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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Zeit waren sie den Frankfurtern nicht besonders hold und bespöttelten gerne im
Zwiegespräch die deutschen Grundrechte, dieses Mustercompendium urteutonischer
Gelehrsamkeit ohne praktische Brauchbarkeit. Plötzlich, am 7. September, schlug
der Wind um. Die Ultra's schienen zu triumphiren, das ganze Gebäude schien
dem Einsturz nahe. Da kamen die Ratten aus ihren Schlupfwinkeln vor, "Los¬
reißung der Rheinprovinzen von Preußen und Ausgehen im einigen Deutschland"
war jetzt das Thema ihrer Lobgesänge, der Bundesstaat mit völliger Decentralisa-
tion der einzelnen Reiche das Ziel ihrer Wünsche. Die neue Freundschaft galt
natürlich nur dem katholischen Süd-, die Feindschaft dem protestantischen Nord¬
deutschland. -- Von dieser allgemeinen Politik der Römischen unterschied sich die
besondere Walter's auch nicht um Ein Haar. Auch er verlachte den Frankfurter
Gelehrteucongrcß mit seinen Debatten über abstracte Sätze, wie die Trennung
zwischen Kirche und Schule, auch er war erbittert über den betreffenden Paragraphen
unsrer Verfassung, "der ganz Preußen in zwei feindliche Heerlager theile." --
"Jetzt nimmt man ein Ministerium aus der Rechten, da kommen Sie heran!"
sagt' ich ihm scherzweise nach Auerswald's Sturze. "Nicht hier! hier nicht!" war
die sehr ernste Antwort, "aber in Köln, es kann nicht lange mehr dauern, bis
wir dort unser eignes Cabinet haben und mit Deutschland vereint sind." -- Man
sieht, das deutsche Interesse des Ultramontanismus ist dem polnischen der äußersten
Linken so ziemlich adäquat. In dieser Beziehung ist es nicht ohne Bedeutung, daß
Walter am 7. September in einer laugen und geschickten Rede für Auerswald
auftrat; es war, so viel wir uns entsinnen, das einzige Mal, daß er in nicht
juridischen Dingen sprach. Er berief sich auf eine" tresslichen Panegyrikus, den
Bureau-Puzy 1791 unter ganz ähnlichen Umständen dem französischen Heere
gehalten, aber trotz aller Gelehrsamkeit, die er entwickelte und mit der er sogar
Lamartine wegen einiger Schnitzer zurückwies, vergaß er doch den kleinen Um¬
stand, daß eben vieler Bureau-Puzy im Juli 1792 den Hanptunterhändler zwi¬
schen Lnckner und Lafayette spielte, als letzterer den Plan gefaßt, die Grenzen
den Oestreichern Preis zu geben, um die französische Armee gegen Paris führen
zu können. Ich weiß, Herr Professor, das war kein Mangel an historischen
Kenntnissen, es war nur des besseren Eindrucks wegen! --

Doch solche Kleinigkeiten einem Manne auszunutzen, der in einem dicken Buche
der Welt gezeigt hat, wie man die Geschichte mit Geist und Geschick aufs Pro¬
krustesbette spannen muß, um sie bestimmten Zwecken dienstbar zu machen -- hieße
Eulen nach Athen bringen. So mag uns denn Walters "Lehrbuch des Kirchen¬
rechts" die Lücke in seiner parlamentarischen Laufbahn ausfüllen helfen, um zu
ermitteln, was wir von dem ultramontanen Professor zu erwarten haben.
Obwohl alle Confessionen besprechend, ist doch nur der dem Katholicismus ge¬
widmete Theil von eigentlichem Interesse, die übrigen Bekenntnisse erscheinen we-


Zeit waren sie den Frankfurtern nicht besonders hold und bespöttelten gerne im
Zwiegespräch die deutschen Grundrechte, dieses Mustercompendium urteutonischer
Gelehrsamkeit ohne praktische Brauchbarkeit. Plötzlich, am 7. September, schlug
der Wind um. Die Ultra's schienen zu triumphiren, das ganze Gebäude schien
dem Einsturz nahe. Da kamen die Ratten aus ihren Schlupfwinkeln vor, „Los¬
reißung der Rheinprovinzen von Preußen und Ausgehen im einigen Deutschland"
war jetzt das Thema ihrer Lobgesänge, der Bundesstaat mit völliger Decentralisa-
tion der einzelnen Reiche das Ziel ihrer Wünsche. Die neue Freundschaft galt
natürlich nur dem katholischen Süd-, die Feindschaft dem protestantischen Nord¬
deutschland. — Von dieser allgemeinen Politik der Römischen unterschied sich die
besondere Walter's auch nicht um Ein Haar. Auch er verlachte den Frankfurter
Gelehrteucongrcß mit seinen Debatten über abstracte Sätze, wie die Trennung
zwischen Kirche und Schule, auch er war erbittert über den betreffenden Paragraphen
unsrer Verfassung, „der ganz Preußen in zwei feindliche Heerlager theile." —
„Jetzt nimmt man ein Ministerium aus der Rechten, da kommen Sie heran!"
sagt' ich ihm scherzweise nach Auerswald's Sturze. „Nicht hier! hier nicht!" war
die sehr ernste Antwort, „aber in Köln, es kann nicht lange mehr dauern, bis
wir dort unser eignes Cabinet haben und mit Deutschland vereint sind." — Man
sieht, das deutsche Interesse des Ultramontanismus ist dem polnischen der äußersten
Linken so ziemlich adäquat. In dieser Beziehung ist es nicht ohne Bedeutung, daß
Walter am 7. September in einer laugen und geschickten Rede für Auerswald
auftrat; es war, so viel wir uns entsinnen, das einzige Mal, daß er in nicht
juridischen Dingen sprach. Er berief sich auf eine» tresslichen Panegyrikus, den
Bureau-Puzy 1791 unter ganz ähnlichen Umständen dem französischen Heere
gehalten, aber trotz aller Gelehrsamkeit, die er entwickelte und mit der er sogar
Lamartine wegen einiger Schnitzer zurückwies, vergaß er doch den kleinen Um¬
stand, daß eben vieler Bureau-Puzy im Juli 1792 den Hanptunterhändler zwi¬
schen Lnckner und Lafayette spielte, als letzterer den Plan gefaßt, die Grenzen
den Oestreichern Preis zu geben, um die französische Armee gegen Paris führen
zu können. Ich weiß, Herr Professor, das war kein Mangel an historischen
Kenntnissen, es war nur des besseren Eindrucks wegen! —

Doch solche Kleinigkeiten einem Manne auszunutzen, der in einem dicken Buche
der Welt gezeigt hat, wie man die Geschichte mit Geist und Geschick aufs Pro¬
krustesbette spannen muß, um sie bestimmten Zwecken dienstbar zu machen — hieße
Eulen nach Athen bringen. So mag uns denn Walters „Lehrbuch des Kirchen¬
rechts" die Lücke in seiner parlamentarischen Laufbahn ausfüllen helfen, um zu
ermitteln, was wir von dem ultramontanen Professor zu erwarten haben.
Obwohl alle Confessionen besprechend, ist doch nur der dem Katholicismus ge¬
widmete Theil von eigentlichem Interesse, die übrigen Bekenntnisse erscheinen we-


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[0360] Zeit waren sie den Frankfurtern nicht besonders hold und bespöttelten gerne im Zwiegespräch die deutschen Grundrechte, dieses Mustercompendium urteutonischer Gelehrsamkeit ohne praktische Brauchbarkeit. Plötzlich, am 7. September, schlug der Wind um. Die Ultra's schienen zu triumphiren, das ganze Gebäude schien dem Einsturz nahe. Da kamen die Ratten aus ihren Schlupfwinkeln vor, „Los¬ reißung der Rheinprovinzen von Preußen und Ausgehen im einigen Deutschland" war jetzt das Thema ihrer Lobgesänge, der Bundesstaat mit völliger Decentralisa- tion der einzelnen Reiche das Ziel ihrer Wünsche. Die neue Freundschaft galt natürlich nur dem katholischen Süd-, die Feindschaft dem protestantischen Nord¬ deutschland. — Von dieser allgemeinen Politik der Römischen unterschied sich die besondere Walter's auch nicht um Ein Haar. Auch er verlachte den Frankfurter Gelehrteucongrcß mit seinen Debatten über abstracte Sätze, wie die Trennung zwischen Kirche und Schule, auch er war erbittert über den betreffenden Paragraphen unsrer Verfassung, „der ganz Preußen in zwei feindliche Heerlager theile." — „Jetzt nimmt man ein Ministerium aus der Rechten, da kommen Sie heran!" sagt' ich ihm scherzweise nach Auerswald's Sturze. „Nicht hier! hier nicht!" war die sehr ernste Antwort, „aber in Köln, es kann nicht lange mehr dauern, bis wir dort unser eignes Cabinet haben und mit Deutschland vereint sind." — Man sieht, das deutsche Interesse des Ultramontanismus ist dem polnischen der äußersten Linken so ziemlich adäquat. In dieser Beziehung ist es nicht ohne Bedeutung, daß Walter am 7. September in einer laugen und geschickten Rede für Auerswald auftrat; es war, so viel wir uns entsinnen, das einzige Mal, daß er in nicht juridischen Dingen sprach. Er berief sich auf eine» tresslichen Panegyrikus, den Bureau-Puzy 1791 unter ganz ähnlichen Umständen dem französischen Heere gehalten, aber trotz aller Gelehrsamkeit, die er entwickelte und mit der er sogar Lamartine wegen einiger Schnitzer zurückwies, vergaß er doch den kleinen Um¬ stand, daß eben vieler Bureau-Puzy im Juli 1792 den Hanptunterhändler zwi¬ schen Lnckner und Lafayette spielte, als letzterer den Plan gefaßt, die Grenzen den Oestreichern Preis zu geben, um die französische Armee gegen Paris führen zu können. Ich weiß, Herr Professor, das war kein Mangel an historischen Kenntnissen, es war nur des besseren Eindrucks wegen! — Doch solche Kleinigkeiten einem Manne auszunutzen, der in einem dicken Buche der Welt gezeigt hat, wie man die Geschichte mit Geist und Geschick aufs Pro¬ krustesbette spannen muß, um sie bestimmten Zwecken dienstbar zu machen — hieße Eulen nach Athen bringen. So mag uns denn Walters „Lehrbuch des Kirchen¬ rechts" die Lücke in seiner parlamentarischen Laufbahn ausfüllen helfen, um zu ermitteln, was wir von dem ultramontanen Professor zu erwarten haben. Obwohl alle Confessionen besprechend, ist doch nur der dem Katholicismus ge¬ widmete Theil von eigentlichem Interesse, die übrigen Bekenntnisse erscheinen we-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/360>, abgerufen am 23.07.2024.