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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Deutschland eine wahre Fluch der nichtswürdigsten Schmähungen gegen Preußen
sich ergoß.

Der natürliche Verlauf der Dinge ist ein anderer. Der größte Theil der
deutschen Staaten fühlt das Bedürfniß einer ständischen Centralisation zur Aus¬
gleichung der gemeinsamen Interessen und zur Vertretung gegen das Ausland.
Oestreich kann sich einer solchen ständischen Centralisation nicht anschließen, ohne
seine eigne Auflösung zu decretiren. Oestreich kann wohl wünschen, daß auch
für die übrigen deutschen Staaten eine solche Centralisation nicht zu Stand e
kommt, es hat aber für diesen Wunsch keinen Rechtstitel, sobald das alte Bun¬
desverhältniß nicht aufgehoben wird.

Es wird noch weniger daran denken, sich zu widersetzen, wenn man die Idee
des Erbkaiserthmns aufgibt. Das Erbkaiserthum geht von dem Zweck aus, den
Staat Preußen zu absorbiren. Man soll den König von Preußen zum Kaiser
wählen, weil er als König von Preußen der mächtigste Fürst Deutschlands ist,
und man soll ihm den Staat, der diese Macht bedingt, unter den Händen Weg¬
es camotiren.

Ueberträgt man ihm statt dessen die Würde eines Reichsstatthaltcrs -- wenn
auch nur auf l> Jahre -- und damit den Oberbefehl im Kriege, die Ernennung
der Minister und Gesandten n. s. w., und setzt ihm ein Parlament und einen
Reichsrath zur Seite -- das Staatenhaus halte ich für eine ganz Princip- und
zwecklose Einrichtung -- so müßte es mit der politischen Organisationskraft des
deutschen Volks doch allzu schlecht stehn, wenn nach 6 Jahren des Verhältniß nicht
bereits so gekräftigt wäre, um weiter fortdauern zu können.

Die Ansprüche des "deutschen Bundes" auf Holstein und dessen Rebenlaube
sowie auf Limburg wird dann der Reichsstatthalter im Austrage des "Bundes"
fortzuführen haben. In Italien und an der Donau wird Oestreich den "Bund"
vertreten.

Wie sich mittlerweile Oestreich gestaltet, wird sich nach 6 Jahren zeigen.
Vielleicht ist es dann in der Lage, eine andere Stellung zu Deutschland einzu¬
nehmen. Doch darf mau eine solche Eventualität durch die Vorausbestimmung
eines Turnus nicht präjudiciren.

Unter diesen Umständen würde die Einwilligung der übrigen deutschen Staa¬
ten, die weder an Oestreich noch an dem Radikalismus weiter eine Stütze fän¬
den, sicherlich nicht ausbleiben. Es wäre auch dann freilich nur ein Provisorium,
aber ein Provisorium, das größere Lebenskraft besäße als das jetzige, wo der
Schwerpunkt des Reichs ein nur imaginärer ist. Jedenfalls wäre es einer Trias
wesentlich vorzuziehn, die abgesehn davon, daß sie von der ungerechtfertigten Fiction
einer neben Oestreich und Preußen liegenden Macht "Kleindeutschland" ausgeht,
eben keine Regierung wäre, sondern nur ein comprimirter Bundestag. Eine sM-


Deutschland eine wahre Fluch der nichtswürdigsten Schmähungen gegen Preußen
sich ergoß.

Der natürliche Verlauf der Dinge ist ein anderer. Der größte Theil der
deutschen Staaten fühlt das Bedürfniß einer ständischen Centralisation zur Aus¬
gleichung der gemeinsamen Interessen und zur Vertretung gegen das Ausland.
Oestreich kann sich einer solchen ständischen Centralisation nicht anschließen, ohne
seine eigne Auflösung zu decretiren. Oestreich kann wohl wünschen, daß auch
für die übrigen deutschen Staaten eine solche Centralisation nicht zu Stand e
kommt, es hat aber für diesen Wunsch keinen Rechtstitel, sobald das alte Bun¬
desverhältniß nicht aufgehoben wird.

Es wird noch weniger daran denken, sich zu widersetzen, wenn man die Idee
des Erbkaiserthmns aufgibt. Das Erbkaiserthum geht von dem Zweck aus, den
Staat Preußen zu absorbiren. Man soll den König von Preußen zum Kaiser
wählen, weil er als König von Preußen der mächtigste Fürst Deutschlands ist,
und man soll ihm den Staat, der diese Macht bedingt, unter den Händen Weg¬
es camotiren.

Ueberträgt man ihm statt dessen die Würde eines Reichsstatthaltcrs — wenn
auch nur auf l> Jahre — und damit den Oberbefehl im Kriege, die Ernennung
der Minister und Gesandten n. s. w., und setzt ihm ein Parlament und einen
Reichsrath zur Seite — das Staatenhaus halte ich für eine ganz Princip- und
zwecklose Einrichtung — so müßte es mit der politischen Organisationskraft des
deutschen Volks doch allzu schlecht stehn, wenn nach 6 Jahren des Verhältniß nicht
bereits so gekräftigt wäre, um weiter fortdauern zu können.

Die Ansprüche des „deutschen Bundes" auf Holstein und dessen Rebenlaube
sowie auf Limburg wird dann der Reichsstatthalter im Austrage des „Bundes"
fortzuführen haben. In Italien und an der Donau wird Oestreich den „Bund"
vertreten.

Wie sich mittlerweile Oestreich gestaltet, wird sich nach 6 Jahren zeigen.
Vielleicht ist es dann in der Lage, eine andere Stellung zu Deutschland einzu¬
nehmen. Doch darf mau eine solche Eventualität durch die Vorausbestimmung
eines Turnus nicht präjudiciren.

Unter diesen Umständen würde die Einwilligung der übrigen deutschen Staa¬
ten, die weder an Oestreich noch an dem Radikalismus weiter eine Stütze fän¬
den, sicherlich nicht ausbleiben. Es wäre auch dann freilich nur ein Provisorium,
aber ein Provisorium, das größere Lebenskraft besäße als das jetzige, wo der
Schwerpunkt des Reichs ein nur imaginärer ist. Jedenfalls wäre es einer Trias
wesentlich vorzuziehn, die abgesehn davon, daß sie von der ungerechtfertigten Fiction
einer neben Oestreich und Preußen liegenden Macht „Kleindeutschland" ausgeht,
eben keine Regierung wäre, sondern nur ein comprimirter Bundestag. Eine sM-


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[0278] Deutschland eine wahre Fluch der nichtswürdigsten Schmähungen gegen Preußen sich ergoß. Der natürliche Verlauf der Dinge ist ein anderer. Der größte Theil der deutschen Staaten fühlt das Bedürfniß einer ständischen Centralisation zur Aus¬ gleichung der gemeinsamen Interessen und zur Vertretung gegen das Ausland. Oestreich kann sich einer solchen ständischen Centralisation nicht anschließen, ohne seine eigne Auflösung zu decretiren. Oestreich kann wohl wünschen, daß auch für die übrigen deutschen Staaten eine solche Centralisation nicht zu Stand e kommt, es hat aber für diesen Wunsch keinen Rechtstitel, sobald das alte Bun¬ desverhältniß nicht aufgehoben wird. Es wird noch weniger daran denken, sich zu widersetzen, wenn man die Idee des Erbkaiserthmns aufgibt. Das Erbkaiserthum geht von dem Zweck aus, den Staat Preußen zu absorbiren. Man soll den König von Preußen zum Kaiser wählen, weil er als König von Preußen der mächtigste Fürst Deutschlands ist, und man soll ihm den Staat, der diese Macht bedingt, unter den Händen Weg¬ es camotiren. Ueberträgt man ihm statt dessen die Würde eines Reichsstatthaltcrs — wenn auch nur auf l> Jahre — und damit den Oberbefehl im Kriege, die Ernennung der Minister und Gesandten n. s. w., und setzt ihm ein Parlament und einen Reichsrath zur Seite — das Staatenhaus halte ich für eine ganz Princip- und zwecklose Einrichtung — so müßte es mit der politischen Organisationskraft des deutschen Volks doch allzu schlecht stehn, wenn nach 6 Jahren des Verhältniß nicht bereits so gekräftigt wäre, um weiter fortdauern zu können. Die Ansprüche des „deutschen Bundes" auf Holstein und dessen Rebenlaube sowie auf Limburg wird dann der Reichsstatthalter im Austrage des „Bundes" fortzuführen haben. In Italien und an der Donau wird Oestreich den „Bund" vertreten. Wie sich mittlerweile Oestreich gestaltet, wird sich nach 6 Jahren zeigen. Vielleicht ist es dann in der Lage, eine andere Stellung zu Deutschland einzu¬ nehmen. Doch darf mau eine solche Eventualität durch die Vorausbestimmung eines Turnus nicht präjudiciren. Unter diesen Umständen würde die Einwilligung der übrigen deutschen Staa¬ ten, die weder an Oestreich noch an dem Radikalismus weiter eine Stütze fän¬ den, sicherlich nicht ausbleiben. Es wäre auch dann freilich nur ein Provisorium, aber ein Provisorium, das größere Lebenskraft besäße als das jetzige, wo der Schwerpunkt des Reichs ein nur imaginärer ist. Jedenfalls wäre es einer Trias wesentlich vorzuziehn, die abgesehn davon, daß sie von der ungerechtfertigten Fiction einer neben Oestreich und Preußen liegenden Macht „Kleindeutschland" ausgeht, eben keine Regierung wäre, sondern nur ein comprimirter Bundestag. Eine sM-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/278>, abgerufen am 23.12.2024.