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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Aber der Haß, welcher mir jetzt noch beim Gedanken an den alten Franz I.
und seine politische Erbschaft in alle Glieder fahrt, thut meinem Patriotismus
für das freie Oestreich keinen Abbruch. Ich wünsche vielmehr, jener schöne An¬
flug von Begeisterung, welcher die verschiedenen östreichischen Nationen einige Zeit
ans deu Schränken ihres bisherigen Lebenskreises herausgetrieben, würde nun von
den Männern, welche sich zur Regeneration Oestreichs berufen halten, für die
Idee des neuen freien Gesammtstaates benützt. Diese Begeisterung, angefacht
durch das freie Wort und befestigt durch rasche Herbeiführung eines einheitlichen
Zusammenlebens der östreichische!: Nationen, durch Gewährung der höchsten per¬
sönlichen Freiheiten würde jedenfalls einen bessern "psychologischen Zwang" ausüben,
als die Kauonen, Bajonnette, Hinrichtungen, Spießruthen und Kontributionen
mittelst welcher die Militärgewalt jetzt loyalöstreichische Gesinnung einzuprägen be¬
müht ist. Dies ist der Unterschied zwischen dem östreichischen Patriotismus, wel¬
cher die Nenöstreicher und die Altöstreicher beseelt! -- Jene sentimentale oder
romantische Anhänglichkeit an die Berge, Wälder und Seeen, das Hineinlullen
in nationale Volksgesänge oder der Stolz auf althergebrachte Sitte und Gesetze,
in welchen sich vor den Märztagen der Patriotismus der "östreichischen Unterthanen"
aussprach, wurde von den Freunden des "malen re^imo gerne geduldet. Sie
lächelten über diese kindlichen Umwallungen des unmündigen Volkes und klopften
auf die besternte Brust, zählten ihre Ahnen und Hvfchargen, antichambrirten sür
eine Staatsrathsstclle oder bürsteten, als "Inhaber eines Regiments" figuriren
zu können, kurz sie nährten sich von kaiserlicher Gnade und verehrten die schwarze
Uniform mit den goldenen oder gelben Einfassungen als den Ausdruck östreichischer
Gesinnung. Nicht der Staat Oestreich, sondern "das Haus Oestreich" erfüllt das
politische Bewußtsein der damaligen und -- jetzigen Gewalthaber. Dieses Haus
zu befestigen, den erschütterten Glauben an dasselbe wieder herzustellen, ist das
Flickwerk des jetzigen Cabinets bestimmt, sür dieses Haus hat die Armee Hunger,
Kälte und Kriegsnoth muthig und tapfer ertragen, dieses Haus repräsentirt Herr
von Schmerling in Frankfurt, sowie die andern östreichischen Botschafter an den
fremden Höfen. Die Idee des freien östreichischen Staates wurde nach und nach
in die Räume dieses "Hauses" untergebracht, ein russischer Portier hat sich an's
Hauptthor gestellt, die übrigen Zugänge und Gemächer sind von Bewaffneten aller
Art angefüllt und bewacht, der Haus-, Hof- und Staatskanzler setzt wieder die
geschmeidigen Diener in Bewegung und weist den "in Ehrfurcht ersterbenden" Völ¬
kern ihre bestimmten Plätze an!---Die gemüthlichen Landeskinder mit
ihren naiven Neigungen für "Backhändel und schöne Natur," sür provinzielle
Volkslieder und für althergebrachte Sitten und Vorrechte -- dies sind die Patrio¬
ten, welche, für die Haus- und Hofpolitiker Altöstreichs passen.

Und nun will ich von Oestreichs nationaler Politik sprechen?! Vielleicht
M ein Traumbild meiner Phantasie, an ein neues Gebilde "meiner jugendlichen


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Aber der Haß, welcher mir jetzt noch beim Gedanken an den alten Franz I.
und seine politische Erbschaft in alle Glieder fahrt, thut meinem Patriotismus
für das freie Oestreich keinen Abbruch. Ich wünsche vielmehr, jener schöne An¬
flug von Begeisterung, welcher die verschiedenen östreichischen Nationen einige Zeit
ans deu Schränken ihres bisherigen Lebenskreises herausgetrieben, würde nun von
den Männern, welche sich zur Regeneration Oestreichs berufen halten, für die
Idee des neuen freien Gesammtstaates benützt. Diese Begeisterung, angefacht
durch das freie Wort und befestigt durch rasche Herbeiführung eines einheitlichen
Zusammenlebens der östreichische!: Nationen, durch Gewährung der höchsten per¬
sönlichen Freiheiten würde jedenfalls einen bessern „psychologischen Zwang" ausüben,
als die Kauonen, Bajonnette, Hinrichtungen, Spießruthen und Kontributionen
mittelst welcher die Militärgewalt jetzt loyalöstreichische Gesinnung einzuprägen be¬
müht ist. Dies ist der Unterschied zwischen dem östreichischen Patriotismus, wel¬
cher die Nenöstreicher und die Altöstreicher beseelt! — Jene sentimentale oder
romantische Anhänglichkeit an die Berge, Wälder und Seeen, das Hineinlullen
in nationale Volksgesänge oder der Stolz auf althergebrachte Sitte und Gesetze,
in welchen sich vor den Märztagen der Patriotismus der „östreichischen Unterthanen"
aussprach, wurde von den Freunden des »malen re^imo gerne geduldet. Sie
lächelten über diese kindlichen Umwallungen des unmündigen Volkes und klopften
auf die besternte Brust, zählten ihre Ahnen und Hvfchargen, antichambrirten sür
eine Staatsrathsstclle oder bürsteten, als „Inhaber eines Regiments" figuriren
zu können, kurz sie nährten sich von kaiserlicher Gnade und verehrten die schwarze
Uniform mit den goldenen oder gelben Einfassungen als den Ausdruck östreichischer
Gesinnung. Nicht der Staat Oestreich, sondern „das Haus Oestreich" erfüllt das
politische Bewußtsein der damaligen und — jetzigen Gewalthaber. Dieses Haus
zu befestigen, den erschütterten Glauben an dasselbe wieder herzustellen, ist das
Flickwerk des jetzigen Cabinets bestimmt, sür dieses Haus hat die Armee Hunger,
Kälte und Kriegsnoth muthig und tapfer ertragen, dieses Haus repräsentirt Herr
von Schmerling in Frankfurt, sowie die andern östreichischen Botschafter an den
fremden Höfen. Die Idee des freien östreichischen Staates wurde nach und nach
in die Räume dieses „Hauses" untergebracht, ein russischer Portier hat sich an's
Hauptthor gestellt, die übrigen Zugänge und Gemächer sind von Bewaffneten aller
Art angefüllt und bewacht, der Haus-, Hof- und Staatskanzler setzt wieder die
geschmeidigen Diener in Bewegung und weist den „in Ehrfurcht ersterbenden" Völ¬
kern ihre bestimmten Plätze an!---Die gemüthlichen Landeskinder mit
ihren naiven Neigungen für „Backhändel und schöne Natur," sür provinzielle
Volkslieder und für althergebrachte Sitten und Vorrechte — dies sind die Patrio¬
ten, welche, für die Haus- und Hofpolitiker Altöstreichs passen.

Und nun will ich von Oestreichs nationaler Politik sprechen?! Vielleicht
M ein Traumbild meiner Phantasie, an ein neues Gebilde „meiner jugendlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/305>, abgerufen am 23.07.2024.