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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Blaukappen der technischen Cohorte als die beiden entgegengesetzten Extreme der
Legion ansah, und die erstem einer vornehmen Behutsamkeit und eines gewissen
politischen Jndifferentismus, die letztern aber einer zügellosen demagogischen Aus¬
gelassenheit beschuldigte. Obgleich nun solche Unterscheidungen einer festern Be¬
gründung entbehrten, so wurden sie doch zuweilen durch die Erfahrung bestätigt;
und namentlich waren es die Schüler des technischen Institutes, welche durch häu¬
fige Betheiligung an Kravatten ihre Cohorte mannigfaltig compromittirten. --

Die am 15. März entworfene Studentenpetition war ein Nothschrei nach
geistiger Sättigung in der Wüste, nach zeitgemäßer Univcrsttätsreform, allgemeiner
Lehr- und Lernfreiheit. Die Fackel der Revolution hatte in die düstern Schul¬
stuben hineingeleuchtet und gezeigt, daß es auch in der Schule Tag werden müsse.
Dieser Gedanke war es zunächst, welcher in den Märztagen den Prager Studenten
mit begeisternder Gewalt erfaßte. Damals forderte er blos die Befreiung von
den unwürdigen Fesseln des Schulzwanges, die Aufhebung des altöstreichischen
Verdummungssystems; während er später die Entfernung des Oberstburggrasen
und Militärcommandanten, die Absetzung des Bürgermeisters und ähnlichen Unsinn
verlangte. Es war in der That ein arger Verstoß Pillersdorf's, daß er durch
die unfreundliche Abfertigung jener Petition die Stimmung des Prager Studenten
trübte, und ihr selbst eine fehlerhafte Richtung gab.

Man darf nicht glauben, daß der Studiosus von Prag gleich im Anfange
jene bestimmt ausgesprochene, individuelle Färbung gehabt habe, die ihn nament¬
lich seit der Pfingstwoche bezeichnet. Seine Begeisterung hatte in den Märztagen
noch keine concrete Bestimmtheit, und noch weniger einen exclusiv nationalen Cha-
racter. Außer der Ueberschwenglichkeit des Freiheitsgefühls, und der "ungeheuren
Heiterkeit" des Burschenlcbeus war damals noch kein weiteres Element darin zu
finden. In dem alten Oestreich war es sehr polizeiwidrig, jung zu sein. Die
Tyrannei ist von Haus aus alt, und fürchtet in dem jungen Nachwuchs den Her¬
cules, der ihre Schlangen in der Wiege erdrückt. Nun durfte sich aber der öst¬
reichische Studiosus ohne Scheu und Furcht seiner Jngend freu'n. Dies that
denn auch der Prager Student aus ganzer Seele, und verpflanzte im Anfange
den Usus des deutschen Bnrschenlcbens auf czechischen Boden, obgleich er hier
aller traditionellen Bedeutung ermangelte. Es wurde um jene Zeit ein unbedeu¬
tendes Lustspiel: "das bemooste Haupt, oder der lange Israel" zum ersten Male
auf der Prager Bühne gegeben, welches ans unsere Studentenschaft einen tiefen
Eindruck machte, weil es die allgemeinen Situationen des Burschenlebens und
noch obendrein einen Charivari enthielt; und man bemühte sich, all diesen Unsinn
so schnell als möglich von den Brettern, die diesmal die Studentenwelt bedeu¬
teten, ins wirkliche Leben zu übertragen. Aber es dauerte nicht lange -- und das
,,.L"ucleamn8 i^nur," das Fuchslied und der Landesvater waren weder aus den


Blaukappen der technischen Cohorte als die beiden entgegengesetzten Extreme der
Legion ansah, und die erstem einer vornehmen Behutsamkeit und eines gewissen
politischen Jndifferentismus, die letztern aber einer zügellosen demagogischen Aus¬
gelassenheit beschuldigte. Obgleich nun solche Unterscheidungen einer festern Be¬
gründung entbehrten, so wurden sie doch zuweilen durch die Erfahrung bestätigt;
und namentlich waren es die Schüler des technischen Institutes, welche durch häu¬
fige Betheiligung an Kravatten ihre Cohorte mannigfaltig compromittirten. —

Die am 15. März entworfene Studentenpetition war ein Nothschrei nach
geistiger Sättigung in der Wüste, nach zeitgemäßer Univcrsttätsreform, allgemeiner
Lehr- und Lernfreiheit. Die Fackel der Revolution hatte in die düstern Schul¬
stuben hineingeleuchtet und gezeigt, daß es auch in der Schule Tag werden müsse.
Dieser Gedanke war es zunächst, welcher in den Märztagen den Prager Studenten
mit begeisternder Gewalt erfaßte. Damals forderte er blos die Befreiung von
den unwürdigen Fesseln des Schulzwanges, die Aufhebung des altöstreichischen
Verdummungssystems; während er später die Entfernung des Oberstburggrasen
und Militärcommandanten, die Absetzung des Bürgermeisters und ähnlichen Unsinn
verlangte. Es war in der That ein arger Verstoß Pillersdorf's, daß er durch
die unfreundliche Abfertigung jener Petition die Stimmung des Prager Studenten
trübte, und ihr selbst eine fehlerhafte Richtung gab.

Man darf nicht glauben, daß der Studiosus von Prag gleich im Anfange
jene bestimmt ausgesprochene, individuelle Färbung gehabt habe, die ihn nament¬
lich seit der Pfingstwoche bezeichnet. Seine Begeisterung hatte in den Märztagen
noch keine concrete Bestimmtheit, und noch weniger einen exclusiv nationalen Cha-
racter. Außer der Ueberschwenglichkeit des Freiheitsgefühls, und der „ungeheuren
Heiterkeit" des Burschenlcbeus war damals noch kein weiteres Element darin zu
finden. In dem alten Oestreich war es sehr polizeiwidrig, jung zu sein. Die
Tyrannei ist von Haus aus alt, und fürchtet in dem jungen Nachwuchs den Her¬
cules, der ihre Schlangen in der Wiege erdrückt. Nun durfte sich aber der öst¬
reichische Studiosus ohne Scheu und Furcht seiner Jngend freu'n. Dies that
denn auch der Prager Student aus ganzer Seele, und verpflanzte im Anfange
den Usus des deutschen Bnrschenlcbens auf czechischen Boden, obgleich er hier
aller traditionellen Bedeutung ermangelte. Es wurde um jene Zeit ein unbedeu¬
tendes Lustspiel: „das bemooste Haupt, oder der lange Israel" zum ersten Male
auf der Prager Bühne gegeben, welches ans unsere Studentenschaft einen tiefen
Eindruck machte, weil es die allgemeinen Situationen des Burschenlebens und
noch obendrein einen Charivari enthielt; und man bemühte sich, all diesen Unsinn
so schnell als möglich von den Brettern, die diesmal die Studentenwelt bedeu¬
teten, ins wirkliche Leben zu übertragen. Aber es dauerte nicht lange — und das
,,.L»ucleamn8 i^nur," das Fuchslied und der Landesvater waren weder aus den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/40>, abgerufen am 23.07.2024.