Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

trug, was diesmal leider, nicht geschah. Solchen instüiktartigcn, mit großem Scharf¬
blick für Materials und formale Zweckmäßigkeit verbundenen Trieb aber darf man
nicht mit der kurzen Bezeichnung "Leichtfertigkeit der Nation" abfertigen, sondern
muß von umfassenderen Gestchtspuncte aus, anerkennen, daß in den verschiedenen
geschichtlichen Aufgaben, zu deren Lösung die Völker berufen sind, Frankreich, wie
das schou anderswo mit großer Einsicht ausgesprochen worden, bestimmt ist, der
Probirstein für die wirkliche Geltung und die Wahrheit aller der Principien zu
sein, welche das practische und staatliche Leben beherrschen.

Die Pariser sind jetzt der Revolutionen überdrüssig, und die Provinzen sind
ihrer Hauptstadt sehr überdrüssig. -- Die Revolution von 1848 hat der Autorität
von Paris einen Todesstoß gegeben, sie hebt die Centralisation Frankreichs
auf und wird so allmälig ein edles Volk frei machen. -- Wo das zu erreichen
ist, kann man sich die Buonaparte's schon für eine Weile gefallen lassen Lange
.
Aug. V--. danertS nicht mehr.




Aus Berlin.

Hat Fortuna gleich nicht die Gewogenheit gehabt, mich einen Treffer ziehen
zu lassen aus der Verlvsungsurne der Billets für den weißen Saal, so kann ich
mir's doch nicht versagen, Ihnen mit einigen Worten den Eindruck zu schildern,
den unser hiesiges Treiben gewährt, seitdem der Athem der Freiheit es wieder durch¬
weht. Freilich ist es nur ein leiser Lufthauch, stark temperirt dnrch den Belage¬
rungszustand, kein Sirokko der zur Wahrheit gewordenen Anarchie. Die schönen
Tuge von Aranjuez sind vorüber; um köstliche Scenen hat uns der alte Haudegen
gebracht, die prächtigen Gestalten der Nehberger hat er leider ans immer von un¬
sern Straßen verbannt -- sie führen mir noch als Masken ein gespenstisches Schein¬
leben fort auf dem Theater des Casino. Die Zeiten stehe" schlimm sür den Hu¬
moristen, kaum daß ihm Wrangel eine kleine Aehrenlese übrig gelassen. Es wird
entschieden nothwendig sein, sich auf Leitartikel zu legen. -

Einiges zwar hat der Belagerungszustand wieder gut gemacht, und das un¬
populäre Ministerium: Dierschke ist glücklich wieder da und strotzt von Gesundheit
-- in deu letzten Tagen der Constituante hatten ihn die politischen Sorgen arg
mitgenommen. Aber, wenn ich sie so zähle, die Häupter meiner Lieben -- ach,
mir fehlt manch theures Haupt! Da ist kein ehrenfester Pieper, kein redseliger
Weichsel -- selbst Krause ist verschwunden, der alte Veteran des ständischen Prin¬
cipes, der alle Provinzial- und vereinigten Landtage, sowie die Constituante be¬
sucht und immer so gestimmt hat, daß ihm kein Kind etwas zu Leide gethan. Ja
selbst Michel Mroß ist daheim geblieben -- trnuren Sie mit mir! purer"" rür"


trug, was diesmal leider, nicht geschah. Solchen instüiktartigcn, mit großem Scharf¬
blick für Materials und formale Zweckmäßigkeit verbundenen Trieb aber darf man
nicht mit der kurzen Bezeichnung „Leichtfertigkeit der Nation" abfertigen, sondern
muß von umfassenderen Gestchtspuncte aus, anerkennen, daß in den verschiedenen
geschichtlichen Aufgaben, zu deren Lösung die Völker berufen sind, Frankreich, wie
das schou anderswo mit großer Einsicht ausgesprochen worden, bestimmt ist, der
Probirstein für die wirkliche Geltung und die Wahrheit aller der Principien zu
sein, welche das practische und staatliche Leben beherrschen.

Die Pariser sind jetzt der Revolutionen überdrüssig, und die Provinzen sind
ihrer Hauptstadt sehr überdrüssig. — Die Revolution von 1848 hat der Autorität
von Paris einen Todesstoß gegeben, sie hebt die Centralisation Frankreichs
auf und wird so allmälig ein edles Volk frei machen. — Wo das zu erreichen
ist, kann man sich die Buonaparte's schon für eine Weile gefallen lassen Lange
.
Aug. V—. danertS nicht mehr.




Aus Berlin.

Hat Fortuna gleich nicht die Gewogenheit gehabt, mich einen Treffer ziehen
zu lassen aus der Verlvsungsurne der Billets für den weißen Saal, so kann ich
mir's doch nicht versagen, Ihnen mit einigen Worten den Eindruck zu schildern,
den unser hiesiges Treiben gewährt, seitdem der Athem der Freiheit es wieder durch¬
weht. Freilich ist es nur ein leiser Lufthauch, stark temperirt dnrch den Belage¬
rungszustand, kein Sirokko der zur Wahrheit gewordenen Anarchie. Die schönen
Tuge von Aranjuez sind vorüber; um köstliche Scenen hat uns der alte Haudegen
gebracht, die prächtigen Gestalten der Nehberger hat er leider ans immer von un¬
sern Straßen verbannt — sie führen mir noch als Masken ein gespenstisches Schein¬
leben fort auf dem Theater des Casino. Die Zeiten stehe» schlimm sür den Hu¬
moristen, kaum daß ihm Wrangel eine kleine Aehrenlese übrig gelassen. Es wird
entschieden nothwendig sein, sich auf Leitartikel zu legen. -

Einiges zwar hat der Belagerungszustand wieder gut gemacht, und das un¬
populäre Ministerium: Dierschke ist glücklich wieder da und strotzt von Gesundheit
— in deu letzten Tagen der Constituante hatten ihn die politischen Sorgen arg
mitgenommen. Aber, wenn ich sie so zähle, die Häupter meiner Lieben — ach,
mir fehlt manch theures Haupt! Da ist kein ehrenfester Pieper, kein redseliger
Weichsel — selbst Krause ist verschwunden, der alte Veteran des ständischen Prin¬
cipes, der alle Provinzial- und vereinigten Landtage, sowie die Constituante be¬
sucht und immer so gestimmt hat, daß ihm kein Kind etwas zu Leide gethan. Ja
selbst Michel Mroß ist daheim geblieben — trnuren Sie mit mir! purer»» rür»


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0407" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278395"/>
          <p xml:id="ID_2466" prev="#ID_2465"> trug, was diesmal leider, nicht geschah. Solchen instüiktartigcn, mit großem Scharf¬<lb/>
blick für Materials und formale Zweckmäßigkeit verbundenen Trieb aber darf man<lb/>
nicht mit der kurzen Bezeichnung &#x201E;Leichtfertigkeit der Nation" abfertigen, sondern<lb/>
muß von umfassenderen Gestchtspuncte aus, anerkennen, daß in den verschiedenen<lb/>
geschichtlichen Aufgaben, zu deren Lösung die Völker berufen sind, Frankreich, wie<lb/>
das schou anderswo mit großer Einsicht ausgesprochen worden, bestimmt ist, der<lb/>
Probirstein für die wirkliche Geltung und die Wahrheit aller der Principien zu<lb/>
sein, welche das practische und staatliche Leben beherrschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2467"> Die Pariser sind jetzt der Revolutionen überdrüssig, und die Provinzen sind<lb/>
ihrer Hauptstadt sehr überdrüssig. &#x2014; Die Revolution von 1848 hat der Autorität<lb/>
von Paris einen Todesstoß gegeben, sie hebt die Centralisation Frankreichs<lb/>
auf und wird so allmälig ein edles Volk frei machen. &#x2014; Wo das zu erreichen<lb/>
ist, kann man sich die Buonaparte's schon für eine Weile gefallen lassen Lange<lb/><note type="byline"> .<lb/>
Aug. V&#x2014;.</note> danertS nicht mehr. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aus Berlin.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2468"> Hat Fortuna gleich nicht die Gewogenheit gehabt, mich einen Treffer ziehen<lb/>
zu lassen aus der Verlvsungsurne der Billets für den weißen Saal, so kann ich<lb/>
mir's doch nicht versagen, Ihnen mit einigen Worten den Eindruck zu schildern,<lb/>
den unser hiesiges Treiben gewährt, seitdem der Athem der Freiheit es wieder durch¬<lb/>
weht. Freilich ist es nur ein leiser Lufthauch, stark temperirt dnrch den Belage¬<lb/>
rungszustand, kein Sirokko der zur Wahrheit gewordenen Anarchie. Die schönen<lb/>
Tuge von Aranjuez sind vorüber; um köstliche Scenen hat uns der alte Haudegen<lb/>
gebracht, die prächtigen Gestalten der Nehberger hat er leider ans immer von un¬<lb/>
sern Straßen verbannt &#x2014; sie führen mir noch als Masken ein gespenstisches Schein¬<lb/>
leben fort auf dem Theater des Casino. Die Zeiten stehe» schlimm sür den Hu¬<lb/>
moristen, kaum daß ihm Wrangel eine kleine Aehrenlese übrig gelassen. Es wird<lb/>
entschieden nothwendig sein, sich auf Leitartikel zu legen. -</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2469" next="#ID_2470"> Einiges zwar hat der Belagerungszustand wieder gut gemacht, und das un¬<lb/>
populäre Ministerium: Dierschke ist glücklich wieder da und strotzt von Gesundheit<lb/>
&#x2014; in deu letzten Tagen der Constituante hatten ihn die politischen Sorgen arg<lb/>
mitgenommen. Aber, wenn ich sie so zähle, die Häupter meiner Lieben &#x2014; ach,<lb/>
mir fehlt manch theures Haupt! Da ist kein ehrenfester Pieper, kein redseliger<lb/>
Weichsel &#x2014; selbst Krause ist verschwunden, der alte Veteran des ständischen Prin¬<lb/>
cipes, der alle Provinzial- und vereinigten Landtage, sowie die Constituante be¬<lb/>
sucht und immer so gestimmt hat, daß ihm kein Kind etwas zu Leide gethan. Ja<lb/>
selbst Michel Mroß ist daheim geblieben &#x2014; trnuren Sie mit mir! purer»» rür»</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0407] trug, was diesmal leider, nicht geschah. Solchen instüiktartigcn, mit großem Scharf¬ blick für Materials und formale Zweckmäßigkeit verbundenen Trieb aber darf man nicht mit der kurzen Bezeichnung „Leichtfertigkeit der Nation" abfertigen, sondern muß von umfassenderen Gestchtspuncte aus, anerkennen, daß in den verschiedenen geschichtlichen Aufgaben, zu deren Lösung die Völker berufen sind, Frankreich, wie das schou anderswo mit großer Einsicht ausgesprochen worden, bestimmt ist, der Probirstein für die wirkliche Geltung und die Wahrheit aller der Principien zu sein, welche das practische und staatliche Leben beherrschen. Die Pariser sind jetzt der Revolutionen überdrüssig, und die Provinzen sind ihrer Hauptstadt sehr überdrüssig. — Die Revolution von 1848 hat der Autorität von Paris einen Todesstoß gegeben, sie hebt die Centralisation Frankreichs auf und wird so allmälig ein edles Volk frei machen. — Wo das zu erreichen ist, kann man sich die Buonaparte's schon für eine Weile gefallen lassen Lange . Aug. V—. danertS nicht mehr. Aus Berlin. Hat Fortuna gleich nicht die Gewogenheit gehabt, mich einen Treffer ziehen zu lassen aus der Verlvsungsurne der Billets für den weißen Saal, so kann ich mir's doch nicht versagen, Ihnen mit einigen Worten den Eindruck zu schildern, den unser hiesiges Treiben gewährt, seitdem der Athem der Freiheit es wieder durch¬ weht. Freilich ist es nur ein leiser Lufthauch, stark temperirt dnrch den Belage¬ rungszustand, kein Sirokko der zur Wahrheit gewordenen Anarchie. Die schönen Tuge von Aranjuez sind vorüber; um köstliche Scenen hat uns der alte Haudegen gebracht, die prächtigen Gestalten der Nehberger hat er leider ans immer von un¬ sern Straßen verbannt — sie führen mir noch als Masken ein gespenstisches Schein¬ leben fort auf dem Theater des Casino. Die Zeiten stehe» schlimm sür den Hu¬ moristen, kaum daß ihm Wrangel eine kleine Aehrenlese übrig gelassen. Es wird entschieden nothwendig sein, sich auf Leitartikel zu legen. - Einiges zwar hat der Belagerungszustand wieder gut gemacht, und das un¬ populäre Ministerium: Dierschke ist glücklich wieder da und strotzt von Gesundheit — in deu letzten Tagen der Constituante hatten ihn die politischen Sorgen arg mitgenommen. Aber, wenn ich sie so zähle, die Häupter meiner Lieben — ach, mir fehlt manch theures Haupt! Da ist kein ehrenfester Pieper, kein redseliger Weichsel — selbst Krause ist verschwunden, der alte Veteran des ständischen Prin¬ cipes, der alle Provinzial- und vereinigten Landtage, sowie die Constituante be¬ sucht und immer so gestimmt hat, daß ihm kein Kind etwas zu Leide gethan. Ja selbst Michel Mroß ist daheim geblieben — trnuren Sie mit mir! purer»» rür»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/407
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/407>, abgerufen am 22.12.2024.