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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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fördern suchen. So ungefähr denkt der östreichische Patriot von dem Manne, der
sich jetzt zur Rettung Oestreichs aus der allgemeinen Verwirrung, aus dessen
Stellung zwischen der Herrschaft des Schwertes und der blutigen Anarchie be¬
rufen fühlen würde. Fürst Windischgrätz aber ist nicht dieser neue Heiland Oest¬
reichs. Wenn er so viel Selbstbeschränkung besitzt, uach Erfüllung seiner Voll¬
machten als "Wiederhersteller der Ruhe und Ordnung im Reiche" vom öffentlichen
Schauplätze abzutreten, dann wollen wir seine Seelengröße bewundern, und ihm
gerne, als einem ganzen Manne und Charakter den Platz in der Wallhalla gön¬
nen, welchen ihm König Max von Baiern bereits angewiesen hat. Aber wir
furchten, menschliche Eitelkeit wird den jetzigen Beherrscher Oestreichs über den
Kreis seines Marschallamts Hinaustragen. Dann wird ein neuer Wendepunkt in der
nächsten Zukunft Oestreichs eintreten: der Mangel an einem schöpferischen Genie,
das sich an die Spitze der neuen politischen Bewegung Oestreichs stellte, wird
dann von der in der Nation selbst ruhenden schöpferischen Kraft ersetzt werden
müssen. Der negative Haß, welcher jetzt alle Nationalitäten gegen die gemeinsame
Bedrückung durch die "militärische Nationalität," wie die Kremsierer Linke die
jetzige Gewaltherrschaft nenut, erfüllt, wird die bisher vereinzelten Kräfte der öst¬
reichischen Völkerschaften zu einem gemeinsamen Aufschwung gegen jene Vormund¬
schaft des Schwertes und für die Constituirung eines einheitlichen nationalen Bun¬
desstaates begeistern. Mit andern Worten: Die Nationalitäten werden ihre ge¬
genseitige Eifersüchtelei im Gefühle der gemeinsamen Noth ablegen, die intriguante
Politik Altöstreichs mit Einem Schlage vernichten und die ans der Revolution
hervorgegangene Politik der östreichischen Nation nach allen ihren nothwendigen
Konsequenzen verfolgen. Die Gewaltherrschaft, wie sie jetzt in Oestreich zu Gun¬
sten des alten Systems besteht, fortführen, heißt: die Revolution permanent ma¬
chen. Früher oder später wird das gebildete Bewußtsein einer solidarischen Ver¬
pflichtung für die Freiheit und die Interessen des Staates- über die beschränkte
Nationalitätsromantik der jetzigen Parteiführer siegen, und dann nützen alle Ka¬
nonen und Bajonnette der Armee nichts mehr, um die Forderungen einer gesun¬
den, dem Bedürfnisse der ganzen Nation entsprechenden Politik niederzuhalten.
Reform oder Revolution?! Abermals steht Oestreich vor der Entscheidung dieser
Frage, diesmal aber zum letzten Male.

Die Geschichte hat über Altöstreich und dessen politisches System den Stab
gebrochen -- aber die östreichische Nation wird zu neuem Leben auferstehen!


Verus. 'Fnedmann.


fördern suchen. So ungefähr denkt der östreichische Patriot von dem Manne, der
sich jetzt zur Rettung Oestreichs aus der allgemeinen Verwirrung, aus dessen
Stellung zwischen der Herrschaft des Schwertes und der blutigen Anarchie be¬
rufen fühlen würde. Fürst Windischgrätz aber ist nicht dieser neue Heiland Oest¬
reichs. Wenn er so viel Selbstbeschränkung besitzt, uach Erfüllung seiner Voll¬
machten als „Wiederhersteller der Ruhe und Ordnung im Reiche" vom öffentlichen
Schauplätze abzutreten, dann wollen wir seine Seelengröße bewundern, und ihm
gerne, als einem ganzen Manne und Charakter den Platz in der Wallhalla gön¬
nen, welchen ihm König Max von Baiern bereits angewiesen hat. Aber wir
furchten, menschliche Eitelkeit wird den jetzigen Beherrscher Oestreichs über den
Kreis seines Marschallamts Hinaustragen. Dann wird ein neuer Wendepunkt in der
nächsten Zukunft Oestreichs eintreten: der Mangel an einem schöpferischen Genie,
das sich an die Spitze der neuen politischen Bewegung Oestreichs stellte, wird
dann von der in der Nation selbst ruhenden schöpferischen Kraft ersetzt werden
müssen. Der negative Haß, welcher jetzt alle Nationalitäten gegen die gemeinsame
Bedrückung durch die „militärische Nationalität," wie die Kremsierer Linke die
jetzige Gewaltherrschaft nenut, erfüllt, wird die bisher vereinzelten Kräfte der öst¬
reichischen Völkerschaften zu einem gemeinsamen Aufschwung gegen jene Vormund¬
schaft des Schwertes und für die Constituirung eines einheitlichen nationalen Bun¬
desstaates begeistern. Mit andern Worten: Die Nationalitäten werden ihre ge¬
genseitige Eifersüchtelei im Gefühle der gemeinsamen Noth ablegen, die intriguante
Politik Altöstreichs mit Einem Schlage vernichten und die ans der Revolution
hervorgegangene Politik der östreichischen Nation nach allen ihren nothwendigen
Konsequenzen verfolgen. Die Gewaltherrschaft, wie sie jetzt in Oestreich zu Gun¬
sten des alten Systems besteht, fortführen, heißt: die Revolution permanent ma¬
chen. Früher oder später wird das gebildete Bewußtsein einer solidarischen Ver¬
pflichtung für die Freiheit und die Interessen des Staates- über die beschränkte
Nationalitätsromantik der jetzigen Parteiführer siegen, und dann nützen alle Ka¬
nonen und Bajonnette der Armee nichts mehr, um die Forderungen einer gesun¬
den, dem Bedürfnisse der ganzen Nation entsprechenden Politik niederzuhalten.
Reform oder Revolution?! Abermals steht Oestreich vor der Entscheidung dieser
Frage, diesmal aber zum letzten Male.

Die Geschichte hat über Altöstreich und dessen politisches System den Stab
gebrochen — aber die östreichische Nation wird zu neuem Leben auferstehen!


Verus. 'Fnedmann.


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[0309] fördern suchen. So ungefähr denkt der östreichische Patriot von dem Manne, der sich jetzt zur Rettung Oestreichs aus der allgemeinen Verwirrung, aus dessen Stellung zwischen der Herrschaft des Schwertes und der blutigen Anarchie be¬ rufen fühlen würde. Fürst Windischgrätz aber ist nicht dieser neue Heiland Oest¬ reichs. Wenn er so viel Selbstbeschränkung besitzt, uach Erfüllung seiner Voll¬ machten als „Wiederhersteller der Ruhe und Ordnung im Reiche" vom öffentlichen Schauplätze abzutreten, dann wollen wir seine Seelengröße bewundern, und ihm gerne, als einem ganzen Manne und Charakter den Platz in der Wallhalla gön¬ nen, welchen ihm König Max von Baiern bereits angewiesen hat. Aber wir furchten, menschliche Eitelkeit wird den jetzigen Beherrscher Oestreichs über den Kreis seines Marschallamts Hinaustragen. Dann wird ein neuer Wendepunkt in der nächsten Zukunft Oestreichs eintreten: der Mangel an einem schöpferischen Genie, das sich an die Spitze der neuen politischen Bewegung Oestreichs stellte, wird dann von der in der Nation selbst ruhenden schöpferischen Kraft ersetzt werden müssen. Der negative Haß, welcher jetzt alle Nationalitäten gegen die gemeinsame Bedrückung durch die „militärische Nationalität," wie die Kremsierer Linke die jetzige Gewaltherrschaft nenut, erfüllt, wird die bisher vereinzelten Kräfte der öst¬ reichischen Völkerschaften zu einem gemeinsamen Aufschwung gegen jene Vormund¬ schaft des Schwertes und für die Constituirung eines einheitlichen nationalen Bun¬ desstaates begeistern. Mit andern Worten: Die Nationalitäten werden ihre ge¬ genseitige Eifersüchtelei im Gefühle der gemeinsamen Noth ablegen, die intriguante Politik Altöstreichs mit Einem Schlage vernichten und die ans der Revolution hervorgegangene Politik der östreichischen Nation nach allen ihren nothwendigen Konsequenzen verfolgen. Die Gewaltherrschaft, wie sie jetzt in Oestreich zu Gun¬ sten des alten Systems besteht, fortführen, heißt: die Revolution permanent ma¬ chen. Früher oder später wird das gebildete Bewußtsein einer solidarischen Ver¬ pflichtung für die Freiheit und die Interessen des Staates- über die beschränkte Nationalitätsromantik der jetzigen Parteiführer siegen, und dann nützen alle Ka¬ nonen und Bajonnette der Armee nichts mehr, um die Forderungen einer gesun¬ den, dem Bedürfnisse der ganzen Nation entsprechenden Politik niederzuhalten. Reform oder Revolution?! Abermals steht Oestreich vor der Entscheidung dieser Frage, diesmal aber zum letzten Male. Die Geschichte hat über Altöstreich und dessen politisches System den Stab gebrochen — aber die östreichische Nation wird zu neuem Leben auferstehen! Verus. 'Fnedmann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/309>, abgerufen am 23.12.2024.