht
Mantirt ist. Denn eines, die beste Lebensluft des Künstlers, kann die Gegen¬
wart noch nicht geben, kein Selbstgefühl der Nation, kein frohes Behagen an der er¬
rungenen Freiheit. Verworren und aufregend sind die Erscheinungen des Tages,
sie verstimmen und zerstreuen eben so sehr, als sie locken, und Alle, welche mit
ganzer Seele die Leide" und den Zorn dieser Jahre durchmachen, mögen leicht die
Narben der empfangenen Wunden ihr Lebelang nicht verlieren. So lange unwür¬
diger Haß der Parteien und die Flecken des vergossenen Blutes aus deutschem
Grunde so stark hervortreten, wird der Künstler schwerlich die Harmonie in seinem
Leben finden, welche den Theilen unsres politischen Körpers so sehr fehlt. Herd
und rauh werden die Gebilde der Starken werden und an den Schwächeren mö¬
gen wir eine neue Art von krankhafter Sentimentalität zu bedauern haben.

So leicht es aber ist, deu Weg zu erkennen, welchen die Darstellung des
Schönen im Allgemeinen nehmen muß, so gewagt ist es, die nächsten Entwicke-
lungsstufen der einzelnen Künste vorauszusagen. Auch wäre solches Weissagen,
selbst wenn sie möglich wäre ohne Nutzen. Nur Einzelnes läßt sich erkennen und
ans dem Gesagten beweisen. Die Poesie, deren Material der unendliche SchatzG


renzbot",,. I. 1840. 5Z

Plätzen und Straßen bei Tag und Nacht gespielt haben. Hier lagen das Burleske
und das Tragische, das drolligste Behagen und die furchtbarste That dicht bei
einander. Der feinste Humor, mit welchem der Genius des deutschen Volkes
die Straßenkampfe und Volksemeuten des letzten Jahres aufgeführt hat, sah oft
aus wie eine grandiose Ausführung Shakespearscher Acte, so zurecht gemacht war
Alles für den Künstler. — Auch unser Volk hat in dem letzten Jahre Helden
und Lieblingscharaktere gewonnen, es hat sich mit warmer Anhänglichkeit seinen
Führern hingegeben, hat an ihren Augen gehangen und die Worte von ihren
Lippen gesogen, es hat seine Abhängigkeit von bedeutender Menschenkraft leb¬
haft gefühlt und die Sehnsucht nach ihr ist sehr heftig geworden; auch dem
Künstler werden sich aus dem bunten Hintergründe einzelne Gestalten mächtig her¬
vor heben, ihre Bedeutung, ihre Thaten und ihr Schicksal werden seine Kunst
eben so weihen, wie sie das Leben der deutschen Nation adeln. Der Maler wird
Sinn bekommen für historische Portraits und geschichtliche Actionen, der Dichter
für Menschengröße, epische und dramatische Helden. Und wenn sie die stärkste
Kraft, den reinsten Menschenwillen in unsern Tagen zerschellen sehen bei dem-
Znsammenstoß feindlicher Mächte, wenn sie bemerken, wie unsere Führer in dem
großen Kampf der politischen Gegensätze ihre Lebenskraft ausreiben, so muß die
Ehrfurcht vor tragischen Verhängniß, die Erkenntniß, daß der Größte abhängig
ist vor größerer Macht, und die Rührung über die sinkende Heldenkraft zu tragi¬
schen Stoffen und großen Kompositionen führen.

Wenn sich so aus den meisten Erscheinungen der Gegenwart nachweisen läßt,
daß sie befruchtend aus die Entwickelung unsrer Kunst wirken müssen, so soll auch
nicht verschwiegen werden, daß ein Gcdeiyn der schönen Kunst dadurch noch nicht
Mantirt ist. Denn eines, die beste Lebensluft des Künstlers, kann die Gegen¬
wart noch nicht geben, kein Selbstgefühl der Nation, kein frohes Behagen an der er¬
rungenen Freiheit. Verworren und aufregend sind die Erscheinungen des Tages,
sie verstimmen und zerstreuen eben so sehr, als sie locken, und Alle, welche mit
ganzer Seele die Leide» und den Zorn dieser Jahre durchmachen, mögen leicht die
Narben der empfangenen Wunden ihr Lebelang nicht verlieren. So lange unwür¬
diger Haß der Parteien und die Flecken des vergossenen Blutes aus deutschem
Grunde so stark hervortreten, wird der Künstler schwerlich die Harmonie in seinem
Leben finden, welche den Theilen unsres politischen Körpers so sehr fehlt. Herd
und rauh werden die Gebilde der Starken werden und an den Schwächeren mö¬
gen wir eine neue Art von krankhafter Sentimentalität zu bedauern haben.

So leicht es aber ist, deu Weg zu erkennen, welchen die Darstellung des
Schönen im Allgemeinen nehmen muß, so gewagt ist es, die nächsten Entwicke-
lungsstufen der einzelnen Künste vorauszusagen. Auch wäre solches Weissagen,
selbst wenn sie möglich wäre ohne Nutzen. Nur Einzelnes läßt sich erkennen und
ans dem Gesagten beweisen. Die Poesie, deren Material der unendliche SchatzG


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[0425] Plätzen und Straßen bei Tag und Nacht gespielt haben. Hier lagen das Burleske und das Tragische, das drolligste Behagen und die furchtbarste That dicht bei einander. Der feinste Humor, mit welchem der Genius des deutschen Volkes die Straßenkampfe und Volksemeuten des letzten Jahres aufgeführt hat, sah oft aus wie eine grandiose Ausführung Shakespearscher Acte, so zurecht gemacht war Alles für den Künstler. — Auch unser Volk hat in dem letzten Jahre Helden und Lieblingscharaktere gewonnen, es hat sich mit warmer Anhänglichkeit seinen Führern hingegeben, hat an ihren Augen gehangen und die Worte von ihren Lippen gesogen, es hat seine Abhängigkeit von bedeutender Menschenkraft leb¬ haft gefühlt und die Sehnsucht nach ihr ist sehr heftig geworden; auch dem Künstler werden sich aus dem bunten Hintergründe einzelne Gestalten mächtig her¬ vor heben, ihre Bedeutung, ihre Thaten und ihr Schicksal werden seine Kunst eben so weihen, wie sie das Leben der deutschen Nation adeln. Der Maler wird Sinn bekommen für historische Portraits und geschichtliche Actionen, der Dichter für Menschengröße, epische und dramatische Helden. Und wenn sie die stärkste Kraft, den reinsten Menschenwillen in unsern Tagen zerschellen sehen bei dem- Znsammenstoß feindlicher Mächte, wenn sie bemerken, wie unsere Führer in dem großen Kampf der politischen Gegensätze ihre Lebenskraft ausreiben, so muß die Ehrfurcht vor tragischen Verhängniß, die Erkenntniß, daß der Größte abhängig ist vor größerer Macht, und die Rührung über die sinkende Heldenkraft zu tragi¬ schen Stoffen und großen Kompositionen führen. Wenn sich so aus den meisten Erscheinungen der Gegenwart nachweisen läßt, daß sie befruchtend aus die Entwickelung unsrer Kunst wirken müssen, so soll auch nicht verschwiegen werden, daß ein Gcdeiyn der schönen Kunst dadurch noch nicht Mantirt ist. Denn eines, die beste Lebensluft des Künstlers, kann die Gegen¬ wart noch nicht geben, kein Selbstgefühl der Nation, kein frohes Behagen an der er¬ rungenen Freiheit. Verworren und aufregend sind die Erscheinungen des Tages, sie verstimmen und zerstreuen eben so sehr, als sie locken, und Alle, welche mit ganzer Seele die Leide» und den Zorn dieser Jahre durchmachen, mögen leicht die Narben der empfangenen Wunden ihr Lebelang nicht verlieren. So lange unwür¬ diger Haß der Parteien und die Flecken des vergossenen Blutes aus deutschem Grunde so stark hervortreten, wird der Künstler schwerlich die Harmonie in seinem Leben finden, welche den Theilen unsres politischen Körpers so sehr fehlt. Herd und rauh werden die Gebilde der Starken werden und an den Schwächeren mö¬ gen wir eine neue Art von krankhafter Sentimentalität zu bedauern haben. So leicht es aber ist, deu Weg zu erkennen, welchen die Darstellung des Schönen im Allgemeinen nehmen muß, so gewagt ist es, die nächsten Entwicke- lungsstufen der einzelnen Künste vorauszusagen. Auch wäre solches Weissagen, selbst wenn sie möglich wäre ohne Nutzen. Nur Einzelnes läßt sich erkennen und ans dem Gesagten beweisen. Die Poesie, deren Material der unendliche SchatzG renzbot«,,. I. 1840. 5Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/425>, abgerufen am 23.07.2024.