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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Mifanthropifches Geplauder den Belagerungszustande.



I.
Aus Wien.

Die unfreiwilligen Ferien der Weltgeschichte hier in Wien -- gestatten Sie mir
die Umschreibung des häßlichen Wortes Belagerungszustand -- mögen unser langes Still¬
schweigen bei Ihnen entschuldigen. Der alte Oxenstierna schickte seinen Sohn auf Rei¬
sen, damit er lerne, mit wie wenig Klugheit die Welt regiert wird; wenn er heute
lebte, würde er ihn wahrscheinlich direct nach Wien schicken; es ist in der That so
ziemlich das Einzige, worüber sich hier gründliche Studien macheu lassen. Die Krücken
der invaliden NegicrungSwcisheit liegen noch immer in sehr handgreiflicher Gestalt als
Achtzehn- und Vierundzwanzigpfünder aus der Bastei, oder werden als scharf geladene,
schußfertige Gewehre von kroatischen Patrouillen zärtlich auf dem Arme herumgetragen,
wobei des Abends immer einer sorgfältig mit der Laterne voranleuchtet, und jeder Erlaß
unserer Behörden ist zugleich ein mehr oder minder deutliches Bulletin über das uner¬
freuliche Befinden des hohen Kranken. Lesen Sie die Ermahnungen und Decrete unsrer
hohen Obrigkeit, es ist der Mühe werth zu sehen, wie die Cultur, die sonst doch un¬
verschämt genug ist, alle Welt zu belecken, vor dem Styl einer östreichischen Militär¬
behörde ängstlich zurückschaudert. Das sind so die humoristischen Oasen, die dann und
wann in unsern öffentlichen Blättern aus der trostlosen Wüste von Begnadigungen zu
Pulver und Blei, zehnmaligem Gassenlaufen oder schwerem Kerker auftauchen. Eine
stehende Rubrik bildete" außerdem in der ganzen Zeit Berichte über mystische Schüsse,
die ans Häusern und vorüberfahrenden Fiakern auf einzelne Soldaten gefallen sein
sollten. Ich kann freilich weiter nichts sagen, als daß ich diese Schüsse nicht gehört
habe; aber es gehören wenig nationalökonomische Kenntnisse dazu, um zu wissen, daß
sich jede Waare dahin zieht, wo sie den besten Markt findet; wunderbare Gerüchte sind
einmal für den glaubensbedürftiger Wiener eine Nothwendigkeit, und es wird täglich
eine staunenswerthe Menge davon consumirt. Jedenfalls bieten diese Schüsse unserm
alten Gouverneur Melden einen vortrefflichen Text zu den salbungsvollen Straf- und
Bußpredigten, die er von Zeit zu Zeit an die Wiener richtet. Vor ein paar Wochen
war eine Schutzwache in Hctzcndors wirklich schwer verwundet auf ihrem Posten gefun¬
den worden; soviel ich weiß schwebt über der ganze" Geschichte noch ein trübes Dunkel,
der Vorfall ist noch nicht aufgeklärt; genug, in der Bekanntmachung, die das Factum
der Bevölkerung von Wien mittheilte, hieß es am Schlüsse ungefähr: "das Betrübcndste
aber ist, daß auch die Bcsscrgcsinntscinwollcndcn sich noch immer nicht zusammenthun,
um diesem Unwesen ein Ende zu mache", und nach wie vor Alles dem Militär über¬
lassen." -- Sie können sich die Verzweiflung der "Gutgesinnte"" denken, die nöthi-
genfalls die Seele ihrer Großmutter dem Teufel verkaufen würden, wenn sie dem
Gouverneur damit einen Gefallen thäten; was sollten sie thun? Sollten sie einen


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Mifanthropifches Geplauder den Belagerungszustande.



I.
Aus Wien.

Die unfreiwilligen Ferien der Weltgeschichte hier in Wien — gestatten Sie mir
die Umschreibung des häßlichen Wortes Belagerungszustand — mögen unser langes Still¬
schweigen bei Ihnen entschuldigen. Der alte Oxenstierna schickte seinen Sohn auf Rei¬
sen, damit er lerne, mit wie wenig Klugheit die Welt regiert wird; wenn er heute
lebte, würde er ihn wahrscheinlich direct nach Wien schicken; es ist in der That so
ziemlich das Einzige, worüber sich hier gründliche Studien macheu lassen. Die Krücken
der invaliden NegicrungSwcisheit liegen noch immer in sehr handgreiflicher Gestalt als
Achtzehn- und Vierundzwanzigpfünder aus der Bastei, oder werden als scharf geladene,
schußfertige Gewehre von kroatischen Patrouillen zärtlich auf dem Arme herumgetragen,
wobei des Abends immer einer sorgfältig mit der Laterne voranleuchtet, und jeder Erlaß
unserer Behörden ist zugleich ein mehr oder minder deutliches Bulletin über das uner¬
freuliche Befinden des hohen Kranken. Lesen Sie die Ermahnungen und Decrete unsrer
hohen Obrigkeit, es ist der Mühe werth zu sehen, wie die Cultur, die sonst doch un¬
verschämt genug ist, alle Welt zu belecken, vor dem Styl einer östreichischen Militär¬
behörde ängstlich zurückschaudert. Das sind so die humoristischen Oasen, die dann und
wann in unsern öffentlichen Blättern aus der trostlosen Wüste von Begnadigungen zu
Pulver und Blei, zehnmaligem Gassenlaufen oder schwerem Kerker auftauchen. Eine
stehende Rubrik bildete» außerdem in der ganzen Zeit Berichte über mystische Schüsse,
die ans Häusern und vorüberfahrenden Fiakern auf einzelne Soldaten gefallen sein
sollten. Ich kann freilich weiter nichts sagen, als daß ich diese Schüsse nicht gehört
habe; aber es gehören wenig nationalökonomische Kenntnisse dazu, um zu wissen, daß
sich jede Waare dahin zieht, wo sie den besten Markt findet; wunderbare Gerüchte sind
einmal für den glaubensbedürftiger Wiener eine Nothwendigkeit, und es wird täglich
eine staunenswerthe Menge davon consumirt. Jedenfalls bieten diese Schüsse unserm
alten Gouverneur Melden einen vortrefflichen Text zu den salbungsvollen Straf- und
Bußpredigten, die er von Zeit zu Zeit an die Wiener richtet. Vor ein paar Wochen
war eine Schutzwache in Hctzcndors wirklich schwer verwundet auf ihrem Posten gefun¬
den worden; soviel ich weiß schwebt über der ganze» Geschichte noch ein trübes Dunkel,
der Vorfall ist noch nicht aufgeklärt; genug, in der Bekanntmachung, die das Factum
der Bevölkerung von Wien mittheilte, hieß es am Schlüsse ungefähr: „das Betrübcndste
aber ist, daß auch die Bcsscrgcsinntscinwollcndcn sich noch immer nicht zusammenthun,
um diesem Unwesen ein Ende zu mache«, und nach wie vor Alles dem Militär über¬
lassen." — Sie können sich die Verzweiflung der „Gutgesinnte»" denken, die nöthi-
genfalls die Seele ihrer Großmutter dem Teufel verkaufen würden, wenn sie dem
Gouverneur damit einen Gefallen thäten; was sollten sie thun? Sollten sie einen


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[0363] Mifanthropifches Geplauder den Belagerungszustande. I. Aus Wien. Die unfreiwilligen Ferien der Weltgeschichte hier in Wien — gestatten Sie mir die Umschreibung des häßlichen Wortes Belagerungszustand — mögen unser langes Still¬ schweigen bei Ihnen entschuldigen. Der alte Oxenstierna schickte seinen Sohn auf Rei¬ sen, damit er lerne, mit wie wenig Klugheit die Welt regiert wird; wenn er heute lebte, würde er ihn wahrscheinlich direct nach Wien schicken; es ist in der That so ziemlich das Einzige, worüber sich hier gründliche Studien macheu lassen. Die Krücken der invaliden NegicrungSwcisheit liegen noch immer in sehr handgreiflicher Gestalt als Achtzehn- und Vierundzwanzigpfünder aus der Bastei, oder werden als scharf geladene, schußfertige Gewehre von kroatischen Patrouillen zärtlich auf dem Arme herumgetragen, wobei des Abends immer einer sorgfältig mit der Laterne voranleuchtet, und jeder Erlaß unserer Behörden ist zugleich ein mehr oder minder deutliches Bulletin über das uner¬ freuliche Befinden des hohen Kranken. Lesen Sie die Ermahnungen und Decrete unsrer hohen Obrigkeit, es ist der Mühe werth zu sehen, wie die Cultur, die sonst doch un¬ verschämt genug ist, alle Welt zu belecken, vor dem Styl einer östreichischen Militär¬ behörde ängstlich zurückschaudert. Das sind so die humoristischen Oasen, die dann und wann in unsern öffentlichen Blättern aus der trostlosen Wüste von Begnadigungen zu Pulver und Blei, zehnmaligem Gassenlaufen oder schwerem Kerker auftauchen. Eine stehende Rubrik bildete» außerdem in der ganzen Zeit Berichte über mystische Schüsse, die ans Häusern und vorüberfahrenden Fiakern auf einzelne Soldaten gefallen sein sollten. Ich kann freilich weiter nichts sagen, als daß ich diese Schüsse nicht gehört habe; aber es gehören wenig nationalökonomische Kenntnisse dazu, um zu wissen, daß sich jede Waare dahin zieht, wo sie den besten Markt findet; wunderbare Gerüchte sind einmal für den glaubensbedürftiger Wiener eine Nothwendigkeit, und es wird täglich eine staunenswerthe Menge davon consumirt. Jedenfalls bieten diese Schüsse unserm alten Gouverneur Melden einen vortrefflichen Text zu den salbungsvollen Straf- und Bußpredigten, die er von Zeit zu Zeit an die Wiener richtet. Vor ein paar Wochen war eine Schutzwache in Hctzcndors wirklich schwer verwundet auf ihrem Posten gefun¬ den worden; soviel ich weiß schwebt über der ganze» Geschichte noch ein trübes Dunkel, der Vorfall ist noch nicht aufgeklärt; genug, in der Bekanntmachung, die das Factum der Bevölkerung von Wien mittheilte, hieß es am Schlüsse ungefähr: „das Betrübcndste aber ist, daß auch die Bcsscrgcsinntscinwollcndcn sich noch immer nicht zusammenthun, um diesem Unwesen ein Ende zu mache«, und nach wie vor Alles dem Militär über¬ lassen." — Sie können sich die Verzweiflung der „Gutgesinnte»" denken, die nöthi- genfalls die Seele ihrer Großmutter dem Teufel verkaufen würden, wenn sie dem Gouverneur damit einen Gefallen thäten; was sollten sie thun? Sollten sie einen 45*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/363>, abgerufen am 03.07.2024.