Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie wir hören, beabsichtigt Herr Wal deck, seine Partei zu einer Art Vor¬
parlament zusammenzuberufen, um den Feldzugsplan für die diesmalige Session
zu entwerfen. Das Gespenst des alten Rumpfparlaments, das noch immer dnrch
gelegentliche Erscheinungen den Glauben an seine Existenz aufrechtzuerhalten sucht,
soll darin wieder umgehen. Man soll auf Ungiltiglcitserklärung der octroyirten
Verfassung, auf Anklage gegen die Münster und auf Abschaffung der ersten Kam¬
mer dringen wollen. Sollte an diesem Gerücht wirklich etwas Wahres sein, so
dürfte dieser seiner Form und seinem Inhalt nach revolutionäre Plan auf keine
große Zahl an Theilnehmern zu rechnen haben. Auf extreme Schritte, wie die
letzten der aufgelösten Versammlung es waren, läßt man sich nicht zweimal ein,
um so weniger, wenn sich weder vom Standpunkt des Rechts noch von dem der
Zweckmäßigkeit etwas dafür angeben läßt.

Was das erste betrifft, so lohnt es kaum der Mühe, über die Rechtmäßigkeit
oder Unrcchtmäßigkeit der Octroyirung etwas zu sagen. Von allen Dächern hatte
man gepredigt, es gebe keinen Rechtsboden mehr, man stehe auf dem Boden der
Revolution, d. h. der Gewalt. Die Negierung betrat ihrerseits diesen Boden;
sie erklärte die Versammlung, welche dazu berufen war, ihr einen Antrag über
die neue Verfassung zu machen, welche aber anderweitiger Geschäfte wegen dazu
uicht kam, für aufgelöst, wandte Gewalt gegen sie an, als sie nicht von selber
auseinanderging, und legte ihrerseits einen Verfassnügsantrag ein. Das Volk
hat daraus geantwortet. Ans die Dankadressen, welche von verschiedenen Seiten
einkamen, lege ich kein großes Gewicht; mehr schon auf die unnnterbrochne Zah¬
lung der Steuern, trotz alles Protestes von Seiten der sogenannten Volksvertre¬
ter. Was aber die Hauptsache ist, das Volk hat überall in den vorgeschriebenen
Formen gewählt. Kraft ihres Maubads siud uun die Deputirten in die neue Ver¬
fassung eingeführt; sie können rechtlich nichts anders sein, ihr einziger Rechtsboden
ist die Verfassung. Freilich können sie noch alles mögliche nebenbei vorstellen, wie
eben das Frankfurter Vorparlament, allein dann ist von keinem Nechtsstandpunkt
mehr die Rede, sondern vom Standpunkt der rohen Gewalt, und es wird den
Gewaltthaten vou der andern Seite Thor und Thür geöffnet. Wenn z. B. die
zweite Kammer einseitige Beschlüsse fassen, und sie mit Umgehung der beiden
andern verfassungsmäßigen Gewalten dem Volke aufdringen wollte, so träte sie
aus dem Boden des Rechts heraus. Daß sie übrigens vollkommen berechtigt ist,
die nöthigen einleitenden Schritte zur Abänderung unvollkommener Bestimmungen
in der Verfassung zu thun, erkennt die Negierung vollkommen an, und versteht
sich ohnehin von selbst.

Wichtiger als diese Rechtsgründe sind hier diejenigen, welche von der Zweck¬
mäßigkeit hergenommen sind. Soll der Preußische Staat genesen und zu neuem
Leben sich kräftigen, so muß er zunächst die Grundlage gewinnen, auf der er na¬
türlich u>,d gesetzlich sich fortzubilden vermag. Eine solche Grundlage hat ihm


Wie wir hören, beabsichtigt Herr Wal deck, seine Partei zu einer Art Vor¬
parlament zusammenzuberufen, um den Feldzugsplan für die diesmalige Session
zu entwerfen. Das Gespenst des alten Rumpfparlaments, das noch immer dnrch
gelegentliche Erscheinungen den Glauben an seine Existenz aufrechtzuerhalten sucht,
soll darin wieder umgehen. Man soll auf Ungiltiglcitserklärung der octroyirten
Verfassung, auf Anklage gegen die Münster und auf Abschaffung der ersten Kam¬
mer dringen wollen. Sollte an diesem Gerücht wirklich etwas Wahres sein, so
dürfte dieser seiner Form und seinem Inhalt nach revolutionäre Plan auf keine
große Zahl an Theilnehmern zu rechnen haben. Auf extreme Schritte, wie die
letzten der aufgelösten Versammlung es waren, läßt man sich nicht zweimal ein,
um so weniger, wenn sich weder vom Standpunkt des Rechts noch von dem der
Zweckmäßigkeit etwas dafür angeben läßt.

Was das erste betrifft, so lohnt es kaum der Mühe, über die Rechtmäßigkeit
oder Unrcchtmäßigkeit der Octroyirung etwas zu sagen. Von allen Dächern hatte
man gepredigt, es gebe keinen Rechtsboden mehr, man stehe auf dem Boden der
Revolution, d. h. der Gewalt. Die Negierung betrat ihrerseits diesen Boden;
sie erklärte die Versammlung, welche dazu berufen war, ihr einen Antrag über
die neue Verfassung zu machen, welche aber anderweitiger Geschäfte wegen dazu
uicht kam, für aufgelöst, wandte Gewalt gegen sie an, als sie nicht von selber
auseinanderging, und legte ihrerseits einen Verfassnügsantrag ein. Das Volk
hat daraus geantwortet. Ans die Dankadressen, welche von verschiedenen Seiten
einkamen, lege ich kein großes Gewicht; mehr schon auf die unnnterbrochne Zah¬
lung der Steuern, trotz alles Protestes von Seiten der sogenannten Volksvertre¬
ter. Was aber die Hauptsache ist, das Volk hat überall in den vorgeschriebenen
Formen gewählt. Kraft ihres Maubads siud uun die Deputirten in die neue Ver¬
fassung eingeführt; sie können rechtlich nichts anders sein, ihr einziger Rechtsboden
ist die Verfassung. Freilich können sie noch alles mögliche nebenbei vorstellen, wie
eben das Frankfurter Vorparlament, allein dann ist von keinem Nechtsstandpunkt
mehr die Rede, sondern vom Standpunkt der rohen Gewalt, und es wird den
Gewaltthaten vou der andern Seite Thor und Thür geöffnet. Wenn z. B. die
zweite Kammer einseitige Beschlüsse fassen, und sie mit Umgehung der beiden
andern verfassungsmäßigen Gewalten dem Volke aufdringen wollte, so träte sie
aus dem Boden des Rechts heraus. Daß sie übrigens vollkommen berechtigt ist,
die nöthigen einleitenden Schritte zur Abänderung unvollkommener Bestimmungen
in der Verfassung zu thun, erkennt die Negierung vollkommen an, und versteht
sich ohnehin von selbst.

Wichtiger als diese Rechtsgründe sind hier diejenigen, welche von der Zweck¬
mäßigkeit hergenommen sind. Soll der Preußische Staat genesen und zu neuem
Leben sich kräftigen, so muß er zunächst die Grundlage gewinnen, auf der er na¬
türlich u>,d gesetzlich sich fortzubilden vermag. Eine solche Grundlage hat ihm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0317" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278305"/>
          <p xml:id="ID_1585"> Wie wir hören, beabsichtigt Herr Wal deck, seine Partei zu einer Art Vor¬<lb/>
parlament zusammenzuberufen, um den Feldzugsplan für die diesmalige Session<lb/>
zu entwerfen. Das Gespenst des alten Rumpfparlaments, das noch immer dnrch<lb/>
gelegentliche Erscheinungen den Glauben an seine Existenz aufrechtzuerhalten sucht,<lb/>
soll darin wieder umgehen. Man soll auf Ungiltiglcitserklärung der octroyirten<lb/>
Verfassung, auf Anklage gegen die Münster und auf Abschaffung der ersten Kam¬<lb/>
mer dringen wollen. Sollte an diesem Gerücht wirklich etwas Wahres sein, so<lb/>
dürfte dieser seiner Form und seinem Inhalt nach revolutionäre Plan auf keine<lb/>
große Zahl an Theilnehmern zu rechnen haben. Auf extreme Schritte, wie die<lb/>
letzten der aufgelösten Versammlung es waren, läßt man sich nicht zweimal ein,<lb/>
um so weniger, wenn sich weder vom Standpunkt des Rechts noch von dem der<lb/>
Zweckmäßigkeit etwas dafür angeben läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1586"> Was das erste betrifft, so lohnt es kaum der Mühe, über die Rechtmäßigkeit<lb/>
oder Unrcchtmäßigkeit der Octroyirung etwas zu sagen. Von allen Dächern hatte<lb/>
man gepredigt, es gebe keinen Rechtsboden mehr, man stehe auf dem Boden der<lb/>
Revolution, d. h. der Gewalt. Die Negierung betrat ihrerseits diesen Boden;<lb/>
sie erklärte die Versammlung, welche dazu berufen war, ihr einen Antrag über<lb/>
die neue Verfassung zu machen, welche aber anderweitiger Geschäfte wegen dazu<lb/>
uicht kam, für aufgelöst, wandte Gewalt gegen sie an, als sie nicht von selber<lb/>
auseinanderging, und legte ihrerseits einen Verfassnügsantrag ein. Das Volk<lb/>
hat daraus geantwortet. Ans die Dankadressen, welche von verschiedenen Seiten<lb/>
einkamen, lege ich kein großes Gewicht; mehr schon auf die unnnterbrochne Zah¬<lb/>
lung der Steuern, trotz alles Protestes von Seiten der sogenannten Volksvertre¬<lb/>
ter. Was aber die Hauptsache ist, das Volk hat überall in den vorgeschriebenen<lb/>
Formen gewählt. Kraft ihres Maubads siud uun die Deputirten in die neue Ver¬<lb/>
fassung eingeführt; sie können rechtlich nichts anders sein, ihr einziger Rechtsboden<lb/>
ist die Verfassung. Freilich können sie noch alles mögliche nebenbei vorstellen, wie<lb/>
eben das Frankfurter Vorparlament, allein dann ist von keinem Nechtsstandpunkt<lb/>
mehr die Rede, sondern vom Standpunkt der rohen Gewalt, und es wird den<lb/>
Gewaltthaten vou der andern Seite Thor und Thür geöffnet. Wenn z. B. die<lb/>
zweite Kammer einseitige Beschlüsse fassen, und sie mit Umgehung der beiden<lb/>
andern verfassungsmäßigen Gewalten dem Volke aufdringen wollte, so träte sie<lb/>
aus dem Boden des Rechts heraus. Daß sie übrigens vollkommen berechtigt ist,<lb/>
die nöthigen einleitenden Schritte zur Abänderung unvollkommener Bestimmungen<lb/>
in der Verfassung zu thun, erkennt die Negierung vollkommen an, und versteht<lb/>
sich ohnehin von selbst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1587" next="#ID_1588"> Wichtiger als diese Rechtsgründe sind hier diejenigen, welche von der Zweck¬<lb/>
mäßigkeit hergenommen sind. Soll der Preußische Staat genesen und zu neuem<lb/>
Leben sich kräftigen, so muß er zunächst die Grundlage gewinnen, auf der er na¬<lb/>
türlich u&gt;,d gesetzlich sich fortzubilden vermag. Eine solche Grundlage hat ihm</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0317] Wie wir hören, beabsichtigt Herr Wal deck, seine Partei zu einer Art Vor¬ parlament zusammenzuberufen, um den Feldzugsplan für die diesmalige Session zu entwerfen. Das Gespenst des alten Rumpfparlaments, das noch immer dnrch gelegentliche Erscheinungen den Glauben an seine Existenz aufrechtzuerhalten sucht, soll darin wieder umgehen. Man soll auf Ungiltiglcitserklärung der octroyirten Verfassung, auf Anklage gegen die Münster und auf Abschaffung der ersten Kam¬ mer dringen wollen. Sollte an diesem Gerücht wirklich etwas Wahres sein, so dürfte dieser seiner Form und seinem Inhalt nach revolutionäre Plan auf keine große Zahl an Theilnehmern zu rechnen haben. Auf extreme Schritte, wie die letzten der aufgelösten Versammlung es waren, läßt man sich nicht zweimal ein, um so weniger, wenn sich weder vom Standpunkt des Rechts noch von dem der Zweckmäßigkeit etwas dafür angeben läßt. Was das erste betrifft, so lohnt es kaum der Mühe, über die Rechtmäßigkeit oder Unrcchtmäßigkeit der Octroyirung etwas zu sagen. Von allen Dächern hatte man gepredigt, es gebe keinen Rechtsboden mehr, man stehe auf dem Boden der Revolution, d. h. der Gewalt. Die Negierung betrat ihrerseits diesen Boden; sie erklärte die Versammlung, welche dazu berufen war, ihr einen Antrag über die neue Verfassung zu machen, welche aber anderweitiger Geschäfte wegen dazu uicht kam, für aufgelöst, wandte Gewalt gegen sie an, als sie nicht von selber auseinanderging, und legte ihrerseits einen Verfassnügsantrag ein. Das Volk hat daraus geantwortet. Ans die Dankadressen, welche von verschiedenen Seiten einkamen, lege ich kein großes Gewicht; mehr schon auf die unnnterbrochne Zah¬ lung der Steuern, trotz alles Protestes von Seiten der sogenannten Volksvertre¬ ter. Was aber die Hauptsache ist, das Volk hat überall in den vorgeschriebenen Formen gewählt. Kraft ihres Maubads siud uun die Deputirten in die neue Ver¬ fassung eingeführt; sie können rechtlich nichts anders sein, ihr einziger Rechtsboden ist die Verfassung. Freilich können sie noch alles mögliche nebenbei vorstellen, wie eben das Frankfurter Vorparlament, allein dann ist von keinem Nechtsstandpunkt mehr die Rede, sondern vom Standpunkt der rohen Gewalt, und es wird den Gewaltthaten vou der andern Seite Thor und Thür geöffnet. Wenn z. B. die zweite Kammer einseitige Beschlüsse fassen, und sie mit Umgehung der beiden andern verfassungsmäßigen Gewalten dem Volke aufdringen wollte, so träte sie aus dem Boden des Rechts heraus. Daß sie übrigens vollkommen berechtigt ist, die nöthigen einleitenden Schritte zur Abänderung unvollkommener Bestimmungen in der Verfassung zu thun, erkennt die Negierung vollkommen an, und versteht sich ohnehin von selbst. Wichtiger als diese Rechtsgründe sind hier diejenigen, welche von der Zweck¬ mäßigkeit hergenommen sind. Soll der Preußische Staat genesen und zu neuem Leben sich kräftigen, so muß er zunächst die Grundlage gewinnen, auf der er na¬ türlich u>,d gesetzlich sich fortzubilden vermag. Eine solche Grundlage hat ihm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/317
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/317>, abgerufen am 23.07.2024.