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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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sich nicht durch den Vorwitz der Massen von dem Ruder des Staates hinweg¬
drängen lasse. In Oestreich dagegen hatte das stets ruhige Volk und die stets
ungestörte Regierung keine andern Erfahrungen aufzuweisen, als diejenigen, die
man beiderseits vom März bis zum October machte; und eben so ging die ver¬
nünftige Einsicht in das, was noth thut, der Bewegung keineswegs voran, son¬
dern folgte ihr leider spät genug nach. Die östreichische Revolution hatte keinen
bestimmter ausgesprochenen, idealen Gehalt, als eben den, welchen wir schon in
Anastastus Grün's "Spaziergängen", in den "gepanzerten Liedern" von Karl
Beck, in Hartmanns "Kelch und Schwert" -- überhaupt in den politischen Klage-
und Rachesängen der geflüchteten Poeten Oestreichs antreffen; und der Idealis¬
mus jenes unbestimmten Freiheitsdranges machte sich auch in deu Märztagen auf
eine ganz allgemeine Weise geltend. Dieselben Jünglinge, die früher in der
Stille ihres Kämmerleins jene verpöntem Verse sich vorrecitirten, und im Gehei¬
men den verbotenen Cultus der Freiheitsidee begingen, stürmten jetzt hinaus aus
den Schauplatz der Geschichte, verjagten jenen alten Diplomaten, der Oestreich
und Deutschland so lange geknechtet hatte, und erkämpften dem Volke eine "Con-
stitution!" Weil sich eben die Jngend dem Idealismus der Freiheit mit voller
Unbefangenheit hingab, so besaß auch sie zunächst den naiven Muth der Revolution.
Die harmlose Stndentenphrase, der Gegensatz zwischen dem engherzigen Philisterthum
und dem heitern burschikosen Sinn wurde in Oestreich welthistorisch, und erwei¬
terte sich mit einem Male zu dem Gegensatz von alter und neuer Zeit, von Ab¬
solutismus und Freiheit. Die "Demokratie" der Wiener war eben nichts als der
in'S Volk übergegangene, burschikose Geist der Aula -- während der niederge¬
kämpfte Mctternichismns eben nur als das durch den Studentensieg vollkommen ge¬
brochene System des Philisterthums gelten mußte. Die Wiener Studenten haben
für ihre idealen Wünsche die vage Formel der "demokratischen Monarchie" gefun¬
den, deren Symbol die mit dem Bilde des Kaisers geschmückte Barrikade ist.
Diese Formel hat eben wegen ihrer Vieldeutigkeit die Wiederholung der Revolu¬
tion herbeigeführt, indem man auf solche Weise eine bestimmte Interpretation des
vagen Ausdrucks zur Geltung bringen wollte. Auch jetzt, nach der Katastrophe
der Octobertage läßt mau diese Phrase stehen, weil sie wegen ihrer Vieldeutig¬
keit auch eine harmlose Deutung zuläßt.

Soviel im Allgemeinen über den Wiener Studenten. Nun will ich aber
in einer flüchtigen Skizze das Bild des Prag er Studenten zu entwerfen suchen,
der bisher nur bei einzelnen Anlässen mehr genannt, als besprochen wurde. --

Es war am 15. März, an demselben Tage, wo zum ersten Male das Wort
"Constitution" von hohen Lippen in Wien erschallte, als es auch in dem großen
Promotionssuale des Carolinnms zu Prag ungewöhnlich lebhast herging. Zahl¬
reiche Gruppen von Neugierigen versammelten sich um das Universitätsgebäude,
und warteten das Ende jener lärmenden Versammlung ab, um doch zu erfahren,


sich nicht durch den Vorwitz der Massen von dem Ruder des Staates hinweg¬
drängen lasse. In Oestreich dagegen hatte das stets ruhige Volk und die stets
ungestörte Regierung keine andern Erfahrungen aufzuweisen, als diejenigen, die
man beiderseits vom März bis zum October machte; und eben so ging die ver¬
nünftige Einsicht in das, was noth thut, der Bewegung keineswegs voran, son¬
dern folgte ihr leider spät genug nach. Die östreichische Revolution hatte keinen
bestimmter ausgesprochenen, idealen Gehalt, als eben den, welchen wir schon in
Anastastus Grün's „Spaziergängen", in den „gepanzerten Liedern" von Karl
Beck, in Hartmanns „Kelch und Schwert" — überhaupt in den politischen Klage-
und Rachesängen der geflüchteten Poeten Oestreichs antreffen; und der Idealis¬
mus jenes unbestimmten Freiheitsdranges machte sich auch in deu Märztagen auf
eine ganz allgemeine Weise geltend. Dieselben Jünglinge, die früher in der
Stille ihres Kämmerleins jene verpöntem Verse sich vorrecitirten, und im Gehei¬
men den verbotenen Cultus der Freiheitsidee begingen, stürmten jetzt hinaus aus
den Schauplatz der Geschichte, verjagten jenen alten Diplomaten, der Oestreich
und Deutschland so lange geknechtet hatte, und erkämpften dem Volke eine „Con-
stitution!" Weil sich eben die Jngend dem Idealismus der Freiheit mit voller
Unbefangenheit hingab, so besaß auch sie zunächst den naiven Muth der Revolution.
Die harmlose Stndentenphrase, der Gegensatz zwischen dem engherzigen Philisterthum
und dem heitern burschikosen Sinn wurde in Oestreich welthistorisch, und erwei¬
terte sich mit einem Male zu dem Gegensatz von alter und neuer Zeit, von Ab¬
solutismus und Freiheit. Die „Demokratie" der Wiener war eben nichts als der
in'S Volk übergegangene, burschikose Geist der Aula — während der niederge¬
kämpfte Mctternichismns eben nur als das durch den Studentensieg vollkommen ge¬
brochene System des Philisterthums gelten mußte. Die Wiener Studenten haben
für ihre idealen Wünsche die vage Formel der „demokratischen Monarchie" gefun¬
den, deren Symbol die mit dem Bilde des Kaisers geschmückte Barrikade ist.
Diese Formel hat eben wegen ihrer Vieldeutigkeit die Wiederholung der Revolu¬
tion herbeigeführt, indem man auf solche Weise eine bestimmte Interpretation des
vagen Ausdrucks zur Geltung bringen wollte. Auch jetzt, nach der Katastrophe
der Octobertage läßt mau diese Phrase stehen, weil sie wegen ihrer Vieldeutig¬
keit auch eine harmlose Deutung zuläßt.

Soviel im Allgemeinen über den Wiener Studenten. Nun will ich aber
in einer flüchtigen Skizze das Bild des Prag er Studenten zu entwerfen suchen,
der bisher nur bei einzelnen Anlässen mehr genannt, als besprochen wurde. —

Es war am 15. März, an demselben Tage, wo zum ersten Male das Wort
„Constitution" von hohen Lippen in Wien erschallte, als es auch in dem großen
Promotionssuale des Carolinnms zu Prag ungewöhnlich lebhast herging. Zahl¬
reiche Gruppen von Neugierigen versammelten sich um das Universitätsgebäude,
und warteten das Ende jener lärmenden Versammlung ab, um doch zu erfahren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/38>, abgerufen am 23.12.2024.