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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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wiederherzustellen, so fand sie ihr Recht in dem allgemeinen Egoismus, der überall
liederlich genug war, heilige Ideen zum Spielball unwürdiger Intriguen zu mi߬
brauchen, in der hohlen Irreligiosität der gebildeten Stände, die in ihrer Gleich-
giltigkeit gegen alle Ideen, anch mit den unwürdigsten Vorstellungen sich befreun¬
deten, wenn sie ihrem augenblicklichen Interesse in die Hände arbeiteten, und in
jener Denkfaulheit, die mit Atheismus und Aberglauben, sinnlichen Taumel und
geistiger Ascese Fangball spielt; ein Recht, wie es Reinecke den Bestien gegen¬
über hatte, die eben so schlecht waren als er, aber minder verschlagen. Daß sie
aber öffentlich Comödie spielten ohne weitern Zweck, daß sie in dem Augenblick ihre
Wallfahrt nach Belgrave Square unternahmen, wo sie verstohlen den Republika¬
nern und Kommunisten die Hände drückten; daß sie endlich sich dazu hergaben,
in Louis Napoleon die nackte Charlatanerie auf den Thron zu heben, das prägt
dieser Partei auf immer den Stempel des Lächerlichen auf die Stirne, der ihre
Zukunft für Frankreich unmöglich machen würde, wenn imxossiblo ein französisches
Wort wäre.

Hier haben wir alle Elemente der Revolution beisammen: die Emeutiers von
Professton, die Napoleonisten, die alten Chouans, die socialistischen Träumer.
Louis Philipp verließ sich auf seine Partei, die Leute, die nichts Neues wollten;
er war also verloren, wenn er einmal unterlag, denn seine Restitution wäre ja
wieder etwas neues gewesen. Guizot verließ sich auf seine constitutionelle Doctrin;
statt den Aufstand, wie es später Cavaignac that, militärisch zu bekämpfen, suchte
er ihn polizeilich zu unterdrücken; ein kühner Schlag, und das hohle Gebäude fiel.

Ein Haufe Volks trieb die gesetzmäßigen Vertreter des Volks auseinander,
jagte den König fort; einige Leute -- keiner weiß wer? -- riefen eine Regierung
aus, bestehend aus Idealisten, Kommunisten, Arbeitern, Advocaten n. f. w.; in
jedem andern Volke wäre jetzt die entsetzlichste Anarchie entstanden, aber der Fran^
zose ist an Gehorsam, Ordnung und Organisation ebenso gewöhnt, wie an Emeuten;
er weiß ebensogut Queue zu machen, als Barrikaden zu bauen. Die jungen Leute
jauchzten: jetzt geht es mit dem alten Adler an den Rhein gegen die Barbaren!
Die Ehrgeizigen, die bisher in den Hintergrund gedrängt waren, rechneten in der
Neuerung auf einen weiten Spielraum der Thätigkeit und des Genies; die kon¬
servative Partei endlich sagte: wenn ihr Louis Philipp nicht wollt, wir haben
nichts dagegen, vorausgesetzt, daß ihr unsere Börse nicht angreift! Die Regierung,
aus den widerstrebendsten Elementen zusammengesetzt, organistrte sich schnell; Po¬
lizei und Administration ging den alten Laus; sie versprach unparteiisch Allen
Alles, den Ehrgeizigen Krieg, den guten Bürgern Frieden; den Besitzenden Heilig¬
keit des Eigenthums, deu Kommunisten Gleichheit der Güter; den Departements
eine constituirende Versammlung, dem "Volk" das geistige Principal von Paris;
der hierarchischen Partei und dem abstracten Radicalismus unbedingte Lehrfreiheit,
den Liberalen des imcieu reZiw" aufgeklärte Schulen und Vertreibung der geiht-


wiederherzustellen, so fand sie ihr Recht in dem allgemeinen Egoismus, der überall
liederlich genug war, heilige Ideen zum Spielball unwürdiger Intriguen zu mi߬
brauchen, in der hohlen Irreligiosität der gebildeten Stände, die in ihrer Gleich-
giltigkeit gegen alle Ideen, anch mit den unwürdigsten Vorstellungen sich befreun¬
deten, wenn sie ihrem augenblicklichen Interesse in die Hände arbeiteten, und in
jener Denkfaulheit, die mit Atheismus und Aberglauben, sinnlichen Taumel und
geistiger Ascese Fangball spielt; ein Recht, wie es Reinecke den Bestien gegen¬
über hatte, die eben so schlecht waren als er, aber minder verschlagen. Daß sie
aber öffentlich Comödie spielten ohne weitern Zweck, daß sie in dem Augenblick ihre
Wallfahrt nach Belgrave Square unternahmen, wo sie verstohlen den Republika¬
nern und Kommunisten die Hände drückten; daß sie endlich sich dazu hergaben,
in Louis Napoleon die nackte Charlatanerie auf den Thron zu heben, das prägt
dieser Partei auf immer den Stempel des Lächerlichen auf die Stirne, der ihre
Zukunft für Frankreich unmöglich machen würde, wenn imxossiblo ein französisches
Wort wäre.

Hier haben wir alle Elemente der Revolution beisammen: die Emeutiers von
Professton, die Napoleonisten, die alten Chouans, die socialistischen Träumer.
Louis Philipp verließ sich auf seine Partei, die Leute, die nichts Neues wollten;
er war also verloren, wenn er einmal unterlag, denn seine Restitution wäre ja
wieder etwas neues gewesen. Guizot verließ sich auf seine constitutionelle Doctrin;
statt den Aufstand, wie es später Cavaignac that, militärisch zu bekämpfen, suchte
er ihn polizeilich zu unterdrücken; ein kühner Schlag, und das hohle Gebäude fiel.

Ein Haufe Volks trieb die gesetzmäßigen Vertreter des Volks auseinander,
jagte den König fort; einige Leute — keiner weiß wer? — riefen eine Regierung
aus, bestehend aus Idealisten, Kommunisten, Arbeitern, Advocaten n. f. w.; in
jedem andern Volke wäre jetzt die entsetzlichste Anarchie entstanden, aber der Fran^
zose ist an Gehorsam, Ordnung und Organisation ebenso gewöhnt, wie an Emeuten;
er weiß ebensogut Queue zu machen, als Barrikaden zu bauen. Die jungen Leute
jauchzten: jetzt geht es mit dem alten Adler an den Rhein gegen die Barbaren!
Die Ehrgeizigen, die bisher in den Hintergrund gedrängt waren, rechneten in der
Neuerung auf einen weiten Spielraum der Thätigkeit und des Genies; die kon¬
servative Partei endlich sagte: wenn ihr Louis Philipp nicht wollt, wir haben
nichts dagegen, vorausgesetzt, daß ihr unsere Börse nicht angreift! Die Regierung,
aus den widerstrebendsten Elementen zusammengesetzt, organistrte sich schnell; Po¬
lizei und Administration ging den alten Laus; sie versprach unparteiisch Allen
Alles, den Ehrgeizigen Krieg, den guten Bürgern Frieden; den Besitzenden Heilig¬
keit des Eigenthums, deu Kommunisten Gleichheit der Güter; den Departements
eine constituirende Versammlung, dem „Volk" das geistige Principal von Paris;
der hierarchischen Partei und dem abstracten Radicalismus unbedingte Lehrfreiheit,
den Liberalen des imcieu reZiw« aufgeklärte Schulen und Vertreibung der geiht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/28>, abgerufen am 23.12.2024.