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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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lichen Obscuranten. Der geistreiche Mann dieser Regierung, Lamartine, redigirte
die Manifeste der neuen Republik; Ledru-Nollin, der Mann der That, schickte seine
Jacobiner, alte Sansculotten im neuen Frack, mit unumschränkter Vollmacht in
die Provinzen, um die Republik zur Wahrheit zu bringen. Die nächste Veran¬
lassung gaben die bevorstehenden Wahlen zur neue" Constituante, die man denn
doch für nöthig hielt zur Sanction des neuen Regiments, obgleich die souveräne
Emeute von Paris sich laut genug ausgesprochen hatte. Freilich warnte Ledrn-
Rollin das außer Paris liegende Frankreich, keine andern Deputirten zu senden,
als strenge Republikaner, weil das souveräne "Volk" nicht mit sich spaßen lasse. --
Inzwischen beschäftigt sich Louis Blanc in seinem Kämmerlein damit, das große
Phalanstere auf dem Papier zu redigiren, welches ganz Frankreich in einen ge¬
meinsamen Schafstall des Friedens und der Glückseligkeit vereinigen sollte, in
welchem Niemand sich mit Gedanken, Wünschen, Plänen und Entwürfen abzuquälen
hätte, als der alleinseligmachende Staat. Vorläufig wurde die Gleichheit dadurch
angebahnt, daß den Barrikadeurs von Paris ein Tagesgeld ausgezahlt wurde,
^pi-es nous Jo 6vIuA"z, sagten die neuen Machthaber, die denn doch wohl ahnen
mochten, daß der Geldbeutel Frankreichs uicht ewig in ihren Händen bleiben würde.

Indeß ennuyirten sich die Revolutionärs aus das Lebhafteste, daß Alles im
alten Geleise blieb. Es folgte ein zweiter Pulses, diesmal gegen die ordinäre
Republik, für die roth.e, d. h. gegen das Eigenthum, für Gütergemeinschaft. Dies¬
mal hatte die Bürgerschaft ihr eigenes Interesse zu vertrete"; für den Julikönig
hätten sie keinen Finger geopfert, da es aber ihrem Beutel galt, zeigte der bon
boni^eois, daß er auch das Schwert zu führen wisse. Der Straßenaufruhr wurde
besiegt, die Nationalversammlung sprach sogleich bei der Wahl der neuen Regie¬
rung ihren antijacvbinischen Charakter aus; selbst der sanfte und versöhnliche La¬
martine, den im Anfang das überraschte Frankreich wie einen Gott verehrte, hatte
an Popularität verloren, weil er sich zu tief mit seinen revolutionären Kollegen ein¬
gelassen hatte.

In dem gesetzlichen Wege gehemmt, griffen die Jacobiner zu ihrem gewöhn¬
lichen Hilfsmittel, zur Konspiration. Ein großartiger Aufstand wurde vorbereitet,
die Nationalversammlung zu sprengen, und das Reich der Guillotine wieder her¬
zustellen. Ein Theil der Regierung war mit in das Complot verwickelt, die andern
fuhren fort, elegante Manifeste zu redigiren und den Ernst der Situation in
Bonmots aufzulösen. Es kam der Tag der Gefahr, und das Schwert entschied;
die Revolutionärs wurden im blutigen Kriege geschlagen und -- viel schneller als
am Ende des vorigen Jahrhunderts -- die Militärdictatnr hergestellt. Die ele¬
ganten Phraseurs waren im Nu beseitigt und vergessen, so schnell wechselt das
muntere Gallien seine Götzen.

Cavaignac hatte in Algier seine Schule gemacht. Er ist kein Genie, aber
ein Mann, der weiß, was er will; es ist keine sentimentale Faser in diesem harten


lichen Obscuranten. Der geistreiche Mann dieser Regierung, Lamartine, redigirte
die Manifeste der neuen Republik; Ledru-Nollin, der Mann der That, schickte seine
Jacobiner, alte Sansculotten im neuen Frack, mit unumschränkter Vollmacht in
die Provinzen, um die Republik zur Wahrheit zu bringen. Die nächste Veran¬
lassung gaben die bevorstehenden Wahlen zur neue» Constituante, die man denn
doch für nöthig hielt zur Sanction des neuen Regiments, obgleich die souveräne
Emeute von Paris sich laut genug ausgesprochen hatte. Freilich warnte Ledrn-
Rollin das außer Paris liegende Frankreich, keine andern Deputirten zu senden,
als strenge Republikaner, weil das souveräne „Volk" nicht mit sich spaßen lasse. —
Inzwischen beschäftigt sich Louis Blanc in seinem Kämmerlein damit, das große
Phalanstere auf dem Papier zu redigiren, welches ganz Frankreich in einen ge¬
meinsamen Schafstall des Friedens und der Glückseligkeit vereinigen sollte, in
welchem Niemand sich mit Gedanken, Wünschen, Plänen und Entwürfen abzuquälen
hätte, als der alleinseligmachende Staat. Vorläufig wurde die Gleichheit dadurch
angebahnt, daß den Barrikadeurs von Paris ein Tagesgeld ausgezahlt wurde,
^pi-es nous Jo 6vIuA«z, sagten die neuen Machthaber, die denn doch wohl ahnen
mochten, daß der Geldbeutel Frankreichs uicht ewig in ihren Händen bleiben würde.

Indeß ennuyirten sich die Revolutionärs aus das Lebhafteste, daß Alles im
alten Geleise blieb. Es folgte ein zweiter Pulses, diesmal gegen die ordinäre
Republik, für die roth.e, d. h. gegen das Eigenthum, für Gütergemeinschaft. Dies¬
mal hatte die Bürgerschaft ihr eigenes Interesse zu vertrete«; für den Julikönig
hätten sie keinen Finger geopfert, da es aber ihrem Beutel galt, zeigte der bon
boni^eois, daß er auch das Schwert zu führen wisse. Der Straßenaufruhr wurde
besiegt, die Nationalversammlung sprach sogleich bei der Wahl der neuen Regie¬
rung ihren antijacvbinischen Charakter aus; selbst der sanfte und versöhnliche La¬
martine, den im Anfang das überraschte Frankreich wie einen Gott verehrte, hatte
an Popularität verloren, weil er sich zu tief mit seinen revolutionären Kollegen ein¬
gelassen hatte.

In dem gesetzlichen Wege gehemmt, griffen die Jacobiner zu ihrem gewöhn¬
lichen Hilfsmittel, zur Konspiration. Ein großartiger Aufstand wurde vorbereitet,
die Nationalversammlung zu sprengen, und das Reich der Guillotine wieder her¬
zustellen. Ein Theil der Regierung war mit in das Complot verwickelt, die andern
fuhren fort, elegante Manifeste zu redigiren und den Ernst der Situation in
Bonmots aufzulösen. Es kam der Tag der Gefahr, und das Schwert entschied;
die Revolutionärs wurden im blutigen Kriege geschlagen und — viel schneller als
am Ende des vorigen Jahrhunderts — die Militärdictatnr hergestellt. Die ele¬
ganten Phraseurs waren im Nu beseitigt und vergessen, so schnell wechselt das
muntere Gallien seine Götzen.

Cavaignac hatte in Algier seine Schule gemacht. Er ist kein Genie, aber
ein Mann, der weiß, was er will; es ist keine sentimentale Faser in diesem harten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/29>, abgerufen am 23.07.2024.