Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unser Urtheil in unserer eigenen Sprache verlesen, so oft es sich so unglücklich
treffen sollte, daß einer aus unsrem Geschlecht über das Strohgcbund käme. Wir
bitten Euch sehr, macht uns zu Etwas und setzt uns einen Ban oder Woiwoden
und wenn's Euch nicht zu viel Mühe macht, auch einen eigenen Bischof, der unsern
Zigennerglauben hat, damit wir eigene Bräuche bekommen und den Leuten be¬
weisen, daß wir auch eine Religion haben können, wenn wir wollen und Jhr's uns
genehmigt.

Denn jetzt ist unser Schicksal traurig. Wir haben nichts, wir sind nichts;
unsere Hände sind schwielig vom Blasebalg, unser Angesicht rußig von den Schmiede-
kvhlcn, Niemand neigt sich vor uns, wir aber neigen uns vor Allen; wenn un¬
sere Mädchen in das Bauerndorf gehen, werden sie verhöhnt, die Kinder der Szekler
und die wallachischen Frauen lachen, weil die Lippen unsrer Mädchen dick und
roth sind wie Korallen und ihre Backen geschwollen wie der Pfirsisch; und wenn
ein Zigeunermann in die Gesellschaft kömmt, so muß er in der Ecke stehen und
Geige streichen, Tag und Nacht, während die anderen tanzen. Wahrlich, wir sind
wenig geehrt auf der Welt, unsere Füße sind wund durch Dornen und unsere
Hände erfroren; wenn wir einem Wolf begegnen oder dem lustigen Gevatter, dem
Fuchs, sie sehen uns trotzig an, legen den Schwanz auf den Rücken und drehen
uns dann verächtlich das Hintertheil zu, und wenn wir bei einem Menschenhaus
vorbeigehen, so sitzt der Haushahn, unser Feind, bei Tag und Nacht davor, sträubt
uns den Kamm und kräht: Zigan! bis die Hunde und Kinder wach werden und
nach unseren Waden greifen.

Aller dieser Leiden wegen sehen wir uns bemüßigt, eine Nation zu werden.
Wir wissen auch, Ihr k. k. Herren, wie man ein Volk wird, wir haben unsere
jungen Leute zu den Kroaten geschickt, zu den Galiziern, ja bis nach dem Moldau¬
fluß zum Slavencongreß. Wir wissen Alles. Wer vor Euch Gnade finden und
die Ehren einer eigenthümlichen Nation erhalten soll, der muß manche Dinge
haben: zuerst eine Sprache, die er für sich allein hat, damit ihn Niemand Frem¬
des versteht, wenn er ans Euch und Andre schimpft und wettert; zum zweiten
große und berühmte Vorfahren, auf deren Stühlen er sitzen kann; zum dritten
ein Zeichen seiner Art, was Ihr ein Wappen nennt; zum vierte" Hose, Mantel
und Mütze nach einem eigenen Schnitt, damit jeder seine Nation erkenne, wenn
er spazieren geht; und zum fünfte" ein schönes Lied für seinen Stamm, daS ihn
erfreut, die Fremden aber ärgert. Hätten wir diese fünf Dinge und Eure
Gnade, so möchten wir wohl eine neue k. k. Nation sein können.

Nun seht uns an, Ihr goldenen Herren von Olmütz; wir haben das Alles
auch, so gut wie die Nuthenen und die Naizen. Zuerst haben wir eine eigene
Sprache. O unsere Sprache ist sehr berühmt und wird in viele" Ländern begehrt;
sie ist alt, aber sie ist zart, man spricht sie am liebsten leise einander in's Ohr,
wenn der Mond nicht scheint und die Wächter schlafen. Schupper, ein Ehrenmann,


unser Urtheil in unserer eigenen Sprache verlesen, so oft es sich so unglücklich
treffen sollte, daß einer aus unsrem Geschlecht über das Strohgcbund käme. Wir
bitten Euch sehr, macht uns zu Etwas und setzt uns einen Ban oder Woiwoden
und wenn's Euch nicht zu viel Mühe macht, auch einen eigenen Bischof, der unsern
Zigennerglauben hat, damit wir eigene Bräuche bekommen und den Leuten be¬
weisen, daß wir auch eine Religion haben können, wenn wir wollen und Jhr's uns
genehmigt.

Denn jetzt ist unser Schicksal traurig. Wir haben nichts, wir sind nichts;
unsere Hände sind schwielig vom Blasebalg, unser Angesicht rußig von den Schmiede-
kvhlcn, Niemand neigt sich vor uns, wir aber neigen uns vor Allen; wenn un¬
sere Mädchen in das Bauerndorf gehen, werden sie verhöhnt, die Kinder der Szekler
und die wallachischen Frauen lachen, weil die Lippen unsrer Mädchen dick und
roth sind wie Korallen und ihre Backen geschwollen wie der Pfirsisch; und wenn
ein Zigeunermann in die Gesellschaft kömmt, so muß er in der Ecke stehen und
Geige streichen, Tag und Nacht, während die anderen tanzen. Wahrlich, wir sind
wenig geehrt auf der Welt, unsere Füße sind wund durch Dornen und unsere
Hände erfroren; wenn wir einem Wolf begegnen oder dem lustigen Gevatter, dem
Fuchs, sie sehen uns trotzig an, legen den Schwanz auf den Rücken und drehen
uns dann verächtlich das Hintertheil zu, und wenn wir bei einem Menschenhaus
vorbeigehen, so sitzt der Haushahn, unser Feind, bei Tag und Nacht davor, sträubt
uns den Kamm und kräht: Zigan! bis die Hunde und Kinder wach werden und
nach unseren Waden greifen.

Aller dieser Leiden wegen sehen wir uns bemüßigt, eine Nation zu werden.
Wir wissen auch, Ihr k. k. Herren, wie man ein Volk wird, wir haben unsere
jungen Leute zu den Kroaten geschickt, zu den Galiziern, ja bis nach dem Moldau¬
fluß zum Slavencongreß. Wir wissen Alles. Wer vor Euch Gnade finden und
die Ehren einer eigenthümlichen Nation erhalten soll, der muß manche Dinge
haben: zuerst eine Sprache, die er für sich allein hat, damit ihn Niemand Frem¬
des versteht, wenn er ans Euch und Andre schimpft und wettert; zum zweiten
große und berühmte Vorfahren, auf deren Stühlen er sitzen kann; zum dritten
ein Zeichen seiner Art, was Ihr ein Wappen nennt; zum vierte» Hose, Mantel
und Mütze nach einem eigenen Schnitt, damit jeder seine Nation erkenne, wenn
er spazieren geht; und zum fünfte» ein schönes Lied für seinen Stamm, daS ihn
erfreut, die Fremden aber ärgert. Hätten wir diese fünf Dinge und Eure
Gnade, so möchten wir wohl eine neue k. k. Nation sein können.

Nun seht uns an, Ihr goldenen Herren von Olmütz; wir haben das Alles
auch, so gut wie die Nuthenen und die Naizen. Zuerst haben wir eine eigene
Sprache. O unsere Sprache ist sehr berühmt und wird in viele» Ländern begehrt;
sie ist alt, aber sie ist zart, man spricht sie am liebsten leise einander in's Ohr,
wenn der Mond nicht scheint und die Wächter schlafen. Schupper, ein Ehrenmann,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0410" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278398"/>
          <p xml:id="ID_2475" prev="#ID_2474"> unser Urtheil in unserer eigenen Sprache verlesen, so oft es sich so unglücklich<lb/>
treffen sollte, daß einer aus unsrem Geschlecht über das Strohgcbund käme. Wir<lb/>
bitten Euch sehr, macht uns zu Etwas und setzt uns einen Ban oder Woiwoden<lb/>
und wenn's Euch nicht zu viel Mühe macht, auch einen eigenen Bischof, der unsern<lb/>
Zigennerglauben hat, damit wir eigene Bräuche bekommen und den Leuten be¬<lb/>
weisen, daß wir auch eine Religion haben können, wenn wir wollen und Jhr's uns<lb/>
genehmigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2476"> Denn jetzt ist unser Schicksal traurig. Wir haben nichts, wir sind nichts;<lb/>
unsere Hände sind schwielig vom Blasebalg, unser Angesicht rußig von den Schmiede-<lb/>
kvhlcn, Niemand neigt sich vor uns, wir aber neigen uns vor Allen; wenn un¬<lb/>
sere Mädchen in das Bauerndorf gehen, werden sie verhöhnt, die Kinder der Szekler<lb/>
und die wallachischen Frauen lachen, weil die Lippen unsrer Mädchen dick und<lb/>
roth sind wie Korallen und ihre Backen geschwollen wie der Pfirsisch; und wenn<lb/>
ein Zigeunermann in die Gesellschaft kömmt, so muß er in der Ecke stehen und<lb/>
Geige streichen, Tag und Nacht, während die anderen tanzen. Wahrlich, wir sind<lb/>
wenig geehrt auf der Welt, unsere Füße sind wund durch Dornen und unsere<lb/>
Hände erfroren; wenn wir einem Wolf begegnen oder dem lustigen Gevatter, dem<lb/>
Fuchs, sie sehen uns trotzig an, legen den Schwanz auf den Rücken und drehen<lb/>
uns dann verächtlich das Hintertheil zu, und wenn wir bei einem Menschenhaus<lb/>
vorbeigehen, so sitzt der Haushahn, unser Feind, bei Tag und Nacht davor, sträubt<lb/>
uns den Kamm und kräht: Zigan! bis die Hunde und Kinder wach werden und<lb/>
nach unseren Waden greifen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2477"> Aller dieser Leiden wegen sehen wir uns bemüßigt, eine Nation zu werden.<lb/>
Wir wissen auch, Ihr k. k. Herren, wie man ein Volk wird, wir haben unsere<lb/>
jungen Leute zu den Kroaten geschickt, zu den Galiziern, ja bis nach dem Moldau¬<lb/>
fluß zum Slavencongreß. Wir wissen Alles. Wer vor Euch Gnade finden und<lb/>
die Ehren einer eigenthümlichen Nation erhalten soll, der muß manche Dinge<lb/>
haben: zuerst eine Sprache, die er für sich allein hat, damit ihn Niemand Frem¬<lb/>
des versteht, wenn er ans Euch und Andre schimpft und wettert; zum zweiten<lb/>
große und berühmte Vorfahren, auf deren Stühlen er sitzen kann; zum dritten<lb/>
ein Zeichen seiner Art, was Ihr ein Wappen nennt; zum vierte» Hose, Mantel<lb/>
und Mütze nach einem eigenen Schnitt, damit jeder seine Nation erkenne, wenn<lb/>
er spazieren geht; und zum fünfte» ein schönes Lied für seinen Stamm, daS ihn<lb/>
erfreut, die Fremden aber ärgert. Hätten wir diese fünf Dinge und Eure<lb/>
Gnade, so möchten wir wohl eine neue k. k. Nation sein können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2478" next="#ID_2479"> Nun seht uns an, Ihr goldenen Herren von Olmütz; wir haben das Alles<lb/>
auch, so gut wie die Nuthenen und die Naizen. Zuerst haben wir eine eigene<lb/>
Sprache. O unsere Sprache ist sehr berühmt und wird in viele» Ländern begehrt;<lb/>
sie ist alt, aber sie ist zart, man spricht sie am liebsten leise einander in's Ohr,<lb/>
wenn der Mond nicht scheint und die Wächter schlafen. Schupper, ein Ehrenmann,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0410] unser Urtheil in unserer eigenen Sprache verlesen, so oft es sich so unglücklich treffen sollte, daß einer aus unsrem Geschlecht über das Strohgcbund käme. Wir bitten Euch sehr, macht uns zu Etwas und setzt uns einen Ban oder Woiwoden und wenn's Euch nicht zu viel Mühe macht, auch einen eigenen Bischof, der unsern Zigennerglauben hat, damit wir eigene Bräuche bekommen und den Leuten be¬ weisen, daß wir auch eine Religion haben können, wenn wir wollen und Jhr's uns genehmigt. Denn jetzt ist unser Schicksal traurig. Wir haben nichts, wir sind nichts; unsere Hände sind schwielig vom Blasebalg, unser Angesicht rußig von den Schmiede- kvhlcn, Niemand neigt sich vor uns, wir aber neigen uns vor Allen; wenn un¬ sere Mädchen in das Bauerndorf gehen, werden sie verhöhnt, die Kinder der Szekler und die wallachischen Frauen lachen, weil die Lippen unsrer Mädchen dick und roth sind wie Korallen und ihre Backen geschwollen wie der Pfirsisch; und wenn ein Zigeunermann in die Gesellschaft kömmt, so muß er in der Ecke stehen und Geige streichen, Tag und Nacht, während die anderen tanzen. Wahrlich, wir sind wenig geehrt auf der Welt, unsere Füße sind wund durch Dornen und unsere Hände erfroren; wenn wir einem Wolf begegnen oder dem lustigen Gevatter, dem Fuchs, sie sehen uns trotzig an, legen den Schwanz auf den Rücken und drehen uns dann verächtlich das Hintertheil zu, und wenn wir bei einem Menschenhaus vorbeigehen, so sitzt der Haushahn, unser Feind, bei Tag und Nacht davor, sträubt uns den Kamm und kräht: Zigan! bis die Hunde und Kinder wach werden und nach unseren Waden greifen. Aller dieser Leiden wegen sehen wir uns bemüßigt, eine Nation zu werden. Wir wissen auch, Ihr k. k. Herren, wie man ein Volk wird, wir haben unsere jungen Leute zu den Kroaten geschickt, zu den Galiziern, ja bis nach dem Moldau¬ fluß zum Slavencongreß. Wir wissen Alles. Wer vor Euch Gnade finden und die Ehren einer eigenthümlichen Nation erhalten soll, der muß manche Dinge haben: zuerst eine Sprache, die er für sich allein hat, damit ihn Niemand Frem¬ des versteht, wenn er ans Euch und Andre schimpft und wettert; zum zweiten große und berühmte Vorfahren, auf deren Stühlen er sitzen kann; zum dritten ein Zeichen seiner Art, was Ihr ein Wappen nennt; zum vierte» Hose, Mantel und Mütze nach einem eigenen Schnitt, damit jeder seine Nation erkenne, wenn er spazieren geht; und zum fünfte» ein schönes Lied für seinen Stamm, daS ihn erfreut, die Fremden aber ärgert. Hätten wir diese fünf Dinge und Eure Gnade, so möchten wir wohl eine neue k. k. Nation sein können. Nun seht uns an, Ihr goldenen Herren von Olmütz; wir haben das Alles auch, so gut wie die Nuthenen und die Naizen. Zuerst haben wir eine eigene Sprache. O unsere Sprache ist sehr berühmt und wird in viele» Ländern begehrt; sie ist alt, aber sie ist zart, man spricht sie am liebsten leise einander in's Ohr, wenn der Mond nicht scheint und die Wächter schlafen. Schupper, ein Ehrenmann,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/410
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/410>, abgerufen am 23.12.2024.