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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Gertr.

Liebe Louise, Du wilder Kanarienvogel, Du bist ge¬

(sie liebkosend).

blieben wie Du warst, und Deine Laune wechselt noch immer so schnell wie die
Farbe der Wolken. -- Doch nein, ganz so bist Du uicht, größer, schöner,
voller bist Du geworden.


Georg.

Meinst Du? -- Sieh, das kleine Maal hier am Ohr hab' ich

noch, das hat sich erhalten, und auch die Narbe an den Schläfen, jetzt sieht man
sie nicht, denn ich trage sonst Locken. -- Ach, hier ist Alles unverändert, die Uhr,
der Stuhl, die Bücher liegen noch auf demselben Tisch, und die Brille des guten
alten Herrn. -- Komm, Gertrud, auf dieser Bank, wo wir als Mädchen zusam¬
men saßen im Mondenschein, hier laß uns sitzen und plaudern, wie ehemals
(düster) Nein, nicht wie sonst, denn diese Stunde ist finster und trägt auf ihrem
Flügel ein Verhängniß für uns Beide. -- -- (wild) Und doch sollst Dn bei mir
sitzen, Gertrud, und ich werde Dir etwas in Dein Ohr rannen. -- Und was ich
zu sagen habe, braucht kein Licht, der Mond scheint hell genng zu meinen Wor¬
ten; wenn meine Wangen erglühn, Du sollst es nicht sehen. Verlösch das Licht!

Ich setze den Schirm vor, jetzt erzähle.


Gertr.
Georg,
(traurig lächelnd).

Auch Du bist geblieben, wie Du warst. -- Rucke

näher zu mir, ich erzähle mein Leben. -- Weit, weit von hier am Strand eines
kalten Meeres bin ich geboren, meine Mutter kam mit dem fünfzehnjährigen
Mädchen hierher und starb, ich sang damals lustige Lieder und hatte nichts
zu essen. Da brachte mich ein Musiker zur Oper -- an einem Abend stand ich
mit rothgemalten Wangen unter dreißig andern Mädchen -- da sah er mich an,
und ich gefiel ihm -- zuckst Du zusammen? halte aus, Täubchen. -- Was darauf
folgte, weißt Dn.


Gertr.

Ich weiß es.


Georg.

Ich wurde Euch zur Last; meine Stimme hatte ich verloren, was

verstand ich von Eurer Arbeit? Ich dachte daran mich zu ersäufen und das Kind
mit, dort unten im Strom, wo sie die jungen Katzen hinauswerfen. -- Da fand
mich ein alter Herr, ein fremder Fürst, und nahm mich mit sich nach Paris. Das
Kind ließ ich Euch. -- In der Fremde lernte ich vieles, auch Liebe heucheln;
der Fürst war ein alter Herr und ich war spröde. Nachdem ich ihn fünf Jahr gequält
hatte, zwang ich ihn, mich zu heirathen. -- Er starb an der Gicht, und ich war
reich, man nannte mich Erlaucht. -- Ist das nicht eine wunderliche Geschichte?


Gertr.
(aufstehend).

Mir ist, als säße ich neben einer Natter.


Georg.

Ziere Dich nicht, Dn schöne Tugend, noch bin ich nicht zu Ende,

und Du, Du sollst auch an die Reihe kommen. -- Und überall, immer, immer
dachte ich an ihn, den Einen, den wir Beide kennen, sobald ich frei wurde, zog
es mich hierher zurück, in seine Nähe. War es Haß, war es Liebe, ich weiß
es nicht, aber mein Wille stand fest, er muß mein werden, er muß sühnen, was


Gertr.

Liebe Louise, Du wilder Kanarienvogel, Du bist ge¬

(sie liebkosend).

blieben wie Du warst, und Deine Laune wechselt noch immer so schnell wie die
Farbe der Wolken. -- Doch nein, ganz so bist Du uicht, größer, schöner,
voller bist Du geworden.


Georg.

Meinst Du? — Sieh, das kleine Maal hier am Ohr hab' ich

noch, das hat sich erhalten, und auch die Narbe an den Schläfen, jetzt sieht man
sie nicht, denn ich trage sonst Locken. — Ach, hier ist Alles unverändert, die Uhr,
der Stuhl, die Bücher liegen noch auf demselben Tisch, und die Brille des guten
alten Herrn. — Komm, Gertrud, auf dieser Bank, wo wir als Mädchen zusam¬
men saßen im Mondenschein, hier laß uns sitzen und plaudern, wie ehemals
(düster) Nein, nicht wie sonst, denn diese Stunde ist finster und trägt auf ihrem
Flügel ein Verhängniß für uns Beide. — — (wild) Und doch sollst Dn bei mir
sitzen, Gertrud, und ich werde Dir etwas in Dein Ohr rannen. — Und was ich
zu sagen habe, braucht kein Licht, der Mond scheint hell genng zu meinen Wor¬
ten; wenn meine Wangen erglühn, Du sollst es nicht sehen. Verlösch das Licht!

Ich setze den Schirm vor, jetzt erzähle.


Gertr.
Georg,
(traurig lächelnd).

Auch Du bist geblieben, wie Du warst. — Rucke

näher zu mir, ich erzähle mein Leben. — Weit, weit von hier am Strand eines
kalten Meeres bin ich geboren, meine Mutter kam mit dem fünfzehnjährigen
Mädchen hierher und starb, ich sang damals lustige Lieder und hatte nichts
zu essen. Da brachte mich ein Musiker zur Oper — an einem Abend stand ich
mit rothgemalten Wangen unter dreißig andern Mädchen — da sah er mich an,
und ich gefiel ihm — zuckst Du zusammen? halte aus, Täubchen. — Was darauf
folgte, weißt Dn.


Gertr.

Ich weiß es.


Georg.

Ich wurde Euch zur Last; meine Stimme hatte ich verloren, was

verstand ich von Eurer Arbeit? Ich dachte daran mich zu ersäufen und das Kind
mit, dort unten im Strom, wo sie die jungen Katzen hinauswerfen. — Da fand
mich ein alter Herr, ein fremder Fürst, und nahm mich mit sich nach Paris. Das
Kind ließ ich Euch. — In der Fremde lernte ich vieles, auch Liebe heucheln;
der Fürst war ein alter Herr und ich war spröde. Nachdem ich ihn fünf Jahr gequält
hatte, zwang ich ihn, mich zu heirathen. — Er starb an der Gicht, und ich war
reich, man nannte mich Erlaucht. — Ist das nicht eine wunderliche Geschichte?


Gertr.
(aufstehend).

Mir ist, als säße ich neben einer Natter.


Georg.

Ziere Dich nicht, Dn schöne Tugend, noch bin ich nicht zu Ende,

und Du, Du sollst auch an die Reihe kommen. — Und überall, immer, immer
dachte ich an ihn, den Einen, den wir Beide kennen, sobald ich frei wurde, zog
es mich hierher zurück, in seine Nähe. War es Haß, war es Liebe, ich weiß
es nicht, aber mein Wille stand fest, er muß mein werden, er muß sühnen, was


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[0372] Gertr. Liebe Louise, Du wilder Kanarienvogel, Du bist ge¬ (sie liebkosend). blieben wie Du warst, und Deine Laune wechselt noch immer so schnell wie die Farbe der Wolken. -- Doch nein, ganz so bist Du uicht, größer, schöner, voller bist Du geworden. Georg. Meinst Du? — Sieh, das kleine Maal hier am Ohr hab' ich noch, das hat sich erhalten, und auch die Narbe an den Schläfen, jetzt sieht man sie nicht, denn ich trage sonst Locken. — Ach, hier ist Alles unverändert, die Uhr, der Stuhl, die Bücher liegen noch auf demselben Tisch, und die Brille des guten alten Herrn. — Komm, Gertrud, auf dieser Bank, wo wir als Mädchen zusam¬ men saßen im Mondenschein, hier laß uns sitzen und plaudern, wie ehemals (düster) Nein, nicht wie sonst, denn diese Stunde ist finster und trägt auf ihrem Flügel ein Verhängniß für uns Beide. — — (wild) Und doch sollst Dn bei mir sitzen, Gertrud, und ich werde Dir etwas in Dein Ohr rannen. — Und was ich zu sagen habe, braucht kein Licht, der Mond scheint hell genng zu meinen Wor¬ ten; wenn meine Wangen erglühn, Du sollst es nicht sehen. Verlösch das Licht! Ich setze den Schirm vor, jetzt erzähle. Gertr. Georg, (traurig lächelnd). Auch Du bist geblieben, wie Du warst. — Rucke näher zu mir, ich erzähle mein Leben. — Weit, weit von hier am Strand eines kalten Meeres bin ich geboren, meine Mutter kam mit dem fünfzehnjährigen Mädchen hierher und starb, ich sang damals lustige Lieder und hatte nichts zu essen. Da brachte mich ein Musiker zur Oper — an einem Abend stand ich mit rothgemalten Wangen unter dreißig andern Mädchen — da sah er mich an, und ich gefiel ihm — zuckst Du zusammen? halte aus, Täubchen. — Was darauf folgte, weißt Dn. Gertr. Ich weiß es. Georg. Ich wurde Euch zur Last; meine Stimme hatte ich verloren, was verstand ich von Eurer Arbeit? Ich dachte daran mich zu ersäufen und das Kind mit, dort unten im Strom, wo sie die jungen Katzen hinauswerfen. — Da fand mich ein alter Herr, ein fremder Fürst, und nahm mich mit sich nach Paris. Das Kind ließ ich Euch. — In der Fremde lernte ich vieles, auch Liebe heucheln; der Fürst war ein alter Herr und ich war spröde. Nachdem ich ihn fünf Jahr gequält hatte, zwang ich ihn, mich zu heirathen. — Er starb an der Gicht, und ich war reich, man nannte mich Erlaucht. — Ist das nicht eine wunderliche Geschichte? Gertr. (aufstehend). Mir ist, als säße ich neben einer Natter. Georg. Ziere Dich nicht, Dn schöne Tugend, noch bin ich nicht zu Ende, und Du, Du sollst auch an die Reihe kommen. — Und überall, immer, immer dachte ich an ihn, den Einen, den wir Beide kennen, sobald ich frei wurde, zog es mich hierher zurück, in seine Nähe. War es Haß, war es Liebe, ich weiß es nicht, aber mein Wille stand fest, er muß mein werden, er muß sühnen, was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/372>, abgerufen am 23.12.2024.