Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.eine sittliche Stärkung erfolgen soll. Der Fürst überläßt ihm selbst das Urtheil, Wie schade ist es nun, daß dieser klare Gang der Entwicklung durch eine ab¬ Sehen wir aber von diesem krankhaften Auswuchs ab, der bei Kleist nie Und woher die Frische, die jugendlich warme Lebendigkeit dieses Bildes? eine sittliche Stärkung erfolgen soll. Der Fürst überläßt ihm selbst das Urtheil, Wie schade ist es nun, daß dieser klare Gang der Entwicklung durch eine ab¬ Sehen wir aber von diesem krankhaften Auswuchs ab, der bei Kleist nie Und woher die Frische, die jugendlich warme Lebendigkeit dieses Bildes? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278338"/> <p xml:id="ID_1925" prev="#ID_1924"> eine sittliche Stärkung erfolgen soll. Der Fürst überläßt ihm selbst das Urtheil,<lb/> und dieses Ehrgefühl, genährt in den Formen eines lebendigen, sittlich geordneten<lb/> Staatswesens, erhebt ihn über den Trotz der Selbstsucht, wie über die unmittel¬<lb/> baren Schrecken des Todes. Man mag die Scene, in der seine Todesfurcht sich<lb/> ausdrückt, widerlich finden — sie ist es namentlich deshalb, weil man bei dem<lb/> Soldaten überall der äußerlichen Haltung gewärtig ist — sie ist aber nothwendig,<lb/> wenn nicht die ganze Entwickelung in ein Spiel auslausen soll. Der Prinz wie<lb/> das ganze Heer, das ihn vergöttert, muß suhlen, daß es sich hier um etwas<lb/> mehr handelt, als um eine bloße Form, sie müssen das volle Gewicht und das<lb/> volle Recht des Urtheils fühlen, und tief in sich aufnehmen, ehe die Freisprechung<lb/> erfolgen kann. Sie muß aber erfolgen, denn in dem echten Kriegerstaat, der uns<lb/> hier dargestellt wird, waltet nicht die abstracte Disciplin; die freie Heldenthat hat<lb/> auch ihr Recht, sobald sie ihre Schranken erkennt. Das Heer soll keine leblose<lb/> Maschine sein, aber ebenso wenig ein zügelloser Haufe, wo Jeder seinem Ge¬<lb/> lüste folgt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1926"> Wie schade ist es nun, daß dieser klare Gang der Entwicklung durch eine ab¬<lb/> geschmackte Liebelei und ein unbestimmtes somnambules Wesen sich verwirrt; um<lb/> so schlimmer, je reizender diese falschen Auswüchse aussehen, je inniger sie sich in<lb/> die Lebensadern der Handlung verweben. Das Uebermaß des kriegerischen Feuers<lb/> kann seine Entschuldigung finden, die leere Träumerei eines verliebten Nacht¬<lb/> wandlers aber darf ein Feldherr nicht dulde». Ein zierlicher Nahmen für ein<lb/> Schäferspiel, aber unanständig für eine Tragödie.</p><lb/> <p xml:id="ID_1927"> Sehen wir aber von diesem krankhaften Auswuchs ab, der bei Kleist nie<lb/> fehlt, so waltet in diesem Stück ein gesundes, frisches Kriegcrleben, eine in sich<lb/> abgeschlossene heitre Welt, die anch eines Radicalen Herz erfreuen kann, wenn<lb/> er es auf der Bierbank nicht vollständig ausgegeben hat. So üinge man das<lb/> kriegerische Königthum, die Gardcleutnauts und was sonst an ihnen hängt, außer<lb/> sich sieht, hat man nicht viel Respect davor; höchstens imponiren sie in Masse,<lb/> bei dem Einzelnen al'er erwartet mau keine freie Individualität hinter der ge¬<lb/> schnürten Uniform. Dieses Paradewesen ist aber auch nur die Carricatur des echten<lb/> Kriegerlebens, wie es uns mit frischem Athemzug aus diesem Gedicht anwehe.<lb/> In der Mitte der Fürst, der mit verständigem Ernst die Zügel des Staats in<lb/> starken Händen hält, um ihn die treuen Kampfgenossen, die ihn verehren, ohne<lb/> seine Knechte zu sein >— das trauliche Dn ist eine kühne, aber sehr glückliche<lb/> Wendung des Dichters, der es versteht, objectiv zu sein, ohne sich an das roh<lb/> Aeußerliche der Zeit, ihre verdrehte Sprache u. s. w. zu halten — ein gegensei¬<lb/> tiges Vertrauen ohne Aufgeben der Selbständigkeit; auffahrende Hitze, wie es<lb/> Kriegern ziemt, und doch strenge Loyalität.</p><lb/> <p xml:id="ID_1928" next="#ID_1929"> Und woher die Frische, die jugendlich warme Lebendigkeit dieses Bildes?<lb/> Kleist konnte von seinen Gestalten sagen, wie Tasso: Es sind nicht Schatten, die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0350]
eine sittliche Stärkung erfolgen soll. Der Fürst überläßt ihm selbst das Urtheil,
und dieses Ehrgefühl, genährt in den Formen eines lebendigen, sittlich geordneten
Staatswesens, erhebt ihn über den Trotz der Selbstsucht, wie über die unmittel¬
baren Schrecken des Todes. Man mag die Scene, in der seine Todesfurcht sich
ausdrückt, widerlich finden — sie ist es namentlich deshalb, weil man bei dem
Soldaten überall der äußerlichen Haltung gewärtig ist — sie ist aber nothwendig,
wenn nicht die ganze Entwickelung in ein Spiel auslausen soll. Der Prinz wie
das ganze Heer, das ihn vergöttert, muß suhlen, daß es sich hier um etwas
mehr handelt, als um eine bloße Form, sie müssen das volle Gewicht und das
volle Recht des Urtheils fühlen, und tief in sich aufnehmen, ehe die Freisprechung
erfolgen kann. Sie muß aber erfolgen, denn in dem echten Kriegerstaat, der uns
hier dargestellt wird, waltet nicht die abstracte Disciplin; die freie Heldenthat hat
auch ihr Recht, sobald sie ihre Schranken erkennt. Das Heer soll keine leblose
Maschine sein, aber ebenso wenig ein zügelloser Haufe, wo Jeder seinem Ge¬
lüste folgt.
Wie schade ist es nun, daß dieser klare Gang der Entwicklung durch eine ab¬
geschmackte Liebelei und ein unbestimmtes somnambules Wesen sich verwirrt; um
so schlimmer, je reizender diese falschen Auswüchse aussehen, je inniger sie sich in
die Lebensadern der Handlung verweben. Das Uebermaß des kriegerischen Feuers
kann seine Entschuldigung finden, die leere Träumerei eines verliebten Nacht¬
wandlers aber darf ein Feldherr nicht dulde». Ein zierlicher Nahmen für ein
Schäferspiel, aber unanständig für eine Tragödie.
Sehen wir aber von diesem krankhaften Auswuchs ab, der bei Kleist nie
fehlt, so waltet in diesem Stück ein gesundes, frisches Kriegcrleben, eine in sich
abgeschlossene heitre Welt, die anch eines Radicalen Herz erfreuen kann, wenn
er es auf der Bierbank nicht vollständig ausgegeben hat. So üinge man das
kriegerische Königthum, die Gardcleutnauts und was sonst an ihnen hängt, außer
sich sieht, hat man nicht viel Respect davor; höchstens imponiren sie in Masse,
bei dem Einzelnen al'er erwartet mau keine freie Individualität hinter der ge¬
schnürten Uniform. Dieses Paradewesen ist aber auch nur die Carricatur des echten
Kriegerlebens, wie es uns mit frischem Athemzug aus diesem Gedicht anwehe.
In der Mitte der Fürst, der mit verständigem Ernst die Zügel des Staats in
starken Händen hält, um ihn die treuen Kampfgenossen, die ihn verehren, ohne
seine Knechte zu sein >— das trauliche Dn ist eine kühne, aber sehr glückliche
Wendung des Dichters, der es versteht, objectiv zu sein, ohne sich an das roh
Aeußerliche der Zeit, ihre verdrehte Sprache u. s. w. zu halten — ein gegensei¬
tiges Vertrauen ohne Aufgeben der Selbständigkeit; auffahrende Hitze, wie es
Kriegern ziemt, und doch strenge Loyalität.
Und woher die Frische, die jugendlich warme Lebendigkeit dieses Bildes?
Kleist konnte von seinen Gestalten sagen, wie Tasso: Es sind nicht Schatten, die
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