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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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maßlosen Egoismus Louis Philipps und dem fliegenden Ehrgeiz des Ministers
von 1840, beide hatten einander auf den Grund der Seele geschaut, beide hatten
sich mit einer Empfindung getrennt, die schlimmer ist, als Feindschaft.

Lust zu einem Portefeuille unter Ludwig Philipp hatte Thiers offenbar
nicht mehr, und am allerwenigsten konnte ihn reizen dasselbe in dieser Lage zu
empfangen. Es läßt sich aber annehmen, daß Thiers sich, um den Thron zu
retten, zu einem letzten Opfer verstehen konnte und wenn Ludwig Philipp König
blieb, gleich nach der Krisis wieder auftrat. Ju diesem Falle mußte Thiers viel¬
leicht noch für lange Zeit darauf verzichten, seinem Vaterlande die Dienste zu lei¬
sten, für die er sich berufen glaubte, oder, wenn man dies in der Formel des Ehr¬
geizes ausdrücken will, Minister zu sein. Ludwig Philipp wurde sehr alt, er
konnte noch viel älter werden und jedes Jahr seiner Negierung setzte Frankreich in
den Augen der Welt mehr herab. Daß Thiers schon früher als erst bei dieser
Gelegenheit ernstlich daran dachte: es wäre gut, wenn der König dahin gebracht
werden könnte, abzudanken, läßt sich annehmen; ob er aber einen förmlichen
Plan dazu gemacht hat, ist im Augenblicke wenigstens nicht geschichtlich. Daß die
alten Conservativen und die in ihr Nichts zurückgefallenen Höflinge, von einem
heimlichen Einverständnisse zwischen der Herzogin von Orleans und ihm,
zu Gunsten der Regentschaft der letzteren und von seinem Streben N-äro <1u
uns zu werden sprechen, beweist nichts: denn Besiegte geben sich gern für Ueber¬
listete aus. Wenn Thiers aber wirklich den Plan gehabt hätte, den König auf
irgend eine Weise zum Abhäuten zu zwingen, so bestand doch am 25. Februar
die Schwierigkeit für ihn darin, die erregte Fluth des Volkszorus in deu Usern
der "Regentschaft" zu halten. Wahrscheinlich würde, wenn die Reform-Bewegung
glücklich mit der Abdankung Ludwig Philipps geendet hätte, Thiers diese Phase
seines Lebens für die ruhmreichste gehalten haben; jetzt ist seine Behauptung: "er
sei von jeher gegen die Bankette gewesen," nur das Mäntelchen der Niederlage.
Man erinnere sich nur jener denkwürdigen Worte, die Thiers noch am 2. Februar
1848, bei Gelegenheit der Rede über die Angelegenheiten der Schweiz, in der
Deputirtenkammer gesprochen hat. "Meine Herren," sagte er, "die Kammer weiß,
daß ich nicht radical bin, aber ich will Nichts von meinen Gedanken verschweigen.
Hier ist der Ort, wo wir für das gehalten werden müssen, was wir sind. Ich
gehöre zu der Partei der Revolution in Europa. Ich wünsche, daß
es von den Gemäßigten regiert bleiben möge, aber selbst wenn es in die Hände
derer übergehen sollte, die nicht zu den Gemäßigten gehören, werde ich die Sache
der Revolution nickt verlassen." Diese Worte brachten in den Tribünen der Kam¬
mer einen solchen Sturm hervor, daß Thiers einige Minnten lang vor Beifall¬
klatschen nicht weiter reden konnte.

Als Thiers um ein Uhr Morgens vor den König trat, stand der Greis wie
jener Philipp!i. vor den heruutergebrannten Kerzen und schien einen Freund zu


maßlosen Egoismus Louis Philipps und dem fliegenden Ehrgeiz des Ministers
von 1840, beide hatten einander auf den Grund der Seele geschaut, beide hatten
sich mit einer Empfindung getrennt, die schlimmer ist, als Feindschaft.

Lust zu einem Portefeuille unter Ludwig Philipp hatte Thiers offenbar
nicht mehr, und am allerwenigsten konnte ihn reizen dasselbe in dieser Lage zu
empfangen. Es läßt sich aber annehmen, daß Thiers sich, um den Thron zu
retten, zu einem letzten Opfer verstehen konnte und wenn Ludwig Philipp König
blieb, gleich nach der Krisis wieder auftrat. Ju diesem Falle mußte Thiers viel¬
leicht noch für lange Zeit darauf verzichten, seinem Vaterlande die Dienste zu lei¬
sten, für die er sich berufen glaubte, oder, wenn man dies in der Formel des Ehr¬
geizes ausdrücken will, Minister zu sein. Ludwig Philipp wurde sehr alt, er
konnte noch viel älter werden und jedes Jahr seiner Negierung setzte Frankreich in
den Augen der Welt mehr herab. Daß Thiers schon früher als erst bei dieser
Gelegenheit ernstlich daran dachte: es wäre gut, wenn der König dahin gebracht
werden könnte, abzudanken, läßt sich annehmen; ob er aber einen förmlichen
Plan dazu gemacht hat, ist im Augenblicke wenigstens nicht geschichtlich. Daß die
alten Conservativen und die in ihr Nichts zurückgefallenen Höflinge, von einem
heimlichen Einverständnisse zwischen der Herzogin von Orleans und ihm,
zu Gunsten der Regentschaft der letzteren und von seinem Streben N-äro <1u
uns zu werden sprechen, beweist nichts: denn Besiegte geben sich gern für Ueber¬
listete aus. Wenn Thiers aber wirklich den Plan gehabt hätte, den König auf
irgend eine Weise zum Abhäuten zu zwingen, so bestand doch am 25. Februar
die Schwierigkeit für ihn darin, die erregte Fluth des Volkszorus in deu Usern
der „Regentschaft" zu halten. Wahrscheinlich würde, wenn die Reform-Bewegung
glücklich mit der Abdankung Ludwig Philipps geendet hätte, Thiers diese Phase
seines Lebens für die ruhmreichste gehalten haben; jetzt ist seine Behauptung: „er
sei von jeher gegen die Bankette gewesen," nur das Mäntelchen der Niederlage.
Man erinnere sich nur jener denkwürdigen Worte, die Thiers noch am 2. Februar
1848, bei Gelegenheit der Rede über die Angelegenheiten der Schweiz, in der
Deputirtenkammer gesprochen hat. „Meine Herren," sagte er, „die Kammer weiß,
daß ich nicht radical bin, aber ich will Nichts von meinen Gedanken verschweigen.
Hier ist der Ort, wo wir für das gehalten werden müssen, was wir sind. Ich
gehöre zu der Partei der Revolution in Europa. Ich wünsche, daß
es von den Gemäßigten regiert bleiben möge, aber selbst wenn es in die Hände
derer übergehen sollte, die nicht zu den Gemäßigten gehören, werde ich die Sache
der Revolution nickt verlassen." Diese Worte brachten in den Tribünen der Kam¬
mer einen solchen Sturm hervor, daß Thiers einige Minnten lang vor Beifall¬
klatschen nicht weiter reden konnte.

Als Thiers um ein Uhr Morgens vor den König trat, stand der Greis wie
jener Philipp!i. vor den heruutergebrannten Kerzen und schien einen Freund zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/342>, abgerufen am 23.07.2024.