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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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gar nicht einzusehen, weshalb er sich kurz fassen solle; leider aber nahm ihm zu¬
letzt der Lärm der Versammlung das Wort, obwohl er im höchsten Eifer prote-
stirte, seine Rede habe drei Theile und er sei kaum mit dem ersten fertig. Nach
dieser verunglückten Philippika verschwanden die "kleineren Götter" fast gänzlich
von der Tribüne -- nur Einer hielt Stand bis zum voliiscnm Domiiuis, gestützt
auf eine ruhmreiche Vergangenheit, der ehrliche Uhlich. --

Seine lichtfreundlichen Bestrebungen aus jener Zeit, wo die Politik sich noch
hinter der Religion und allen möglichen andern Dingen maskirte, sind zu bekannt,
um sie hier wieder zu berühren. Gläubige Pfarrer und pedantische Professoren
hielten damals wohl den Sack für den Esel, die Masse fühlte wenigstens wohl
gut heraus, was sie eigentlich wollte. Doch wie die Bücher, so haben auch die
Menschen ihre Schicksale. Die widrigen Schimpfereien und Denunciationen eines
Hengstenberg und Konsorten, Uhlichs ruhige Entgegnungen, die erlittenen Ver¬
folgungen, das Alles erhob den einfache" Dorsprediger zu nie geahnter Höbe, wo
auch ein Besserer wohl schwindlich werden konnte. Er selbst versichert Herrn
Hengstenberg, mit einem leichten Anfluge weltlicher Eitelkeit, nicht blos in den
"Niederungen Deutschlands" fänden die protestantischen Freunde Anklang, der
Herr Professor würden erstaunen, wenn sie erführen, aus "welchen Regionen"
der Pfarrer von Pömmelte Beglückungsschreiben erhalten. Wie konnte es denn auch
anders sein? wie sollten Schriften nicht verschlungen werden, die so gemüthlich
waren und dabei doch so oppositionell? Die an den Glaubenswundern nicht rüt¬
telten, und dabei doch alles so hübsch verständlich erklärten? Die Niemandem sein
Gefühl und seine Kirche raubten, sondern offen anerkannten, "daß auch die pie¬
tistische, mystische, überschwengliche Fassung des Christenthums manchem Herzen
Bedürfniß sei?" Nein, wer ^mit einem so guten Manne nicht fertig wurde,
der trug selber die ganze Schuld und das Odium des Streites siel allein aus
seine Verfolger zurück. So wurden ihm die erduldeten Leiden eine Staffel zu
den höchsten Ehren, er, der sich zuletzt gesetzt am Tische des Herrn, ward zum
ersten, nahm Abschied von seinen Pfarrkindern und ging nach Berlin, zur Ver¬
einbarungsversammlung, um Verfassungen zu machen, statt Predigten. --

Sein Aeußeres schien ihn gerade nicht besonders zum Redner zu qualificiren.
Die Damen aus den Tribünen pflegten sich gewöhnlich zuerst nach dem Grafen
Reichenbach und dem Pastor Uhlich zu erkundigen -- aber mit Schrecken wandten
sie sich ab, sobald sie ihn gesehen, das milan praesentia lamam behauptete
seine Rechte. Die weichen Herzen wollten so gern auch lieben, wo sie seit lange
bemitleidet und bewundert -- und nun? was hätten sie darum gegeben, wenn
er ein stattlicher Dowiat gewesen! Aber diese kurze Gestalt mit dem dicken
Kopfe, dem struppigen Barte und wirren Haupthaar, dem Gesichte voll christli¬
cher Einfalt, der stark gerötheten Nase, die alle Schlagschatten im Staate in
Unordnung brachte durch das besondere ihr entströmende Licht -- dazu die tiefe,


gar nicht einzusehen, weshalb er sich kurz fassen solle; leider aber nahm ihm zu¬
letzt der Lärm der Versammlung das Wort, obwohl er im höchsten Eifer prote-
stirte, seine Rede habe drei Theile und er sei kaum mit dem ersten fertig. Nach
dieser verunglückten Philippika verschwanden die „kleineren Götter" fast gänzlich
von der Tribüne — nur Einer hielt Stand bis zum voliiscnm Domiiuis, gestützt
auf eine ruhmreiche Vergangenheit, der ehrliche Uhlich. —

Seine lichtfreundlichen Bestrebungen aus jener Zeit, wo die Politik sich noch
hinter der Religion und allen möglichen andern Dingen maskirte, sind zu bekannt,
um sie hier wieder zu berühren. Gläubige Pfarrer und pedantische Professoren
hielten damals wohl den Sack für den Esel, die Masse fühlte wenigstens wohl
gut heraus, was sie eigentlich wollte. Doch wie die Bücher, so haben auch die
Menschen ihre Schicksale. Die widrigen Schimpfereien und Denunciationen eines
Hengstenberg und Konsorten, Uhlichs ruhige Entgegnungen, die erlittenen Ver¬
folgungen, das Alles erhob den einfache» Dorsprediger zu nie geahnter Höbe, wo
auch ein Besserer wohl schwindlich werden konnte. Er selbst versichert Herrn
Hengstenberg, mit einem leichten Anfluge weltlicher Eitelkeit, nicht blos in den
„Niederungen Deutschlands" fänden die protestantischen Freunde Anklang, der
Herr Professor würden erstaunen, wenn sie erführen, aus „welchen Regionen"
der Pfarrer von Pömmelte Beglückungsschreiben erhalten. Wie konnte es denn auch
anders sein? wie sollten Schriften nicht verschlungen werden, die so gemüthlich
waren und dabei doch so oppositionell? Die an den Glaubenswundern nicht rüt¬
telten, und dabei doch alles so hübsch verständlich erklärten? Die Niemandem sein
Gefühl und seine Kirche raubten, sondern offen anerkannten, „daß auch die pie¬
tistische, mystische, überschwengliche Fassung des Christenthums manchem Herzen
Bedürfniß sei?" Nein, wer ^mit einem so guten Manne nicht fertig wurde,
der trug selber die ganze Schuld und das Odium des Streites siel allein aus
seine Verfolger zurück. So wurden ihm die erduldeten Leiden eine Staffel zu
den höchsten Ehren, er, der sich zuletzt gesetzt am Tische des Herrn, ward zum
ersten, nahm Abschied von seinen Pfarrkindern und ging nach Berlin, zur Ver¬
einbarungsversammlung, um Verfassungen zu machen, statt Predigten. —

Sein Aeußeres schien ihn gerade nicht besonders zum Redner zu qualificiren.
Die Damen aus den Tribünen pflegten sich gewöhnlich zuerst nach dem Grafen
Reichenbach und dem Pastor Uhlich zu erkundigen — aber mit Schrecken wandten
sie sich ab, sobald sie ihn gesehen, das milan praesentia lamam behauptete
seine Rechte. Die weichen Herzen wollten so gern auch lieben, wo sie seit lange
bemitleidet und bewundert — und nun? was hätten sie darum gegeben, wenn
er ein stattlicher Dowiat gewesen! Aber diese kurze Gestalt mit dem dicken
Kopfe, dem struppigen Barte und wirren Haupthaar, dem Gesichte voll christli¬
cher Einfalt, der stark gerötheten Nase, die alle Schlagschatten im Staate in
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/280>, abgerufen am 23.07.2024.