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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Die Russen in Siebenbürgen.
Von der Ferdinandsbrücke.



Die beiden doppelköpsigen Aare Europas haben sich in Siebenbürgen zu"
sammengcscllt, fahre wohl, Reichstag von Kremsier, du armes Huhn, mit deinen
gesträubten Federn; fahret wohl, ihr Sterne Oestreichs, ihr glänzenden Hoff¬
nungen warmer Herzen! Wehe über dich, mein Vaterland!

Was klagt die Eule am Brückenrand? Was ist so Großes geschehen? ES
ist Alles ganz natürlich gekommen. Ein magyarischer Bandenführer wird nach
Siebenbürgen gedrängt, die Szekler helfen ihm gegen Sachsen und Rumaineu;
er bedroht die reichen Hauptstädte der Sachsen, welche der östreichische General
nicht zu schützen vermag; die Sachsen rufen aus den Donaufürstenthümern die
Hilfe der "Nachbarn" herzu; 10,000 Russen rücken zur Unterstützung der kaiser¬
lichen Truppen hilfreich in die gefährdete Grenzprovinz. Sie werden gute Manns-
zucht halten, sie werden helfen den Bem hinauszujagen, sie werden nicht länger
bleiben, als nöthig ist. Was ist dabei so Ungeheures. Es ist ein unglücklicher
Zufall, unbequem für die Regierung und für unser Selbstgefühl, aber weshalb
soll er so große Folgen haben und ein Verhängniß werden für den Kaiserstaat?

Wohl, das Schicksal hat oft den Humor, aus Kleinem, Zufälligen den Hcnker-
strick sür Große zu drehen. Und wenn wir über das zufällige Ereigniß klagen,
und finster eine tödtliche Schlinge für unser Haupt da erkennen, wo erst dünne
Fäden zu Tage liegen, so wissen wir auch den Grund, warum wir fürchten. Merkt
auf, ihr Männer von Oestreich.

Rußlands Politik ist in ihren Grundzügen die klarste und einfachste der
Welt. Ein ungeheures Gebiet, dessen Ackerbau, Liehzucht, Industrie und
Handel noch in den ersten Stadien der Entwicklung sind, zwingt zu einer
Politik der Ruhe und des Friedens, in welchem der Herrscherwille des Czaaren
seinen Völkern die Wege vorzeichnen kann, in denen sie zu Ordnung, Gesetz und
Cultur kommen sollen. Daß Rußland als despotischer Staat, wenn es bestehen
will, seine Völker in einen abgesteckten Weg hereintrcibcn, dnrch todte Formeln
und drückende Schablonen die selbstkräftigc Entwickelung der einzelnen Stämme
zerstören muß; daß es oft ungebildetes Leben tödten muß, um einen todten Schein
von Bildung hervorzubringen, ist sein Fluch und macht es zum Feind jedes freien
Mannes. Und weil das Prinzip Rußlands der tödtliche Feind volksthümlicher
Freiheit, auch unserer Freiheit ist, grade deshalb müssen wir dem großen Sinn und
der Riesenkraft, durch welche es regiert wird, Gerechtigkeit wiederfahren lassen.
Der Czaar erkennt sehr wohl, daß jeder Schritt, welchen er nach Westen zu vor-


Gr-Njboten. i. l"jg. Hg
Die Russen in Siebenbürgen.
Von der Ferdinandsbrücke.



Die beiden doppelköpsigen Aare Europas haben sich in Siebenbürgen zu«
sammengcscllt, fahre wohl, Reichstag von Kremsier, du armes Huhn, mit deinen
gesträubten Federn; fahret wohl, ihr Sterne Oestreichs, ihr glänzenden Hoff¬
nungen warmer Herzen! Wehe über dich, mein Vaterland!

Was klagt die Eule am Brückenrand? Was ist so Großes geschehen? ES
ist Alles ganz natürlich gekommen. Ein magyarischer Bandenführer wird nach
Siebenbürgen gedrängt, die Szekler helfen ihm gegen Sachsen und Rumaineu;
er bedroht die reichen Hauptstädte der Sachsen, welche der östreichische General
nicht zu schützen vermag; die Sachsen rufen aus den Donaufürstenthümern die
Hilfe der „Nachbarn" herzu; 10,000 Russen rücken zur Unterstützung der kaiser¬
lichen Truppen hilfreich in die gefährdete Grenzprovinz. Sie werden gute Manns-
zucht halten, sie werden helfen den Bem hinauszujagen, sie werden nicht länger
bleiben, als nöthig ist. Was ist dabei so Ungeheures. Es ist ein unglücklicher
Zufall, unbequem für die Regierung und für unser Selbstgefühl, aber weshalb
soll er so große Folgen haben und ein Verhängniß werden für den Kaiserstaat?

Wohl, das Schicksal hat oft den Humor, aus Kleinem, Zufälligen den Hcnker-
strick sür Große zu drehen. Und wenn wir über das zufällige Ereigniß klagen,
und finster eine tödtliche Schlinge für unser Haupt da erkennen, wo erst dünne
Fäden zu Tage liegen, so wissen wir auch den Grund, warum wir fürchten. Merkt
auf, ihr Männer von Oestreich.

Rußlands Politik ist in ihren Grundzügen die klarste und einfachste der
Welt. Ein ungeheures Gebiet, dessen Ackerbau, Liehzucht, Industrie und
Handel noch in den ersten Stadien der Entwicklung sind, zwingt zu einer
Politik der Ruhe und des Friedens, in welchem der Herrscherwille des Czaaren
seinen Völkern die Wege vorzeichnen kann, in denen sie zu Ordnung, Gesetz und
Cultur kommen sollen. Daß Rußland als despotischer Staat, wenn es bestehen
will, seine Völker in einen abgesteckten Weg hereintrcibcn, dnrch todte Formeln
und drückende Schablonen die selbstkräftigc Entwickelung der einzelnen Stämme
zerstören muß; daß es oft ungebildetes Leben tödten muß, um einen todten Schein
von Bildung hervorzubringen, ist sein Fluch und macht es zum Feind jedes freien
Mannes. Und weil das Prinzip Rußlands der tödtliche Feind volksthümlicher
Freiheit, auch unserer Freiheit ist, grade deshalb müssen wir dem großen Sinn und
der Riesenkraft, durch welche es regiert wird, Gerechtigkeit wiederfahren lassen.
Der Czaar erkennt sehr wohl, daß jeder Schritt, welchen er nach Westen zu vor-


Gr-Njboten. i. l«jg. Hg
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[0393] Die Russen in Siebenbürgen. Von der Ferdinandsbrücke. Die beiden doppelköpsigen Aare Europas haben sich in Siebenbürgen zu« sammengcscllt, fahre wohl, Reichstag von Kremsier, du armes Huhn, mit deinen gesträubten Federn; fahret wohl, ihr Sterne Oestreichs, ihr glänzenden Hoff¬ nungen warmer Herzen! Wehe über dich, mein Vaterland! Was klagt die Eule am Brückenrand? Was ist so Großes geschehen? ES ist Alles ganz natürlich gekommen. Ein magyarischer Bandenführer wird nach Siebenbürgen gedrängt, die Szekler helfen ihm gegen Sachsen und Rumaineu; er bedroht die reichen Hauptstädte der Sachsen, welche der östreichische General nicht zu schützen vermag; die Sachsen rufen aus den Donaufürstenthümern die Hilfe der „Nachbarn" herzu; 10,000 Russen rücken zur Unterstützung der kaiser¬ lichen Truppen hilfreich in die gefährdete Grenzprovinz. Sie werden gute Manns- zucht halten, sie werden helfen den Bem hinauszujagen, sie werden nicht länger bleiben, als nöthig ist. Was ist dabei so Ungeheures. Es ist ein unglücklicher Zufall, unbequem für die Regierung und für unser Selbstgefühl, aber weshalb soll er so große Folgen haben und ein Verhängniß werden für den Kaiserstaat? Wohl, das Schicksal hat oft den Humor, aus Kleinem, Zufälligen den Hcnker- strick sür Große zu drehen. Und wenn wir über das zufällige Ereigniß klagen, und finster eine tödtliche Schlinge für unser Haupt da erkennen, wo erst dünne Fäden zu Tage liegen, so wissen wir auch den Grund, warum wir fürchten. Merkt auf, ihr Männer von Oestreich. Rußlands Politik ist in ihren Grundzügen die klarste und einfachste der Welt. Ein ungeheures Gebiet, dessen Ackerbau, Liehzucht, Industrie und Handel noch in den ersten Stadien der Entwicklung sind, zwingt zu einer Politik der Ruhe und des Friedens, in welchem der Herrscherwille des Czaaren seinen Völkern die Wege vorzeichnen kann, in denen sie zu Ordnung, Gesetz und Cultur kommen sollen. Daß Rußland als despotischer Staat, wenn es bestehen will, seine Völker in einen abgesteckten Weg hereintrcibcn, dnrch todte Formeln und drückende Schablonen die selbstkräftigc Entwickelung der einzelnen Stämme zerstören muß; daß es oft ungebildetes Leben tödten muß, um einen todten Schein von Bildung hervorzubringen, ist sein Fluch und macht es zum Feind jedes freien Mannes. Und weil das Prinzip Rußlands der tödtliche Feind volksthümlicher Freiheit, auch unserer Freiheit ist, grade deshalb müssen wir dem großen Sinn und der Riesenkraft, durch welche es regiert wird, Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Der Czaar erkennt sehr wohl, daß jeder Schritt, welchen er nach Westen zu vor- Gr-Njboten. i. l«jg. Hg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/393>, abgerufen am 22.12.2024.