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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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bei den übrigen, dem neuen engern Bundesstaat nicht beitretenden Regierungen in
Anspruch. An der Regierung aber des neuen Bundesstaat wie an dessen ständi¬
schen Centralisation dürfen diejenigen Staaten, welche sich nicht allen Bestimmun¬
gen der neuen Verfassung unterwerfen, keine" Antheil haben. - Das ist der In¬
halt der Note; sie klingt prosaisch genug gegen die hochfligenden Entwürfe unserer
Einheitspropheten, aber, es ist die einzige Erklärung, die mau von einer nicht
blos ideellen Regierung zu erwarten berechtigt war.

Wie verhält sie sich zu dem Gagernschen Programm?

Das Programm verwirft das Princip der Vereinbarung, welches die östrei¬
chische Negierung beansprucht hatte, stellt aber aus Zweckmäßigkeitsgründen dem
östreichischen Staat frei, in den neuen Bund einzutreten oder nicht. Es betrachtet
das Reich als schon bestehend, will aber einen Theil desselben -- Deutsch-Oest¬
reich -- freigeben, unter der Voraussetzung und dem Wunsch, mit dem gesammten
Oestreich in ein inniges Bündniß zu treten.

Oestreich dagegen erklärt: wir gehören wesentlich mit zum Bunde, und wenn
ihr für die Entwicklung desselben Anforderungen stellt, auf die wir nicht eingehen
können, so sind eben deshalb diese Anforderungen null und nichtig.

Gesetzt nur, die Gagern'sche Partei gewinnt im Parlament die Oberhand.
Es wird ein Erbkaiser gewählt, und zwar der König von Preußen, mit Ausschluß
Oestreichs --- wahrscheinlich mit einer geringen Majorität.

Gewiß sagt alsdann Dänemark und Niederland: durch diese neue Verfas¬
sung ist der alte Bund aufgehoben, und wir werden uns nun mit unsern deut¬
schen Ländern selber zu arrangiren haben; der alte Bund existirt nicht mehr, und
der neue hat auf Holstein und Limburg keine Anrechte. Ein Rechtsprincip gegen
welches ich uicht wüßte, was sich einwenden ließe.

Wahrscheinlich tritt Oestreich derselben Ansicht bei, da es seiner innern
Verwicklung wegen nicht wohl an eine directe Opposition gegen den neuen Bun¬
desstaat denken könnte. Rußland und wahrscheinlich anch England würden der
Koalition gegen denselben zum Mittelpunkt dienen. Ein umgekehrter Rheinbund
aus Baiern, Sachsen und Hannover würde demselben zufallen. Die sämmtlichen
Ultramontanen und Radicalen des übrigen Deutschland würden, um ihre eigene
Staaten zu stürzen, für diese Koalition intriguiren.

Und was muthet man unter diesen Umständen dem König von Preußen zu?
Nichts weniger, als sich an die Spitze der Revolution zu stellen, und zu gleicher
Zeit die Legitimität und die specifische Revolution zu bekämpfen. Und das nnter
Umständen, wo man möglicherweise einen Krieg mit halb Europa zu erwarten hat.

Was aber die Zumuthung mehr als naiv erscheinen läßt, ist, daß sie zu
einer Zeit gemacht wird, wo noch ganz ungewiß ist, wie das Parlament selber
sich erklären wird, und noch nicht ein Jahr nach jenem unglückseligen Tage, wo
auf den bloßen Verdacht einer ähnlichen herrschsüchtigen Tendenz hin. in halb ^


bei den übrigen, dem neuen engern Bundesstaat nicht beitretenden Regierungen in
Anspruch. An der Regierung aber des neuen Bundesstaat wie an dessen ständi¬
schen Centralisation dürfen diejenigen Staaten, welche sich nicht allen Bestimmun¬
gen der neuen Verfassung unterwerfen, keine» Antheil haben. - Das ist der In¬
halt der Note; sie klingt prosaisch genug gegen die hochfligenden Entwürfe unserer
Einheitspropheten, aber, es ist die einzige Erklärung, die mau von einer nicht
blos ideellen Regierung zu erwarten berechtigt war.

Wie verhält sie sich zu dem Gagernschen Programm?

Das Programm verwirft das Princip der Vereinbarung, welches die östrei¬
chische Negierung beansprucht hatte, stellt aber aus Zweckmäßigkeitsgründen dem
östreichischen Staat frei, in den neuen Bund einzutreten oder nicht. Es betrachtet
das Reich als schon bestehend, will aber einen Theil desselben — Deutsch-Oest¬
reich — freigeben, unter der Voraussetzung und dem Wunsch, mit dem gesammten
Oestreich in ein inniges Bündniß zu treten.

Oestreich dagegen erklärt: wir gehören wesentlich mit zum Bunde, und wenn
ihr für die Entwicklung desselben Anforderungen stellt, auf die wir nicht eingehen
können, so sind eben deshalb diese Anforderungen null und nichtig.

Gesetzt nur, die Gagern'sche Partei gewinnt im Parlament die Oberhand.
Es wird ein Erbkaiser gewählt, und zwar der König von Preußen, mit Ausschluß
Oestreichs -— wahrscheinlich mit einer geringen Majorität.

Gewiß sagt alsdann Dänemark und Niederland: durch diese neue Verfas¬
sung ist der alte Bund aufgehoben, und wir werden uns nun mit unsern deut¬
schen Ländern selber zu arrangiren haben; der alte Bund existirt nicht mehr, und
der neue hat auf Holstein und Limburg keine Anrechte. Ein Rechtsprincip gegen
welches ich uicht wüßte, was sich einwenden ließe.

Wahrscheinlich tritt Oestreich derselben Ansicht bei, da es seiner innern
Verwicklung wegen nicht wohl an eine directe Opposition gegen den neuen Bun¬
desstaat denken könnte. Rußland und wahrscheinlich anch England würden der
Koalition gegen denselben zum Mittelpunkt dienen. Ein umgekehrter Rheinbund
aus Baiern, Sachsen und Hannover würde demselben zufallen. Die sämmtlichen
Ultramontanen und Radicalen des übrigen Deutschland würden, um ihre eigene
Staaten zu stürzen, für diese Koalition intriguiren.

Und was muthet man unter diesen Umständen dem König von Preußen zu?
Nichts weniger, als sich an die Spitze der Revolution zu stellen, und zu gleicher
Zeit die Legitimität und die specifische Revolution zu bekämpfen. Und das nnter
Umständen, wo man möglicherweise einen Krieg mit halb Europa zu erwarten hat.

Was aber die Zumuthung mehr als naiv erscheinen läßt, ist, daß sie zu
einer Zeit gemacht wird, wo noch ganz ungewiß ist, wie das Parlament selber
sich erklären wird, und noch nicht ein Jahr nach jenem unglückseligen Tage, wo
auf den bloßen Verdacht einer ähnlichen herrschsüchtigen Tendenz hin. in halb ^


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[0277] bei den übrigen, dem neuen engern Bundesstaat nicht beitretenden Regierungen in Anspruch. An der Regierung aber des neuen Bundesstaat wie an dessen ständi¬ schen Centralisation dürfen diejenigen Staaten, welche sich nicht allen Bestimmun¬ gen der neuen Verfassung unterwerfen, keine» Antheil haben. - Das ist der In¬ halt der Note; sie klingt prosaisch genug gegen die hochfligenden Entwürfe unserer Einheitspropheten, aber, es ist die einzige Erklärung, die mau von einer nicht blos ideellen Regierung zu erwarten berechtigt war. Wie verhält sie sich zu dem Gagernschen Programm? Das Programm verwirft das Princip der Vereinbarung, welches die östrei¬ chische Negierung beansprucht hatte, stellt aber aus Zweckmäßigkeitsgründen dem östreichischen Staat frei, in den neuen Bund einzutreten oder nicht. Es betrachtet das Reich als schon bestehend, will aber einen Theil desselben — Deutsch-Oest¬ reich — freigeben, unter der Voraussetzung und dem Wunsch, mit dem gesammten Oestreich in ein inniges Bündniß zu treten. Oestreich dagegen erklärt: wir gehören wesentlich mit zum Bunde, und wenn ihr für die Entwicklung desselben Anforderungen stellt, auf die wir nicht eingehen können, so sind eben deshalb diese Anforderungen null und nichtig. Gesetzt nur, die Gagern'sche Partei gewinnt im Parlament die Oberhand. Es wird ein Erbkaiser gewählt, und zwar der König von Preußen, mit Ausschluß Oestreichs -— wahrscheinlich mit einer geringen Majorität. Gewiß sagt alsdann Dänemark und Niederland: durch diese neue Verfas¬ sung ist der alte Bund aufgehoben, und wir werden uns nun mit unsern deut¬ schen Ländern selber zu arrangiren haben; der alte Bund existirt nicht mehr, und der neue hat auf Holstein und Limburg keine Anrechte. Ein Rechtsprincip gegen welches ich uicht wüßte, was sich einwenden ließe. Wahrscheinlich tritt Oestreich derselben Ansicht bei, da es seiner innern Verwicklung wegen nicht wohl an eine directe Opposition gegen den neuen Bun¬ desstaat denken könnte. Rußland und wahrscheinlich anch England würden der Koalition gegen denselben zum Mittelpunkt dienen. Ein umgekehrter Rheinbund aus Baiern, Sachsen und Hannover würde demselben zufallen. Die sämmtlichen Ultramontanen und Radicalen des übrigen Deutschland würden, um ihre eigene Staaten zu stürzen, für diese Koalition intriguiren. Und was muthet man unter diesen Umständen dem König von Preußen zu? Nichts weniger, als sich an die Spitze der Revolution zu stellen, und zu gleicher Zeit die Legitimität und die specifische Revolution zu bekämpfen. Und das nnter Umständen, wo man möglicherweise einen Krieg mit halb Europa zu erwarten hat. Was aber die Zumuthung mehr als naiv erscheinen läßt, ist, daß sie zu einer Zeit gemacht wird, wo noch ganz ungewiß ist, wie das Parlament selber sich erklären wird, und noch nicht ein Jahr nach jenem unglückseligen Tage, wo auf den bloßen Verdacht einer ähnlichen herrschsüchtigen Tendenz hin. in halb ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/277>, abgerufen am 23.07.2024.