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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Theater und Politik.



i.
Der Prinz von Homburg.

Ich war neugierig, wie das Leipziger Theaterpublikum ein Stück aufnehmen
würde, das als eine Apotheose des specifischen Preußenthums angesehen werden
kann. Es ging, man ließ 'sich hinreißen von dem Geist echter Poesie, der lebens¬
voll in dieser Dichtung athmet, und vergaß die Partei, vergaß den "souveränen
Unverstand," vergaß, daß es sich gerade in diesem Augenblick um die Anerkennung
jenes Geistes durch die deutsche Nationalversammlung handelt, und daß die säch¬
sischen Kammern vor ein paar Tagen laut dagegen protestirt hatte". Zum Glück
hatte Preußen unter dem großen Kurfürsten noch nicht seinen Namen, und "Bran¬
denburg" klingt so fremdartig wie Andalusien; bei den uckermärkischen Granden
denkt man nicht gleich an die Gardelieutenants von Potsdam. Als zum Schluß
nun gar "Germanien" sür "Brandenburg" interpolirt wurde: "In Staub mit
allen Feinden Germaniens!" da fand der Jubel kein Ende, trotz des schlechten
Jambus.

Der Theaterdirector eines östreichischen Landstädtchens wollte den Wilhelm
Tell aufführen. Eine höher gestellte Person erstaunte über die Idee, aber der
Director versicherte schmunzelnd, er habe durch eine wohlangebrachte Aenderung
das Gift des Radicalismus vollständig aus diesem sonst so vortrefflichen Stücke
ausgemerzt. Die höher gestellte Person wurde neugierig und sah sich die Probe
mit an; zu ihrem Erstaunen ging Wort für Wort das Schillersche Drama über
die Bretter, mit all den politischen Ketzereien, die der junge enthusiastische Frei¬
heitsdichter in die Welt geschleudert. Sie wußte nicht, was sie dazu denken
sollte, bis es zum Schluß kam, und der Chor, austatt des Verses: "Es lebe
Tell, der Schütz und der Erretter!" in die Worte ausbrach: "Es lebe Oestreich!
Tell ist ein Verräther!" -- In Staub mit allen Feinden Germaniens!

Kein Volk hat eine so determinirt künstlerische Richtung als das deutsche.
Bei den Franzosen blickt jedes Auge über den engen Horizont der Bühne hinaus
auf die Straße, wo in heißem Gewühl das Volk sich freiheitslüstern drängt und
an den Grundsteinen des alten Staatsgebäudes mit frecher Hand rüttelt. Es ist
ihnen nicht um den Sinn der Dichtung zu thun, sie lauschen den Stichwörtern
des Tages. Bei den heurigen Republikanern macht Racine's "Athalia" Glück.
Ist etwa der alte jüdisch - christliche Fanatismus bei ihnen wieder wach geworden?
dürsten sie aufs Neue nach dem unreinen Blut der Götzendiener, die, in sinnliche
Freuden verstrickt, den Blick an die Erde gebannt, nur um Heut' und Morgen


Theater und Politik.



i.
Der Prinz von Homburg.

Ich war neugierig, wie das Leipziger Theaterpublikum ein Stück aufnehmen
würde, das als eine Apotheose des specifischen Preußenthums angesehen werden
kann. Es ging, man ließ 'sich hinreißen von dem Geist echter Poesie, der lebens¬
voll in dieser Dichtung athmet, und vergaß die Partei, vergaß den „souveränen
Unverstand," vergaß, daß es sich gerade in diesem Augenblick um die Anerkennung
jenes Geistes durch die deutsche Nationalversammlung handelt, und daß die säch¬
sischen Kammern vor ein paar Tagen laut dagegen protestirt hatte». Zum Glück
hatte Preußen unter dem großen Kurfürsten noch nicht seinen Namen, und „Bran¬
denburg" klingt so fremdartig wie Andalusien; bei den uckermärkischen Granden
denkt man nicht gleich an die Gardelieutenants von Potsdam. Als zum Schluß
nun gar „Germanien" sür „Brandenburg" interpolirt wurde: „In Staub mit
allen Feinden Germaniens!" da fand der Jubel kein Ende, trotz des schlechten
Jambus.

Der Theaterdirector eines östreichischen Landstädtchens wollte den Wilhelm
Tell aufführen. Eine höher gestellte Person erstaunte über die Idee, aber der
Director versicherte schmunzelnd, er habe durch eine wohlangebrachte Aenderung
das Gift des Radicalismus vollständig aus diesem sonst so vortrefflichen Stücke
ausgemerzt. Die höher gestellte Person wurde neugierig und sah sich die Probe
mit an; zu ihrem Erstaunen ging Wort für Wort das Schillersche Drama über
die Bretter, mit all den politischen Ketzereien, die der junge enthusiastische Frei¬
heitsdichter in die Welt geschleudert. Sie wußte nicht, was sie dazu denken
sollte, bis es zum Schluß kam, und der Chor, austatt des Verses: „Es lebe
Tell, der Schütz und der Erretter!" in die Worte ausbrach: „Es lebe Oestreich!
Tell ist ein Verräther!" — In Staub mit allen Feinden Germaniens!

Kein Volk hat eine so determinirt künstlerische Richtung als das deutsche.
Bei den Franzosen blickt jedes Auge über den engen Horizont der Bühne hinaus
auf die Straße, wo in heißem Gewühl das Volk sich freiheitslüstern drängt und
an den Grundsteinen des alten Staatsgebäudes mit frecher Hand rüttelt. Es ist
ihnen nicht um den Sinn der Dichtung zu thun, sie lauschen den Stichwörtern
des Tages. Bei den heurigen Republikanern macht Racine's „Athalia" Glück.
Ist etwa der alte jüdisch - christliche Fanatismus bei ihnen wieder wach geworden?
dürsten sie aufs Neue nach dem unreinen Blut der Götzendiener, die, in sinnliche
Freuden verstrickt, den Blick an die Erde gebannt, nur um Heut' und Morgen


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[0346] Theater und Politik. i. Der Prinz von Homburg. Ich war neugierig, wie das Leipziger Theaterpublikum ein Stück aufnehmen würde, das als eine Apotheose des specifischen Preußenthums angesehen werden kann. Es ging, man ließ 'sich hinreißen von dem Geist echter Poesie, der lebens¬ voll in dieser Dichtung athmet, und vergaß die Partei, vergaß den „souveränen Unverstand," vergaß, daß es sich gerade in diesem Augenblick um die Anerkennung jenes Geistes durch die deutsche Nationalversammlung handelt, und daß die säch¬ sischen Kammern vor ein paar Tagen laut dagegen protestirt hatte». Zum Glück hatte Preußen unter dem großen Kurfürsten noch nicht seinen Namen, und „Bran¬ denburg" klingt so fremdartig wie Andalusien; bei den uckermärkischen Granden denkt man nicht gleich an die Gardelieutenants von Potsdam. Als zum Schluß nun gar „Germanien" sür „Brandenburg" interpolirt wurde: „In Staub mit allen Feinden Germaniens!" da fand der Jubel kein Ende, trotz des schlechten Jambus. Der Theaterdirector eines östreichischen Landstädtchens wollte den Wilhelm Tell aufführen. Eine höher gestellte Person erstaunte über die Idee, aber der Director versicherte schmunzelnd, er habe durch eine wohlangebrachte Aenderung das Gift des Radicalismus vollständig aus diesem sonst so vortrefflichen Stücke ausgemerzt. Die höher gestellte Person wurde neugierig und sah sich die Probe mit an; zu ihrem Erstaunen ging Wort für Wort das Schillersche Drama über die Bretter, mit all den politischen Ketzereien, die der junge enthusiastische Frei¬ heitsdichter in die Welt geschleudert. Sie wußte nicht, was sie dazu denken sollte, bis es zum Schluß kam, und der Chor, austatt des Verses: „Es lebe Tell, der Schütz und der Erretter!" in die Worte ausbrach: „Es lebe Oestreich! Tell ist ein Verräther!" — In Staub mit allen Feinden Germaniens! Kein Volk hat eine so determinirt künstlerische Richtung als das deutsche. Bei den Franzosen blickt jedes Auge über den engen Horizont der Bühne hinaus auf die Straße, wo in heißem Gewühl das Volk sich freiheitslüstern drängt und an den Grundsteinen des alten Staatsgebäudes mit frecher Hand rüttelt. Es ist ihnen nicht um den Sinn der Dichtung zu thun, sie lauschen den Stichwörtern des Tages. Bei den heurigen Republikanern macht Racine's „Athalia" Glück. Ist etwa der alte jüdisch - christliche Fanatismus bei ihnen wieder wach geworden? dürsten sie aufs Neue nach dem unreinen Blut der Götzendiener, die, in sinnliche Freuden verstrickt, den Blick an die Erde gebannt, nur um Heut' und Morgen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/346>, abgerufen am 22.12.2024.