Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.Gertr. Liebe Louise, Du wilder Kanarienvogel, Du bist ge¬ (sie liebkosend). blieben wie Du warst, und Deine Laune wechselt noch immer so schnell wie die Georg. Meinst Du? -- Sieh, das kleine Maal hier am Ohr hab' ich noch, das hat sich erhalten, und auch die Narbe an den Schläfen, jetzt sieht man Ich setze den Schirm vor, jetzt erzähle. Gertr. Georg, (traurig lächelnd). Auch Du bist geblieben, wie Du warst. -- Rucke näher zu mir, ich erzähle mein Leben. -- Weit, weit von hier am Strand eines Gertr. Ich weiß es. Georg. Ich wurde Euch zur Last; meine Stimme hatte ich verloren, was verstand ich von Eurer Arbeit? Ich dachte daran mich zu ersäufen und das Kind Gertr. (aufstehend). Mir ist, als säße ich neben einer Natter. Georg. Ziere Dich nicht, Dn schöne Tugend, noch bin ich nicht zu Ende, und Du, Du sollst auch an die Reihe kommen. -- Und überall, immer, immer Gertr. Liebe Louise, Du wilder Kanarienvogel, Du bist ge¬ (sie liebkosend). blieben wie Du warst, und Deine Laune wechselt noch immer so schnell wie die Georg. Meinst Du? — Sieh, das kleine Maal hier am Ohr hab' ich noch, das hat sich erhalten, und auch die Narbe an den Schläfen, jetzt sieht man Ich setze den Schirm vor, jetzt erzähle. Gertr. Georg, (traurig lächelnd). Auch Du bist geblieben, wie Du warst. — Rucke näher zu mir, ich erzähle mein Leben. — Weit, weit von hier am Strand eines Gertr. Ich weiß es. Georg. Ich wurde Euch zur Last; meine Stimme hatte ich verloren, was verstand ich von Eurer Arbeit? Ich dachte daran mich zu ersäufen und das Kind Gertr. (aufstehend). Mir ist, als säße ich neben einer Natter. Georg. Ziere Dich nicht, Dn schöne Tugend, noch bin ich nicht zu Ende, und Du, Du sollst auch an die Reihe kommen. — Und überall, immer, immer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278360"/> <note type="speaker"> Gertr. </note><lb/> <p xml:id="ID_2051" next="#ID_2052"> Liebe Louise, Du wilder Kanarienvogel, Du bist ge¬</p><lb/> <stage> (sie liebkosend).</stage><lb/> <p xml:id="ID_2052" prev="#ID_2051"> blieben wie Du warst, und Deine Laune wechselt noch immer so schnell wie die<lb/> Farbe der Wolken. -- Doch nein, ganz so bist Du uicht, größer, schöner,<lb/> voller bist Du geworden.</p><lb/> <note type="speaker"> Georg.</note><lb/> <p xml:id="ID_2053" next="#ID_2054"> Meinst Du? — Sieh, das kleine Maal hier am Ohr hab' ich</p><lb/> <p xml:id="ID_2054" prev="#ID_2053"> noch, das hat sich erhalten, und auch die Narbe an den Schläfen, jetzt sieht man<lb/> sie nicht, denn ich trage sonst Locken. — Ach, hier ist Alles unverändert, die Uhr,<lb/> der Stuhl, die Bücher liegen noch auf demselben Tisch, und die Brille des guten<lb/> alten Herrn. — Komm, Gertrud, auf dieser Bank, wo wir als Mädchen zusam¬<lb/> men saßen im Mondenschein, hier laß uns sitzen und plaudern, wie ehemals<lb/> (düster) Nein, nicht wie sonst, denn diese Stunde ist finster und trägt auf ihrem<lb/> Flügel ein Verhängniß für uns Beide. — — (wild) Und doch sollst Dn bei mir<lb/> sitzen, Gertrud, und ich werde Dir etwas in Dein Ohr rannen. — Und was ich<lb/> zu sagen habe, braucht kein Licht, der Mond scheint hell genng zu meinen Wor¬<lb/> ten; wenn meine Wangen erglühn, Du sollst es nicht sehen. Verlösch das Licht!</p><lb/> <p xml:id="ID_2055"> Ich setze den Schirm vor, jetzt erzähle.</p><lb/> <note type="speaker"> Gertr. </note><lb/> <note type="speaker"> Georg,</note><lb/> <stage> (traurig lächelnd).</stage><lb/> <p xml:id="ID_2056" next="#ID_2057"> Auch Du bist geblieben, wie Du warst. — Rucke</p><lb/> <p xml:id="ID_2057" prev="#ID_2056"> näher zu mir, ich erzähle mein Leben. — Weit, weit von hier am Strand eines<lb/> kalten Meeres bin ich geboren, meine Mutter kam mit dem fünfzehnjährigen<lb/> Mädchen hierher und starb, ich sang damals lustige Lieder und hatte nichts<lb/> zu essen. Da brachte mich ein Musiker zur Oper — an einem Abend stand ich<lb/> mit rothgemalten Wangen unter dreißig andern Mädchen — da sah er mich an,<lb/> und ich gefiel ihm — zuckst Du zusammen? halte aus, Täubchen. — Was darauf<lb/> folgte, weißt Dn.</p><lb/> <note type="speaker"> Gertr.</note><lb/> <p xml:id="ID_2058"> Ich weiß es.</p><lb/> <note type="speaker"> Georg.</note><lb/> <p xml:id="ID_2059" next="#ID_2060"> Ich wurde Euch zur Last; meine Stimme hatte ich verloren, was</p><lb/> <p xml:id="ID_2060" prev="#ID_2059"> verstand ich von Eurer Arbeit? Ich dachte daran mich zu ersäufen und das Kind<lb/> mit, dort unten im Strom, wo sie die jungen Katzen hinauswerfen. — Da fand<lb/> mich ein alter Herr, ein fremder Fürst, und nahm mich mit sich nach Paris. Das<lb/> Kind ließ ich Euch. — In der Fremde lernte ich vieles, auch Liebe heucheln;<lb/> der Fürst war ein alter Herr und ich war spröde. Nachdem ich ihn fünf Jahr gequält<lb/> hatte, zwang ich ihn, mich zu heirathen. — Er starb an der Gicht, und ich war<lb/> reich, man nannte mich Erlaucht. — Ist das nicht eine wunderliche Geschichte?</p><lb/> <note type="speaker"> Gertr.</note><lb/> <stage> (aufstehend).</stage><lb/> <p xml:id="ID_2061"> Mir ist, als säße ich neben einer Natter.</p><lb/> <note type="speaker"> Georg.</note><lb/> <p xml:id="ID_2062" next="#ID_2063"> Ziere Dich nicht, Dn schöne Tugend, noch bin ich nicht zu Ende,</p><lb/> <p xml:id="ID_2063" prev="#ID_2062" next="#ID_2064"> und Du, Du sollst auch an die Reihe kommen. — Und überall, immer, immer<lb/> dachte ich an ihn, den Einen, den wir Beide kennen, sobald ich frei wurde, zog<lb/> es mich hierher zurück, in seine Nähe. War es Haß, war es Liebe, ich weiß<lb/> es nicht, aber mein Wille stand fest, er muß mein werden, er muß sühnen, was</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0372]
Gertr.
Liebe Louise, Du wilder Kanarienvogel, Du bist ge¬
(sie liebkosend).
blieben wie Du warst, und Deine Laune wechselt noch immer so schnell wie die
Farbe der Wolken. -- Doch nein, ganz so bist Du uicht, größer, schöner,
voller bist Du geworden.
Georg.
Meinst Du? — Sieh, das kleine Maal hier am Ohr hab' ich
noch, das hat sich erhalten, und auch die Narbe an den Schläfen, jetzt sieht man
sie nicht, denn ich trage sonst Locken. — Ach, hier ist Alles unverändert, die Uhr,
der Stuhl, die Bücher liegen noch auf demselben Tisch, und die Brille des guten
alten Herrn. — Komm, Gertrud, auf dieser Bank, wo wir als Mädchen zusam¬
men saßen im Mondenschein, hier laß uns sitzen und plaudern, wie ehemals
(düster) Nein, nicht wie sonst, denn diese Stunde ist finster und trägt auf ihrem
Flügel ein Verhängniß für uns Beide. — — (wild) Und doch sollst Dn bei mir
sitzen, Gertrud, und ich werde Dir etwas in Dein Ohr rannen. — Und was ich
zu sagen habe, braucht kein Licht, der Mond scheint hell genng zu meinen Wor¬
ten; wenn meine Wangen erglühn, Du sollst es nicht sehen. Verlösch das Licht!
Ich setze den Schirm vor, jetzt erzähle.
Gertr.
Georg,
(traurig lächelnd).
Auch Du bist geblieben, wie Du warst. — Rucke
näher zu mir, ich erzähle mein Leben. — Weit, weit von hier am Strand eines
kalten Meeres bin ich geboren, meine Mutter kam mit dem fünfzehnjährigen
Mädchen hierher und starb, ich sang damals lustige Lieder und hatte nichts
zu essen. Da brachte mich ein Musiker zur Oper — an einem Abend stand ich
mit rothgemalten Wangen unter dreißig andern Mädchen — da sah er mich an,
und ich gefiel ihm — zuckst Du zusammen? halte aus, Täubchen. — Was darauf
folgte, weißt Dn.
Gertr.
Ich weiß es.
Georg.
Ich wurde Euch zur Last; meine Stimme hatte ich verloren, was
verstand ich von Eurer Arbeit? Ich dachte daran mich zu ersäufen und das Kind
mit, dort unten im Strom, wo sie die jungen Katzen hinauswerfen. — Da fand
mich ein alter Herr, ein fremder Fürst, und nahm mich mit sich nach Paris. Das
Kind ließ ich Euch. — In der Fremde lernte ich vieles, auch Liebe heucheln;
der Fürst war ein alter Herr und ich war spröde. Nachdem ich ihn fünf Jahr gequält
hatte, zwang ich ihn, mich zu heirathen. — Er starb an der Gicht, und ich war
reich, man nannte mich Erlaucht. — Ist das nicht eine wunderliche Geschichte?
Gertr.
(aufstehend).
Mir ist, als säße ich neben einer Natter.
Georg.
Ziere Dich nicht, Dn schöne Tugend, noch bin ich nicht zu Ende,
und Du, Du sollst auch an die Reihe kommen. — Und überall, immer, immer
dachte ich an ihn, den Einen, den wir Beide kennen, sobald ich frei wurde, zog
es mich hierher zurück, in seine Nähe. War es Haß, war es Liebe, ich weiß
es nicht, aber mein Wille stand fest, er muß mein werden, er muß sühnen, was
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