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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Gertr.

Still, man kommt! Das ist der Vater, (öffnet die Gartenthür)

Hiller.

Hiller.

El, Herr Graf, schon im Freien und so wohl auf?


Wald.

Willkommen, mein lieber Wirth. -- Wohin doch eine gute Behand¬

lung und ein geringer Blutverlust den störrigsten, abgeschmachtesten Burschen brin¬
gen kann. Ich möchte mich an der Nase zupfen, denn ich zweifle, ob ich noch,
ich selbst bin. Lammfromm, Vater Hiller; sentimental, Vater, die Welt sieht
mir rosa und goldgelb aus, und alle Menschen wie kleine liebenswürdige Posau¬
nenengel auf einer Dorfkanzel, die Backen vorn und hinten gleich rund und gleich
wohlwollend. Ich könnte Beeren suchen, Vater Hiller, und mit Kastanien spielen,
wie ein Kind, ja ich könnte als Schmetterling in Eure Blumen kriechen, um,
Thau zu trinken und mich zum Schlaf in ein Rosenblatt wickeln, so leicht und
körperlos fühle ich mich.


Hiller.

Das ist die Genesung. Und sie freut mich herzlich. Zuerst und

vor Allem um Ihretwillen, lieber Herr Graf, dann auch unsertwegen. Jetzt dürfen
wir bald wieder diese Thür öffnen.


Wald,

Was kümmert das die Welt, ob Ihr Eure Thür verschsos-,

(leicht).

sen haltet.

Wir Nachbarn haben wenig Geheimnisse vor einander, die Thüren


Hiller.

sind geöffnet, die Fenster niedrig und die Zungen beweglich, so verläuft unser
Leben; was ungewöhnlich ist, fällt ans.


Gertr.

Ja, ja, das ist wahr, es wird Kopfzerbrechen machen.


Wald.

Sind die Leute hier herum deun so neugierig?


Gertr.

Wie die Rothkehlchen und eben so geschwätzig. Manchmal wird's

lästig, aber die Meinung ist doch gut.


Hiller.

Jetzt aber handelt sich's um mehr, als Geschwätz. Seit drei Tagen

halten wir uns zurück und die Thür ist fast immer verschlossen. Das erregt Ver¬
dacht, als ob wir Böses thäten, und den Verdacht müssen wir vermeiden. --
(freundlich) Sie haben uns gesagt, lieber Herr Graf, wir sollten Sie und Ihre
Verwundung verbergen, weil für Sie und Andere großes Unglück entstehen könne,
wenn die Sache bekannt würde.

Gertr: (zupft ihn hinter Waldemars Rücken am Aermel und redet leise und eifrig
in ihn hinein.)

So ist es auch, Vater Hiller, arges Unglück kann daraus ent-


Wald.

stehn. -- (bei Seite) Ihr Götter meines Lebens, verzeiht mir die kleine Lüge!
Der Frieden und die Heimlichkeit dieses Kreises waren zu wohlthuend und zu
verführerisch; das ist doch endlich einmal ein Abenteuer; und meine Freunde brau¬
chen auch nicht zu erfahren, daß man mich mit Holz und Eisen bearbeitet hat.


Gertr.

Und so siehst Du ein, daß der Herr Graf noch hier blei¬

ben muß.


Gertr.

Still, man kommt! Das ist der Vater, (öffnet die Gartenthür)

Hiller.

Hiller.

El, Herr Graf, schon im Freien und so wohl auf?


Wald.

Willkommen, mein lieber Wirth. — Wohin doch eine gute Behand¬

lung und ein geringer Blutverlust den störrigsten, abgeschmachtesten Burschen brin¬
gen kann. Ich möchte mich an der Nase zupfen, denn ich zweifle, ob ich noch,
ich selbst bin. Lammfromm, Vater Hiller; sentimental, Vater, die Welt sieht
mir rosa und goldgelb aus, und alle Menschen wie kleine liebenswürdige Posau¬
nenengel auf einer Dorfkanzel, die Backen vorn und hinten gleich rund und gleich
wohlwollend. Ich könnte Beeren suchen, Vater Hiller, und mit Kastanien spielen,
wie ein Kind, ja ich könnte als Schmetterling in Eure Blumen kriechen, um,
Thau zu trinken und mich zum Schlaf in ein Rosenblatt wickeln, so leicht und
körperlos fühle ich mich.


Hiller.

Das ist die Genesung. Und sie freut mich herzlich. Zuerst und

vor Allem um Ihretwillen, lieber Herr Graf, dann auch unsertwegen. Jetzt dürfen
wir bald wieder diese Thür öffnen.


Wald,

Was kümmert das die Welt, ob Ihr Eure Thür verschsos-,

(leicht).

sen haltet.

Wir Nachbarn haben wenig Geheimnisse vor einander, die Thüren


Hiller.

sind geöffnet, die Fenster niedrig und die Zungen beweglich, so verläuft unser
Leben; was ungewöhnlich ist, fällt ans.


Gertr.

Ja, ja, das ist wahr, es wird Kopfzerbrechen machen.


Wald.

Sind die Leute hier herum deun so neugierig?


Gertr.

Wie die Rothkehlchen und eben so geschwätzig. Manchmal wird's

lästig, aber die Meinung ist doch gut.


Hiller.

Jetzt aber handelt sich's um mehr, als Geschwätz. Seit drei Tagen

halten wir uns zurück und die Thür ist fast immer verschlossen. Das erregt Ver¬
dacht, als ob wir Böses thäten, und den Verdacht müssen wir vermeiden. —
(freundlich) Sie haben uns gesagt, lieber Herr Graf, wir sollten Sie und Ihre
Verwundung verbergen, weil für Sie und Andere großes Unglück entstehen könne,
wenn die Sache bekannt würde.

Gertr: (zupft ihn hinter Waldemars Rücken am Aermel und redet leise und eifrig
in ihn hinein.)

So ist es auch, Vater Hiller, arges Unglück kann daraus ent-


Wald.

stehn. — (bei Seite) Ihr Götter meines Lebens, verzeiht mir die kleine Lüge!
Der Frieden und die Heimlichkeit dieses Kreises waren zu wohlthuend und zu
verführerisch; das ist doch endlich einmal ein Abenteuer; und meine Freunde brau¬
chen auch nicht zu erfahren, daß man mich mit Holz und Eisen bearbeitet hat.


Gertr.

Und so siehst Du ein, daß der Herr Graf noch hier blei¬

ben muß.


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[0332] Gertr. Still, man kommt! Das ist der Vater, (öffnet die Gartenthür) Hiller. Hiller. El, Herr Graf, schon im Freien und so wohl auf? Wald. Willkommen, mein lieber Wirth. — Wohin doch eine gute Behand¬ lung und ein geringer Blutverlust den störrigsten, abgeschmachtesten Burschen brin¬ gen kann. Ich möchte mich an der Nase zupfen, denn ich zweifle, ob ich noch, ich selbst bin. Lammfromm, Vater Hiller; sentimental, Vater, die Welt sieht mir rosa und goldgelb aus, und alle Menschen wie kleine liebenswürdige Posau¬ nenengel auf einer Dorfkanzel, die Backen vorn und hinten gleich rund und gleich wohlwollend. Ich könnte Beeren suchen, Vater Hiller, und mit Kastanien spielen, wie ein Kind, ja ich könnte als Schmetterling in Eure Blumen kriechen, um, Thau zu trinken und mich zum Schlaf in ein Rosenblatt wickeln, so leicht und körperlos fühle ich mich. Hiller. Das ist die Genesung. Und sie freut mich herzlich. Zuerst und vor Allem um Ihretwillen, lieber Herr Graf, dann auch unsertwegen. Jetzt dürfen wir bald wieder diese Thür öffnen. Wald, Was kümmert das die Welt, ob Ihr Eure Thür verschsos-, (leicht). sen haltet. Wir Nachbarn haben wenig Geheimnisse vor einander, die Thüren Hiller. sind geöffnet, die Fenster niedrig und die Zungen beweglich, so verläuft unser Leben; was ungewöhnlich ist, fällt ans. Gertr. Ja, ja, das ist wahr, es wird Kopfzerbrechen machen. Wald. Sind die Leute hier herum deun so neugierig? Gertr. Wie die Rothkehlchen und eben so geschwätzig. Manchmal wird's lästig, aber die Meinung ist doch gut. Hiller. Jetzt aber handelt sich's um mehr, als Geschwätz. Seit drei Tagen halten wir uns zurück und die Thür ist fast immer verschlossen. Das erregt Ver¬ dacht, als ob wir Böses thäten, und den Verdacht müssen wir vermeiden. — (freundlich) Sie haben uns gesagt, lieber Herr Graf, wir sollten Sie und Ihre Verwundung verbergen, weil für Sie und Andere großes Unglück entstehen könne, wenn die Sache bekannt würde. Gertr: (zupft ihn hinter Waldemars Rücken am Aermel und redet leise und eifrig in ihn hinein.) So ist es auch, Vater Hiller, arges Unglück kann daraus ent- Wald. stehn. — (bei Seite) Ihr Götter meines Lebens, verzeiht mir die kleine Lüge! Der Frieden und die Heimlichkeit dieses Kreises waren zu wohlthuend und zu verführerisch; das ist doch endlich einmal ein Abenteuer; und meine Freunde brau¬ chen auch nicht zu erfahren, daß man mich mit Holz und Eisen bearbeitet hat. Gertr. Und so siehst Du ein, daß der Herr Graf noch hier blei¬ ben muß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/332>, abgerufen am 23.07.2024.