Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Straßen, noch in den Restaurationen weiter zu hören, und mußten für immer den
slavischen Nativnalliedcrn den Platz räumen.

Nach der zick- und zwecklosen Lnflschifferci in dem Aether der Freiheit küßte
endlich der Prager Student mit ungestümer Liebe den Boden seiner Heimat.
Nicht mehr die allgemeinen Phrasen des Uffo Horn'schen Idealismus, sondern die
concrete Leidenschaft Seur's und Hurban's, die in grellen, ergreifenden Bildern
den mitzürnenden Zuhörern die Passionsgeschichte der Slavenstämme erzählten,
bewegte jetzt das Gemüth des Präger Studenten, und er stieß immer mehr durch
die derbe Kraft seines autochthonischen Bewußtseins seinen deutschen Kollegen von
sich ab.

Die nationalen Gegensätze in dem Prager Studentenleben traten zuerst bei
dem bekannten Bänderstreite in der ersten Hälfte des April mit Bestimmtheit
heraus, der den völligen Bruch in der Studentenschaft und die erfolglosen Zän¬
kereien zwischen dem Nationalcomite und dem constitutionellen Verein herbeiführte.
Die Frage über Oestreichs Anschluß war eben in dem deutschen Vorparlament zur
Sprache gekommen -- und sogleich gab sich das Verlangen der deutschen Bevöl¬
kerung Prags nach einer innigen Verbindung mit Deutschland in der naiven
Zeichensprache der schwarz-roth-goldenen Cocarden und Bänder kund. Auch die
deutschen Studenten legten die Farben des großen Arndt'schen Vaterlandes an,
und schieden sich durch ein solches Abzeichen selbst von der übrigen Studenten¬
schaft als ein fremdartiges Element ab. Dazu kam noch, daß Professor Kvubek,
Tribun der philosophischen Cohorte und Lehrer der böhmischen Sprache und Lite¬
ratur, in seinem Corps das Tragen der deutschen Bänder und Cocarden als eine
symbolische Polemik gegen den offenen Brief Palacky's an Soiron aufs Strengste
verbot. Die Folge davon war, daß sich die deutschen Studenten unter den Schutz
des constitutionellen Vereins begaben, und obgleich sie noch immer der Legion
angehörten, als eine abtrünnige Secte von der Majorität der czechischen College"
mit scheelen Blicken angesehen wurden. Sie mußten sich am Ende doch dem Willen
der Mehrzahl fügen und auf ihre Cocardenromantik Verzicht leisten; aber die
czechischen Studenten legten ihr Roth-blau-weiß seit dem Slavencongreß nicht
wieder ab, und noch immer wölbt sich der panslavistische Jrisbogen über dem Ho¬
rizonte von Prag, den die in Kroatien aufgegangene "Sonne der slavischen Frei¬
heit" an unsern Himmel warf.

Mit der "ungeheure" Heiterkeit" des Burschenlebens hatte es nun ein für
allemal ein Ende, und die Einheit des studentischen Bewußtseins ging über dem
an den jugendlichen Gemüthern zehrenden, nationalen Gegensatze vollends unter.
So hatten auch die Burschenschafter, namentlich die Teutonia und Slavia, die sich
um jene Zeit bildeten, mit den Verbindungen, wie sie unter deutschen Studenten
üblich sind, durchaus nichts gemein. Es waren abgeschlossene Gemeinden, wovon


Grenzboten. I. ISiv. 5

Straßen, noch in den Restaurationen weiter zu hören, und mußten für immer den
slavischen Nativnalliedcrn den Platz räumen.

Nach der zick- und zwecklosen Lnflschifferci in dem Aether der Freiheit küßte
endlich der Prager Student mit ungestümer Liebe den Boden seiner Heimat.
Nicht mehr die allgemeinen Phrasen des Uffo Horn'schen Idealismus, sondern die
concrete Leidenschaft Seur's und Hurban's, die in grellen, ergreifenden Bildern
den mitzürnenden Zuhörern die Passionsgeschichte der Slavenstämme erzählten,
bewegte jetzt das Gemüth des Präger Studenten, und er stieß immer mehr durch
die derbe Kraft seines autochthonischen Bewußtseins seinen deutschen Kollegen von
sich ab.

Die nationalen Gegensätze in dem Prager Studentenleben traten zuerst bei
dem bekannten Bänderstreite in der ersten Hälfte des April mit Bestimmtheit
heraus, der den völligen Bruch in der Studentenschaft und die erfolglosen Zän¬
kereien zwischen dem Nationalcomite und dem constitutionellen Verein herbeiführte.
Die Frage über Oestreichs Anschluß war eben in dem deutschen Vorparlament zur
Sprache gekommen — und sogleich gab sich das Verlangen der deutschen Bevöl¬
kerung Prags nach einer innigen Verbindung mit Deutschland in der naiven
Zeichensprache der schwarz-roth-goldenen Cocarden und Bänder kund. Auch die
deutschen Studenten legten die Farben des großen Arndt'schen Vaterlandes an,
und schieden sich durch ein solches Abzeichen selbst von der übrigen Studenten¬
schaft als ein fremdartiges Element ab. Dazu kam noch, daß Professor Kvubek,
Tribun der philosophischen Cohorte und Lehrer der böhmischen Sprache und Lite¬
ratur, in seinem Corps das Tragen der deutschen Bänder und Cocarden als eine
symbolische Polemik gegen den offenen Brief Palacky's an Soiron aufs Strengste
verbot. Die Folge davon war, daß sich die deutschen Studenten unter den Schutz
des constitutionellen Vereins begaben, und obgleich sie noch immer der Legion
angehörten, als eine abtrünnige Secte von der Majorität der czechischen College»
mit scheelen Blicken angesehen wurden. Sie mußten sich am Ende doch dem Willen
der Mehrzahl fügen und auf ihre Cocardenromantik Verzicht leisten; aber die
czechischen Studenten legten ihr Roth-blau-weiß seit dem Slavencongreß nicht
wieder ab, und noch immer wölbt sich der panslavistische Jrisbogen über dem Ho¬
rizonte von Prag, den die in Kroatien aufgegangene „Sonne der slavischen Frei¬
heit" an unsern Himmel warf.

Mit der „ungeheure» Heiterkeit" des Burschenlebens hatte es nun ein für
allemal ein Ende, und die Einheit des studentischen Bewußtseins ging über dem
an den jugendlichen Gemüthern zehrenden, nationalen Gegensatze vollends unter.
So hatten auch die Burschenschafter, namentlich die Teutonia und Slavia, die sich
um jene Zeit bildeten, mit den Verbindungen, wie sie unter deutschen Studenten
üblich sind, durchaus nichts gemein. Es waren abgeschlossene Gemeinden, wovon


Grenzboten. I. ISiv. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278029"/>
          <p xml:id="ID_119" prev="#ID_118"> Straßen, noch in den Restaurationen weiter zu hören, und mußten für immer den<lb/>
slavischen Nativnalliedcrn den Platz räumen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_120"> Nach der zick- und zwecklosen Lnflschifferci in dem Aether der Freiheit küßte<lb/>
endlich der Prager Student mit ungestümer Liebe den Boden seiner Heimat.<lb/>
Nicht mehr die allgemeinen Phrasen des Uffo Horn'schen Idealismus, sondern die<lb/>
concrete Leidenschaft Seur's und Hurban's, die in grellen, ergreifenden Bildern<lb/>
den mitzürnenden Zuhörern die Passionsgeschichte der Slavenstämme erzählten,<lb/>
bewegte jetzt das Gemüth des Präger Studenten, und er stieß immer mehr durch<lb/>
die derbe Kraft seines autochthonischen Bewußtseins seinen deutschen Kollegen von<lb/>
sich ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_121"> Die nationalen Gegensätze in dem Prager Studentenleben traten zuerst bei<lb/>
dem bekannten Bänderstreite in der ersten Hälfte des April mit Bestimmtheit<lb/>
heraus, der den völligen Bruch in der Studentenschaft und die erfolglosen Zän¬<lb/>
kereien zwischen dem Nationalcomite und dem constitutionellen Verein herbeiführte.<lb/>
Die Frage über Oestreichs Anschluß war eben in dem deutschen Vorparlament zur<lb/>
Sprache gekommen &#x2014; und sogleich gab sich das Verlangen der deutschen Bevöl¬<lb/>
kerung Prags nach einer innigen Verbindung mit Deutschland in der naiven<lb/>
Zeichensprache der schwarz-roth-goldenen Cocarden und Bänder kund. Auch die<lb/>
deutschen Studenten legten die Farben des großen Arndt'schen Vaterlandes an,<lb/>
und schieden sich durch ein solches Abzeichen selbst von der übrigen Studenten¬<lb/>
schaft als ein fremdartiges Element ab. Dazu kam noch, daß Professor Kvubek,<lb/>
Tribun der philosophischen Cohorte und Lehrer der böhmischen Sprache und Lite¬<lb/>
ratur, in seinem Corps das Tragen der deutschen Bänder und Cocarden als eine<lb/>
symbolische Polemik gegen den offenen Brief Palacky's an Soiron aufs Strengste<lb/>
verbot. Die Folge davon war, daß sich die deutschen Studenten unter den Schutz<lb/>
des constitutionellen Vereins begaben, und obgleich sie noch immer der Legion<lb/>
angehörten, als eine abtrünnige Secte von der Majorität der czechischen College»<lb/>
mit scheelen Blicken angesehen wurden. Sie mußten sich am Ende doch dem Willen<lb/>
der Mehrzahl fügen und auf ihre Cocardenromantik Verzicht leisten; aber die<lb/>
czechischen Studenten legten ihr Roth-blau-weiß seit dem Slavencongreß nicht<lb/>
wieder ab, und noch immer wölbt sich der panslavistische Jrisbogen über dem Ho¬<lb/>
rizonte von Prag, den die in Kroatien aufgegangene &#x201E;Sonne der slavischen Frei¬<lb/>
heit" an unsern Himmel warf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_122" next="#ID_123"> Mit der &#x201E;ungeheure» Heiterkeit" des Burschenlebens hatte es nun ein für<lb/>
allemal ein Ende, und die Einheit des studentischen Bewußtseins ging über dem<lb/>
an den jugendlichen Gemüthern zehrenden, nationalen Gegensatze vollends unter.<lb/>
So hatten auch die Burschenschafter, namentlich die Teutonia und Slavia, die sich<lb/>
um jene Zeit bildeten, mit den Verbindungen, wie sie unter deutschen Studenten<lb/>
üblich sind, durchaus nichts gemein. Es waren abgeschlossene Gemeinden, wovon</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. ISiv. 5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0041] Straßen, noch in den Restaurationen weiter zu hören, und mußten für immer den slavischen Nativnalliedcrn den Platz räumen. Nach der zick- und zwecklosen Lnflschifferci in dem Aether der Freiheit küßte endlich der Prager Student mit ungestümer Liebe den Boden seiner Heimat. Nicht mehr die allgemeinen Phrasen des Uffo Horn'schen Idealismus, sondern die concrete Leidenschaft Seur's und Hurban's, die in grellen, ergreifenden Bildern den mitzürnenden Zuhörern die Passionsgeschichte der Slavenstämme erzählten, bewegte jetzt das Gemüth des Präger Studenten, und er stieß immer mehr durch die derbe Kraft seines autochthonischen Bewußtseins seinen deutschen Kollegen von sich ab. Die nationalen Gegensätze in dem Prager Studentenleben traten zuerst bei dem bekannten Bänderstreite in der ersten Hälfte des April mit Bestimmtheit heraus, der den völligen Bruch in der Studentenschaft und die erfolglosen Zän¬ kereien zwischen dem Nationalcomite und dem constitutionellen Verein herbeiführte. Die Frage über Oestreichs Anschluß war eben in dem deutschen Vorparlament zur Sprache gekommen — und sogleich gab sich das Verlangen der deutschen Bevöl¬ kerung Prags nach einer innigen Verbindung mit Deutschland in der naiven Zeichensprache der schwarz-roth-goldenen Cocarden und Bänder kund. Auch die deutschen Studenten legten die Farben des großen Arndt'schen Vaterlandes an, und schieden sich durch ein solches Abzeichen selbst von der übrigen Studenten¬ schaft als ein fremdartiges Element ab. Dazu kam noch, daß Professor Kvubek, Tribun der philosophischen Cohorte und Lehrer der böhmischen Sprache und Lite¬ ratur, in seinem Corps das Tragen der deutschen Bänder und Cocarden als eine symbolische Polemik gegen den offenen Brief Palacky's an Soiron aufs Strengste verbot. Die Folge davon war, daß sich die deutschen Studenten unter den Schutz des constitutionellen Vereins begaben, und obgleich sie noch immer der Legion angehörten, als eine abtrünnige Secte von der Majorität der czechischen College» mit scheelen Blicken angesehen wurden. Sie mußten sich am Ende doch dem Willen der Mehrzahl fügen und auf ihre Cocardenromantik Verzicht leisten; aber die czechischen Studenten legten ihr Roth-blau-weiß seit dem Slavencongreß nicht wieder ab, und noch immer wölbt sich der panslavistische Jrisbogen über dem Ho¬ rizonte von Prag, den die in Kroatien aufgegangene „Sonne der slavischen Frei¬ heit" an unsern Himmel warf. Mit der „ungeheure» Heiterkeit" des Burschenlebens hatte es nun ein für allemal ein Ende, und die Einheit des studentischen Bewußtseins ging über dem an den jugendlichen Gemüthern zehrenden, nationalen Gegensatze vollends unter. So hatten auch die Burschenschafter, namentlich die Teutonia und Slavia, die sich um jene Zeit bildeten, mit den Verbindungen, wie sie unter deutschen Studenten üblich sind, durchaus nichts gemein. Es waren abgeschlossene Gemeinden, wovon Grenzboten. I. ISiv. 5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/41
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/41>, abgerufen am 23.07.2024.