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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Der Zuwachs ist aber durchaus zu Gunsten der rechten Seite. Masse war
schon früher da, aber es fehlten die Führer, die Vorkämpfer, die großen Ge¬
danken. Diese haben sich nun in hinreichender Zahl gesunden. Von alten Namen
sind da: die Tones B odelschwingh, Manteuffel, Arnim-B vitzenburg,
Bismark-Schön Hausen, Renard; die Whigs Bin cke, Schwerin, Auers-
wald, Heydt; daß die alten Choragen der conservativen Partei, Baumstark,
Rehfeldt, Sydow und Reichensperger fehlen, ist nicht gerade ein Unglück
zu nennen. Unter den neuen Namen ist der Professor Keller hervorzuheben,
ein feiner, eleganter Kopf, der seinen frühern Doctrinen uach etwas weiter nach
rechts hinüberneigt, als es zum constitutionellen Leben unbedingt erforderlich sein
dürfte, wie das bei einem alten Republikaner nicht wunderbar ist. Alle diese
Männer würden in der ersten Kammer eine Rolle spielen, die ihren geistigen An¬
lagen keineswegs angemessen wäre; in der zweiten dagegen, wo sie einen mäch¬
tigen und gefährlichen Gegner zu bekämpfen haben, wird ihr Talent Funken geben,
wie der Stahl am Feuerstein.

Die Opposition erfreut sich bis jetzt keines erhebliche" Zuwachses, mit Aus¬
nahme zweier Männer, Heinrich Simon und Julius Rupp. Zu den Zeiten
des Centrallandtags hat Simon durch seine kühne Brochüre: Annehmen oder
Ablehnen? mehr Aufsehn als Erfolg hervorgebracht; wir wünschen ihm bei
seiner diesmaligen Thätigkeit, die unzweifelhaft nach derselben Richtung gehen
wird, das Gleiche. Rupp ist ein Mann von den glänzendsten Anlagen und dem
ungemessensten Ehrgeiz; er wird voraussichtlich in der äußersten Linken eine be¬
deutende Stellung einnehmen. Vielleicht gelingt es ihn, diese Partei aus dem
geistlosen Cynismus und der Burschikosität vereinzelter unmittelbarer Einfälle mehr
ins Ideelle hinüberzuleiten. Jedenfalls werden beide Männer dazu beitragen, ihr
mehr Haltung zu geben.

Was nun die weitere Entwickelung der Parteien betrifft, so wird Vieles von
der Beschaffenheit der ersten Kammer abhängen. Ist sie, wie wir wünschen und
hoffen, bei aller conservativen Gesinnung in ihrer Majorität dem Geist der neuen
Zeit geneigt, geht sie aufrichtig in die Umbildung Preußens zu einem nicht nur
der Form sondern dem Wesen nach constitutionellen Staat ein, und läßt sie sich
mit fortreißen zu dem kühnerem Schwung, den Preußen nach seiner jetzigen Lage
nothwendig nehmen muß, um seine große Vergangenheit nicht Lügen zu strafen,
so wird ein einiges Zusammenwirken der drei legislativen Mächte nicht nur mög¬
lich, sondern auch wahrscheinlich, und Preußen kann sich rühmen, mit verhältni߬
mäßig geringen Opfern sich eine große Zukunft bereitet zu haben. Wallet aber
auch der reactionäre, kleinlich ängstliche Geist der alten Zeit in ihr vor, so könnte
sie dadurch die zweite Kammer in das entgegengesetzte Extrem treiben, und eine
weitere Fortdauer der Anarchie, d. h. der allgemeinen Planlosigkeit und Ohnmacht
wäre damit in Aussicht gestellt.


Der Zuwachs ist aber durchaus zu Gunsten der rechten Seite. Masse war
schon früher da, aber es fehlten die Führer, die Vorkämpfer, die großen Ge¬
danken. Diese haben sich nun in hinreichender Zahl gesunden. Von alten Namen
sind da: die Tones B odelschwingh, Manteuffel, Arnim-B vitzenburg,
Bismark-Schön Hausen, Renard; die Whigs Bin cke, Schwerin, Auers-
wald, Heydt; daß die alten Choragen der conservativen Partei, Baumstark,
Rehfeldt, Sydow und Reichensperger fehlen, ist nicht gerade ein Unglück
zu nennen. Unter den neuen Namen ist der Professor Keller hervorzuheben,
ein feiner, eleganter Kopf, der seinen frühern Doctrinen uach etwas weiter nach
rechts hinüberneigt, als es zum constitutionellen Leben unbedingt erforderlich sein
dürfte, wie das bei einem alten Republikaner nicht wunderbar ist. Alle diese
Männer würden in der ersten Kammer eine Rolle spielen, die ihren geistigen An¬
lagen keineswegs angemessen wäre; in der zweiten dagegen, wo sie einen mäch¬
tigen und gefährlichen Gegner zu bekämpfen haben, wird ihr Talent Funken geben,
wie der Stahl am Feuerstein.

Die Opposition erfreut sich bis jetzt keines erhebliche» Zuwachses, mit Aus¬
nahme zweier Männer, Heinrich Simon und Julius Rupp. Zu den Zeiten
des Centrallandtags hat Simon durch seine kühne Brochüre: Annehmen oder
Ablehnen? mehr Aufsehn als Erfolg hervorgebracht; wir wünschen ihm bei
seiner diesmaligen Thätigkeit, die unzweifelhaft nach derselben Richtung gehen
wird, das Gleiche. Rupp ist ein Mann von den glänzendsten Anlagen und dem
ungemessensten Ehrgeiz; er wird voraussichtlich in der äußersten Linken eine be¬
deutende Stellung einnehmen. Vielleicht gelingt es ihn, diese Partei aus dem
geistlosen Cynismus und der Burschikosität vereinzelter unmittelbarer Einfälle mehr
ins Ideelle hinüberzuleiten. Jedenfalls werden beide Männer dazu beitragen, ihr
mehr Haltung zu geben.

Was nun die weitere Entwickelung der Parteien betrifft, so wird Vieles von
der Beschaffenheit der ersten Kammer abhängen. Ist sie, wie wir wünschen und
hoffen, bei aller conservativen Gesinnung in ihrer Majorität dem Geist der neuen
Zeit geneigt, geht sie aufrichtig in die Umbildung Preußens zu einem nicht nur
der Form sondern dem Wesen nach constitutionellen Staat ein, und läßt sie sich
mit fortreißen zu dem kühnerem Schwung, den Preußen nach seiner jetzigen Lage
nothwendig nehmen muß, um seine große Vergangenheit nicht Lügen zu strafen,
so wird ein einiges Zusammenwirken der drei legislativen Mächte nicht nur mög¬
lich, sondern auch wahrscheinlich, und Preußen kann sich rühmen, mit verhältni߬
mäßig geringen Opfern sich eine große Zukunft bereitet zu haben. Wallet aber
auch der reactionäre, kleinlich ängstliche Geist der alten Zeit in ihr vor, so könnte
sie dadurch die zweite Kammer in das entgegengesetzte Extrem treiben, und eine
weitere Fortdauer der Anarchie, d. h. der allgemeinen Planlosigkeit und Ohnmacht
wäre damit in Aussicht gestellt.


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[0316] Der Zuwachs ist aber durchaus zu Gunsten der rechten Seite. Masse war schon früher da, aber es fehlten die Führer, die Vorkämpfer, die großen Ge¬ danken. Diese haben sich nun in hinreichender Zahl gesunden. Von alten Namen sind da: die Tones B odelschwingh, Manteuffel, Arnim-B vitzenburg, Bismark-Schön Hausen, Renard; die Whigs Bin cke, Schwerin, Auers- wald, Heydt; daß die alten Choragen der conservativen Partei, Baumstark, Rehfeldt, Sydow und Reichensperger fehlen, ist nicht gerade ein Unglück zu nennen. Unter den neuen Namen ist der Professor Keller hervorzuheben, ein feiner, eleganter Kopf, der seinen frühern Doctrinen uach etwas weiter nach rechts hinüberneigt, als es zum constitutionellen Leben unbedingt erforderlich sein dürfte, wie das bei einem alten Republikaner nicht wunderbar ist. Alle diese Männer würden in der ersten Kammer eine Rolle spielen, die ihren geistigen An¬ lagen keineswegs angemessen wäre; in der zweiten dagegen, wo sie einen mäch¬ tigen und gefährlichen Gegner zu bekämpfen haben, wird ihr Talent Funken geben, wie der Stahl am Feuerstein. Die Opposition erfreut sich bis jetzt keines erhebliche» Zuwachses, mit Aus¬ nahme zweier Männer, Heinrich Simon und Julius Rupp. Zu den Zeiten des Centrallandtags hat Simon durch seine kühne Brochüre: Annehmen oder Ablehnen? mehr Aufsehn als Erfolg hervorgebracht; wir wünschen ihm bei seiner diesmaligen Thätigkeit, die unzweifelhaft nach derselben Richtung gehen wird, das Gleiche. Rupp ist ein Mann von den glänzendsten Anlagen und dem ungemessensten Ehrgeiz; er wird voraussichtlich in der äußersten Linken eine be¬ deutende Stellung einnehmen. Vielleicht gelingt es ihn, diese Partei aus dem geistlosen Cynismus und der Burschikosität vereinzelter unmittelbarer Einfälle mehr ins Ideelle hinüberzuleiten. Jedenfalls werden beide Männer dazu beitragen, ihr mehr Haltung zu geben. Was nun die weitere Entwickelung der Parteien betrifft, so wird Vieles von der Beschaffenheit der ersten Kammer abhängen. Ist sie, wie wir wünschen und hoffen, bei aller conservativen Gesinnung in ihrer Majorität dem Geist der neuen Zeit geneigt, geht sie aufrichtig in die Umbildung Preußens zu einem nicht nur der Form sondern dem Wesen nach constitutionellen Staat ein, und läßt sie sich mit fortreißen zu dem kühnerem Schwung, den Preußen nach seiner jetzigen Lage nothwendig nehmen muß, um seine große Vergangenheit nicht Lügen zu strafen, so wird ein einiges Zusammenwirken der drei legislativen Mächte nicht nur mög¬ lich, sondern auch wahrscheinlich, und Preußen kann sich rühmen, mit verhältni߬ mäßig geringen Opfern sich eine große Zukunft bereitet zu haben. Wallet aber auch der reactionäre, kleinlich ängstliche Geist der alten Zeit in ihr vor, so könnte sie dadurch die zweite Kammer in das entgegengesetzte Extrem treiben, und eine weitere Fortdauer der Anarchie, d. h. der allgemeinen Planlosigkeit und Ohnmacht wäre damit in Aussicht gestellt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/316>, abgerufen am 23.12.2024.