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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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bei unserer Finanzverwaltung auf einige Millionen mehr oder weniger Deficit
überhaupt noch ankäme. -- Aber welchen Vortheil erwartet die Staatsregierung
in politischer Beziehung von solchem Soldatenregiment? Die Presse soll vor Aus¬
schreitungen behütet, das Clubunwesen verhindert, die Autorität der Staatsregie¬
rung den Uebermüthigen bemerkbar gemacht, und die Verbrechen des Oktobers
sollen an den Verbrechern bestraft werden. -- Von dem Allen wird nur sehr wenig
erreicht, ja, die Regierung vermehrt die Uebelstände für die nächste Zukunft. In
jedem Volk, in jeder Centralstadt entstehen zu Zeiten Stimmungen, welche die
Geschichte später als unvernünftig verurtheilt. Solche Verirrungen sind Krank¬
heiten, welche einen bestimmten Verlauf haben, in dem sie nur mit größter Vor¬
sicht gestört werden dürfen; bei gesunder Volkskraft überwindet die Natur den
Krankheitsstoff jedesmal, ihn aber mit den ärgsten Gewaltmitteln unterdrücken,
heißt ihn zum schleichenden Gift machen. Melden verbietet die Clubs, es ent¬
stehen nichtswürdige nächtliche Verschwörungen von armen Schelmen, welche der
Haß fanatisirt. Melden muß die Pressen controlliren, eine große Auzahl junger
Zeitungsschreiber -- Oestreich hat kaum andere -- flüchtet sich ins Ausland nud
füllt die deutschen Blätter mit Groll und Haß gegen die Regierung, und es sind
nicht die Schlechtesten, welche das thun; Andere aber, welche zurückbleiben, werden
entweder Schufte und Windfahnen, oder sie verzehren sich in beständigem kleinen
Kampf mit der Censur des Fliutenschlosses. Sobald der Belagerungszustand ein¬
mal aufgehoben wird, und ewig kann er doch nicht währen, wird die lang unter¬
drückte Presse mit Ungestüm von Neuem alle Dämme brechen, und sich eben so
unreif, eben so übermüthig sprechen, wie vor dem October. Denn freie Eclbst-
herrschnng und gerechtere Beurtheilung der Dinge hat die Unterdrückung unmöglich
gemacht, dagegen hat sie Galle in Massen bereitet, der Belagerungszustand ist
Schuld, daß die Wiener Publicistik ein halbes Jahr für ihre Bildung verloren hat;
und das ist gegenwärtig ein langer Zeitraum. Die Völker Oestreichs und die
Regierung selbst werden dafür büßen.

Abscheulich aber ist der Grundsatz, nach welchem der militärische Gouverneur
verfahren muß: dnrch Strenge zu schrecken und nach dem Buchstabe" des Martial-
gesetzes zu tödten. Ein armer Teufel verbirgt eine Pistvstole, er wird erschösse";
ein Anderer hat ein Bild von Kossuth vor sich liegen und einen Stockdegen
daneben, er wird zu Pulver und Blei begnadigt. Wenn ein feindliches H"er in
einer eroberten Stadt so verfährt, wenige Tage nach der blutige" Cinnahiue, so
wird wenig dagegen zu sagen sein; wenn aber dnrch vier Monate in der
Hauptstadt des Reichs in solcher Weise Recht gesprochen werden darf, so ist das
eine Tyrannei, welche nicht mehr schreckt, sondern empört. Schon ist bei eil er
der letzten Cxccntiouen die scheußliche Drohung aus dnn Hausen der Zusc! auer laut
geworden: Für jeden Erschossncn drei Soldatenleben! --- Und mit diesen Dro¬
hungen wird Cruse gemacht. Wo soll das hinaus! -- Wenn es so weit gekommen


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bei unserer Finanzverwaltung auf einige Millionen mehr oder weniger Deficit
überhaupt noch ankäme. — Aber welchen Vortheil erwartet die Staatsregierung
in politischer Beziehung von solchem Soldatenregiment? Die Presse soll vor Aus¬
schreitungen behütet, das Clubunwesen verhindert, die Autorität der Staatsregie¬
rung den Uebermüthigen bemerkbar gemacht, und die Verbrechen des Oktobers
sollen an den Verbrechern bestraft werden. — Von dem Allen wird nur sehr wenig
erreicht, ja, die Regierung vermehrt die Uebelstände für die nächste Zukunft. In
jedem Volk, in jeder Centralstadt entstehen zu Zeiten Stimmungen, welche die
Geschichte später als unvernünftig verurtheilt. Solche Verirrungen sind Krank¬
heiten, welche einen bestimmten Verlauf haben, in dem sie nur mit größter Vor¬
sicht gestört werden dürfen; bei gesunder Volkskraft überwindet die Natur den
Krankheitsstoff jedesmal, ihn aber mit den ärgsten Gewaltmitteln unterdrücken,
heißt ihn zum schleichenden Gift machen. Melden verbietet die Clubs, es ent¬
stehen nichtswürdige nächtliche Verschwörungen von armen Schelmen, welche der
Haß fanatisirt. Melden muß die Pressen controlliren, eine große Auzahl junger
Zeitungsschreiber — Oestreich hat kaum andere — flüchtet sich ins Ausland nud
füllt die deutschen Blätter mit Groll und Haß gegen die Regierung, und es sind
nicht die Schlechtesten, welche das thun; Andere aber, welche zurückbleiben, werden
entweder Schufte und Windfahnen, oder sie verzehren sich in beständigem kleinen
Kampf mit der Censur des Fliutenschlosses. Sobald der Belagerungszustand ein¬
mal aufgehoben wird, und ewig kann er doch nicht währen, wird die lang unter¬
drückte Presse mit Ungestüm von Neuem alle Dämme brechen, und sich eben so
unreif, eben so übermüthig sprechen, wie vor dem October. Denn freie Eclbst-
herrschnng und gerechtere Beurtheilung der Dinge hat die Unterdrückung unmöglich
gemacht, dagegen hat sie Galle in Massen bereitet, der Belagerungszustand ist
Schuld, daß die Wiener Publicistik ein halbes Jahr für ihre Bildung verloren hat;
und das ist gegenwärtig ein langer Zeitraum. Die Völker Oestreichs und die
Regierung selbst werden dafür büßen.

Abscheulich aber ist der Grundsatz, nach welchem der militärische Gouverneur
verfahren muß: dnrch Strenge zu schrecken und nach dem Buchstabe» des Martial-
gesetzes zu tödten. Ein armer Teufel verbirgt eine Pistvstole, er wird erschösse»;
ein Anderer hat ein Bild von Kossuth vor sich liegen und einen Stockdegen
daneben, er wird zu Pulver und Blei begnadigt. Wenn ein feindliches H»er in
einer eroberten Stadt so verfährt, wenige Tage nach der blutige» Cinnahiue, so
wird wenig dagegen zu sagen sein; wenn aber dnrch vier Monate in der
Hauptstadt des Reichs in solcher Weise Recht gesprochen werden darf, so ist das
eine Tyrannei, welche nicht mehr schreckt, sondern empört. Schon ist bei eil er
der letzten Cxccntiouen die scheußliche Drohung aus dnn Hausen der Zusc! auer laut
geworden: Für jeden Erschossncn drei Soldatenleben! -— Und mit diesen Dro¬
hungen wird Cruse gemacht. Wo soll das hinaus! — Wenn es so weit gekommen


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[0419] bei unserer Finanzverwaltung auf einige Millionen mehr oder weniger Deficit überhaupt noch ankäme. — Aber welchen Vortheil erwartet die Staatsregierung in politischer Beziehung von solchem Soldatenregiment? Die Presse soll vor Aus¬ schreitungen behütet, das Clubunwesen verhindert, die Autorität der Staatsregie¬ rung den Uebermüthigen bemerkbar gemacht, und die Verbrechen des Oktobers sollen an den Verbrechern bestraft werden. — Von dem Allen wird nur sehr wenig erreicht, ja, die Regierung vermehrt die Uebelstände für die nächste Zukunft. In jedem Volk, in jeder Centralstadt entstehen zu Zeiten Stimmungen, welche die Geschichte später als unvernünftig verurtheilt. Solche Verirrungen sind Krank¬ heiten, welche einen bestimmten Verlauf haben, in dem sie nur mit größter Vor¬ sicht gestört werden dürfen; bei gesunder Volkskraft überwindet die Natur den Krankheitsstoff jedesmal, ihn aber mit den ärgsten Gewaltmitteln unterdrücken, heißt ihn zum schleichenden Gift machen. Melden verbietet die Clubs, es ent¬ stehen nichtswürdige nächtliche Verschwörungen von armen Schelmen, welche der Haß fanatisirt. Melden muß die Pressen controlliren, eine große Auzahl junger Zeitungsschreiber — Oestreich hat kaum andere — flüchtet sich ins Ausland nud füllt die deutschen Blätter mit Groll und Haß gegen die Regierung, und es sind nicht die Schlechtesten, welche das thun; Andere aber, welche zurückbleiben, werden entweder Schufte und Windfahnen, oder sie verzehren sich in beständigem kleinen Kampf mit der Censur des Fliutenschlosses. Sobald der Belagerungszustand ein¬ mal aufgehoben wird, und ewig kann er doch nicht währen, wird die lang unter¬ drückte Presse mit Ungestüm von Neuem alle Dämme brechen, und sich eben so unreif, eben so übermüthig sprechen, wie vor dem October. Denn freie Eclbst- herrschnng und gerechtere Beurtheilung der Dinge hat die Unterdrückung unmöglich gemacht, dagegen hat sie Galle in Massen bereitet, der Belagerungszustand ist Schuld, daß die Wiener Publicistik ein halbes Jahr für ihre Bildung verloren hat; und das ist gegenwärtig ein langer Zeitraum. Die Völker Oestreichs und die Regierung selbst werden dafür büßen. Abscheulich aber ist der Grundsatz, nach welchem der militärische Gouverneur verfahren muß: dnrch Strenge zu schrecken und nach dem Buchstabe» des Martial- gesetzes zu tödten. Ein armer Teufel verbirgt eine Pistvstole, er wird erschösse»; ein Anderer hat ein Bild von Kossuth vor sich liegen und einen Stockdegen daneben, er wird zu Pulver und Blei begnadigt. Wenn ein feindliches H»er in einer eroberten Stadt so verfährt, wenige Tage nach der blutige» Cinnahiue, so wird wenig dagegen zu sagen sein; wenn aber dnrch vier Monate in der Hauptstadt des Reichs in solcher Weise Recht gesprochen werden darf, so ist das eine Tyrannei, welche nicht mehr schreckt, sondern empört. Schon ist bei eil er der letzten Cxccntiouen die scheußliche Drohung aus dnn Hausen der Zusc! auer laut geworden: Für jeden Erschossncn drei Soldatenleben! -— Und mit diesen Dro¬ hungen wird Cruse gemacht. Wo soll das hinaus! — Wenn es so weit gekommen 52*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/419>, abgerufen am 23.07.2024.