Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.2. Ä>, Aobert Ottensosser in Verlitt. Lieb er H err Ott ensosser! Sie beschweren Sich, daß einer unserer Korrespondenten Wir können nicht wissen, ob die vortrefflichen Einfälle, welche jene Korrespondenz Der Volkswitz hat das Bedürfniß, seine Vorstellungen in Geschichtchen rhapsodisch Sie sind ungehalten darüber, daß wir uns nicht entblöden, drollige Züge von Zum Schluß versprechen Sie, uus in der "Tagespresse zu besprechen. Wenn Sie Nehmen Sie zum Dank Ihrer freundlichen Absicht, uns zu unterhalten, eine Ge¬ Leben Sie wohl und erhalten Sie uns Ihr Wohlwollen. Verlag von F. L. Hcrvig. -- Redacteurs Gustav Freytag und Julian Schmidt. Druck von Friedrich Andrä. 2. Ä>, Aobert Ottensosser in Verlitt. Lieb er H err Ott ensosser! Sie beschweren Sich, daß einer unserer Korrespondenten Wir können nicht wissen, ob die vortrefflichen Einfälle, welche jene Korrespondenz Der Volkswitz hat das Bedürfniß, seine Vorstellungen in Geschichtchen rhapsodisch Sie sind ungehalten darüber, daß wir uns nicht entblöden, drollige Züge von Zum Schluß versprechen Sie, uus in der „Tagespresse zu besprechen. Wenn Sie Nehmen Sie zum Dank Ihrer freundlichen Absicht, uns zu unterhalten, eine Ge¬ Leben Sie wohl und erhalten Sie uns Ihr Wohlwollen. Verlag von F. L. Hcrvig. — Redacteurs Gustav Freytag und Julian Schmidt. Druck von Friedrich Andrä. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278276"/> </div> <div n="2"> <head> 2. Ä>, Aobert Ottensosser in Verlitt.</head><lb/> <p xml:id="ID_1192"><note type="salute"> Lieb er H err Ott ensosser! </note> Sie beschweren Sich, daß einer unserer Korrespondenten<lb/> in dem Aussatz: „Wahlscenen in Berlin," Ihnen Bonmots in den Mund gelegt habe, über<lb/> deren apokryphische Natur Sie Sich nicht stark genug aussprechen zu können glauben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1193"> Wir können nicht wissen, ob die vortrefflichen Einfälle, welche jene Korrespondenz<lb/> Ihnen beilegt, Ihnen wirklich angehören, oder ob sie nur Erzeugnisse des Berliner<lb/> Volkswitzcs sind. Haben Sie etwas von der „mythenbildcnden Substanz" gehört?<lb/> Wahrscheinlich, Sie sind zwar nur ein ungelehrter Mann, ein „Schriftführer des Volks,"<lb/> der — um Ihre eignen Ausdrücke zu gebrauchen — „mit seinen, wenn auch gering¬<lb/> fügigen, doch wenigstens gutgemeinten Opfern für die Sache der Freiheit und der<lb/> Vernunft dereinst von der Geschichte wird in Vergessenheit begraben werden" —, aber<lb/> Sie sind ein Berliner, und dort pflanzen sich ja die Jnnghegel'sehen Phrasen in die<lb/> Bierkneipen fort. Mit der mythcnbildenden Substanz hängt es aber so zusammen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1194"> Der Volkswitz hat das Bedürfniß, seine Vorstellungen in Geschichtchen rhapsodisch<lb/> auszumalen. Entweder fingirt er ideale Personen, die nichts weiter sind, als Träger<lb/> dieser Vorstellungen, oder er nimmt einen schnurrigen Kauz, wie Sie, einen Hans in<lb/> Gassen, eine burleske Figur, die alle Welt kennt, und idealisirt so die in der Er¬<lb/> scheinung nicht besonders anziehende Persönlichkeit zu einem humoristischen Wesen.<lb/> Erschrecken Sie nicht, lieber Herr Ottensosser! Sie sind nicht mehr blos ein wirkliches<lb/> lebendiges Wesen, nicht mehr blos Robert, sondern Sie sind ein Ideal, eine<lb/> Abstraktion, eine Maske, der Pierrot der Volkswitzc. Sein Sie stolz darauf! Sie<lb/> theilen dies Schicksal mit dem alten Fritz, dem man auch apokryphische Anecdoten<lb/> untergeschoben hat, und er war doch ein beßrer Mann als Sie. Sein Sie nicht<lb/> zu bescheiden! Nicht die Geschichte, aber die Sage bürgt sür Ihre Unsterblichkeit;<lb/> Ihr Name wird so lange dauern, als der des Herrn Bnffcy oder Rande, obgleich<lb/> diese nie gelebt haben. Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist köst¬<lb/> lich, denn das Gemeine, es geht klanglos zum Orkus hinab.</p><lb/> <p xml:id="ID_1195"> Sie sind ungehalten darüber, daß wir uns nicht entblöden, drollige Züge von<lb/> den Märtyrern der Freiheit zu erzählen, namentlich „im rothe« Igel" und „im grü¬<lb/> nen Baum." Von den Wiener Radicalen sind einige erschossen, Sie sind aus der<lb/> Spandauer Chaussue geprügelt worden, worin das Martyrium der Frankfurter Linken<lb/> besteht, wissen wir zwar nicht, aber wir zweifeln nicht daran, daß sie in Sachen der<lb/> Freiheit irgend einmal beschädigt worden sind. Also Ihre Stelle im Kalender der<lb/> Frciheitshciligcn bleibt Ihnen unbestritten. Leider sind wir nicht katholisch, bei uns<lb/> wird Cartouche durch sein Leiden und Sterben nicht canonisirt. Auch Fallstaff ist ge¬<lb/> storben, und Shakespeare hat doch Späße über ihn gemacht. Sehen Sie, lieber Herr<lb/> Ottensosser! wir sind eingefleischte Protestanten, es hält schwer, uns zu imponiren.<lb/> "</p><lb/> <p xml:id="ID_1196"> Zum Schluß versprechen Sie, uus in der „Tagespresse zu besprechen. Wenn Sie<lb/> aber den Wunsch haben sollten, von uns gelesen zu werden, so müssen Sie es uns<lb/> zuschicken, denn muthmaßlich wird diese „Tagespresse" einer Atmosphäre angehören,<lb/> in die unsere „schöngeistige Sippschaft" sich mir selten verirrt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1197"> Nehmen Sie zum Dank Ihrer freundlichen Absicht, uns zu unterhalten, eine Ge¬<lb/> schichte, die Ihrem radicalen Herzen Freude machen wird, aus unserm Sachsen. Man<lb/> fragte einen unserer Urwähler: „Aber warum wählt Ihr Bauern, wenn Ihr doch ein¬<lb/> mal einen aus Eurer Mitte in die erste Kammer schicken wolltet, gerade den Dümmsten<lb/> unter Euch? einen Menschen, von dem Ihr alle wißt, daß er nicht drei Worte zusam¬<lb/> menhängend sprechen kann? der keine einzige hervorstehende Eigenschaft hat, als ein<lb/> ewiger Krakehler zu sein in allen Bierstuben und vor allen Gerichtsbänken." — »Ja<lb/> sehn Sie, er braucht'S! 's ist ein armes Luder!" —</p><lb/> <note type="closer"> Leben Sie wohl und erhalten Sie uns Ihr Wohlwollen.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verlag von F. L. Hcrvig. — Redacteurs Gustav Freytag und Julian Schmidt.<lb/> Druck von Friedrich Andrä.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
2. Ä>, Aobert Ottensosser in Verlitt.
Lieb er H err Ott ensosser! Sie beschweren Sich, daß einer unserer Korrespondenten
in dem Aussatz: „Wahlscenen in Berlin," Ihnen Bonmots in den Mund gelegt habe, über
deren apokryphische Natur Sie Sich nicht stark genug aussprechen zu können glauben.
Wir können nicht wissen, ob die vortrefflichen Einfälle, welche jene Korrespondenz
Ihnen beilegt, Ihnen wirklich angehören, oder ob sie nur Erzeugnisse des Berliner
Volkswitzcs sind. Haben Sie etwas von der „mythenbildcnden Substanz" gehört?
Wahrscheinlich, Sie sind zwar nur ein ungelehrter Mann, ein „Schriftführer des Volks,"
der — um Ihre eignen Ausdrücke zu gebrauchen — „mit seinen, wenn auch gering¬
fügigen, doch wenigstens gutgemeinten Opfern für die Sache der Freiheit und der
Vernunft dereinst von der Geschichte wird in Vergessenheit begraben werden" —, aber
Sie sind ein Berliner, und dort pflanzen sich ja die Jnnghegel'sehen Phrasen in die
Bierkneipen fort. Mit der mythcnbildenden Substanz hängt es aber so zusammen.
Der Volkswitz hat das Bedürfniß, seine Vorstellungen in Geschichtchen rhapsodisch
auszumalen. Entweder fingirt er ideale Personen, die nichts weiter sind, als Träger
dieser Vorstellungen, oder er nimmt einen schnurrigen Kauz, wie Sie, einen Hans in
Gassen, eine burleske Figur, die alle Welt kennt, und idealisirt so die in der Er¬
scheinung nicht besonders anziehende Persönlichkeit zu einem humoristischen Wesen.
Erschrecken Sie nicht, lieber Herr Ottensosser! Sie sind nicht mehr blos ein wirkliches
lebendiges Wesen, nicht mehr blos Robert, sondern Sie sind ein Ideal, eine
Abstraktion, eine Maske, der Pierrot der Volkswitzc. Sein Sie stolz darauf! Sie
theilen dies Schicksal mit dem alten Fritz, dem man auch apokryphische Anecdoten
untergeschoben hat, und er war doch ein beßrer Mann als Sie. Sein Sie nicht
zu bescheiden! Nicht die Geschichte, aber die Sage bürgt sür Ihre Unsterblichkeit;
Ihr Name wird so lange dauern, als der des Herrn Bnffcy oder Rande, obgleich
diese nie gelebt haben. Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist köst¬
lich, denn das Gemeine, es geht klanglos zum Orkus hinab.
Sie sind ungehalten darüber, daß wir uns nicht entblöden, drollige Züge von
den Märtyrern der Freiheit zu erzählen, namentlich „im rothe« Igel" und „im grü¬
nen Baum." Von den Wiener Radicalen sind einige erschossen, Sie sind aus der
Spandauer Chaussue geprügelt worden, worin das Martyrium der Frankfurter Linken
besteht, wissen wir zwar nicht, aber wir zweifeln nicht daran, daß sie in Sachen der
Freiheit irgend einmal beschädigt worden sind. Also Ihre Stelle im Kalender der
Frciheitshciligcn bleibt Ihnen unbestritten. Leider sind wir nicht katholisch, bei uns
wird Cartouche durch sein Leiden und Sterben nicht canonisirt. Auch Fallstaff ist ge¬
storben, und Shakespeare hat doch Späße über ihn gemacht. Sehen Sie, lieber Herr
Ottensosser! wir sind eingefleischte Protestanten, es hält schwer, uns zu imponiren.
"
Zum Schluß versprechen Sie, uus in der „Tagespresse zu besprechen. Wenn Sie
aber den Wunsch haben sollten, von uns gelesen zu werden, so müssen Sie es uns
zuschicken, denn muthmaßlich wird diese „Tagespresse" einer Atmosphäre angehören,
in die unsere „schöngeistige Sippschaft" sich mir selten verirrt.
Nehmen Sie zum Dank Ihrer freundlichen Absicht, uns zu unterhalten, eine Ge¬
schichte, die Ihrem radicalen Herzen Freude machen wird, aus unserm Sachsen. Man
fragte einen unserer Urwähler: „Aber warum wählt Ihr Bauern, wenn Ihr doch ein¬
mal einen aus Eurer Mitte in die erste Kammer schicken wolltet, gerade den Dümmsten
unter Euch? einen Menschen, von dem Ihr alle wißt, daß er nicht drei Worte zusam¬
menhängend sprechen kann? der keine einzige hervorstehende Eigenschaft hat, als ein
ewiger Krakehler zu sein in allen Bierstuben und vor allen Gerichtsbänken." — »Ja
sehn Sie, er braucht'S! 's ist ein armes Luder!" —
Leben Sie wohl und erhalten Sie uns Ihr Wohlwollen.
Verlag von F. L. Hcrvig. — Redacteurs Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Druck von Friedrich Andrä.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |