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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Der Publicist sagt: "Ihr Canaillen!" -- oder welche philosophische Kategorie
ihm sonst mundgerecht ist; "wir werden uns weder an eure Ansprüche, noch an
eure Wünsche kehren! Ihr habt uns immer betrogen, ihr sollt uns nicht weiter
betrügen" u. s. w. Hilft eS nichts, so schadet es auch nichts: man hat sein Müth-
chen gekühlt, von der andern Seite wird es heißen: "Selbst Canaille!" oder wie
der technische Ausdruck lautet, aber ein europäischer Krieg wird daraus nicht her¬
vorgehe".

Schlimmer ist es schon, wenn ein Redner von Gewicht sich ähnlicher Kate¬
gorien bedient. Herr v. Vincke mußte depreciren -- nur die Radicalen haben
das Privilegium, rücksichtslos zu sein. Indeß bezieht sich diese Rücksicht lediglich
auf die Ausdrücke; was die Sache betrifft, so kann man mit der Sprache ziemlich
herausgehen, im Gegentheil hat es zuweilen einen günstigen Erfolg, wenn man
die eigne Auffassung der Sachlage so scharf als möglich herausstellt.

Der Minister des "Reichs" steht zwar auf dem Boden der Revolution; er
hat nicht nöthig, die divergirenden Rechtsansprüche förmlich anzuerkennen, er muß
mehr den Sympathien Rechnung tragen, als den Principien. Aber er ist dennoch
an die Vereinbarung gebunden, wenn nicht rechtlich, doch factisch, d. h. er kann
decretiren, was er Lust hat, aber ob die Decrete ausgeführt werden, hängt von
der Vereinbarung mit denjenigen ab, welche die Macht in Händen haben. Er
muß unterhandeln. Er spricht daher von "seinem verehrten Freund, dem Bevoll¬
mächtigten Oestreichs, auf den er ein unbedingtes Vertrauen setze," selbst wenn
unmittelbar ein Umstand zur Sprache gekommen sein sollte, nach welchem jenes
Vertrauen so deplacirt als möglich erscheint; er spricht von seinen Wünschen, sich
von den Ansichten der ihm entgegenstehenden Partei überzeugen zu lassen, von
seiner Hoffnung, die ganze Streitfrage auf gütliche Weise zu erledigen u. s. w.

Die preußische Regierung endlich kann von einem befreundeten und bis in
die letzte Zeit auf's engste alliirten Staat nicht in den Ausdrücken der Tages¬
presse reden, um so weniger, da officiell von Seiten dieses Staats noch nichts
geschehen ist, was irgend auf eine feindliche Einwirkung in die deutscheu Versuche
schließen ließe. Sie kann es nicht anders als "mit hoher Befriedigung" ansehen,
daß die östreichische Regierung an der alten Allianz festhalten will, und wenn sie
dann hinzusetzt, es verstände sich von selbst, "daß Oestreich nicht begehren würde,
Rechte auszuüben, denen nicht die correspondirenden Pflichten gegenüberstanden,"
und daß eine Bundesgewalt, an welcher Oestreich Theil nähme, ohne sich ihr
unbedingt zu unterwerfen, "keine Rechte in Beziehung auf die auswärtige allge¬
meine und commerzielle Politik, auf die innere Gesetzgebung und Finanzverwal¬
tung der enger verbundenen Staaten in Anspruch nehmen dürfe," so ist das im
Munde einer legitimen Regierung unendlich viel stärker, als Alles, was der
Publicist, der Reichstagsdepntirte und der Minister des erst noch zu gründenden
Reichs von ihrem Standunkt aus sagen könnten.


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Der Publicist sagt: „Ihr Canaillen!" — oder welche philosophische Kategorie
ihm sonst mundgerecht ist; „wir werden uns weder an eure Ansprüche, noch an
eure Wünsche kehren! Ihr habt uns immer betrogen, ihr sollt uns nicht weiter
betrügen" u. s. w. Hilft eS nichts, so schadet es auch nichts: man hat sein Müth-
chen gekühlt, von der andern Seite wird es heißen: „Selbst Canaille!" oder wie
der technische Ausdruck lautet, aber ein europäischer Krieg wird daraus nicht her¬
vorgehe».

Schlimmer ist es schon, wenn ein Redner von Gewicht sich ähnlicher Kate¬
gorien bedient. Herr v. Vincke mußte depreciren — nur die Radicalen haben
das Privilegium, rücksichtslos zu sein. Indeß bezieht sich diese Rücksicht lediglich
auf die Ausdrücke; was die Sache betrifft, so kann man mit der Sprache ziemlich
herausgehen, im Gegentheil hat es zuweilen einen günstigen Erfolg, wenn man
die eigne Auffassung der Sachlage so scharf als möglich herausstellt.

Der Minister des „Reichs" steht zwar auf dem Boden der Revolution; er
hat nicht nöthig, die divergirenden Rechtsansprüche förmlich anzuerkennen, er muß
mehr den Sympathien Rechnung tragen, als den Principien. Aber er ist dennoch
an die Vereinbarung gebunden, wenn nicht rechtlich, doch factisch, d. h. er kann
decretiren, was er Lust hat, aber ob die Decrete ausgeführt werden, hängt von
der Vereinbarung mit denjenigen ab, welche die Macht in Händen haben. Er
muß unterhandeln. Er spricht daher von „seinem verehrten Freund, dem Bevoll¬
mächtigten Oestreichs, auf den er ein unbedingtes Vertrauen setze," selbst wenn
unmittelbar ein Umstand zur Sprache gekommen sein sollte, nach welchem jenes
Vertrauen so deplacirt als möglich erscheint; er spricht von seinen Wünschen, sich
von den Ansichten der ihm entgegenstehenden Partei überzeugen zu lassen, von
seiner Hoffnung, die ganze Streitfrage auf gütliche Weise zu erledigen u. s. w.

Die preußische Regierung endlich kann von einem befreundeten und bis in
die letzte Zeit auf's engste alliirten Staat nicht in den Ausdrücken der Tages¬
presse reden, um so weniger, da officiell von Seiten dieses Staats noch nichts
geschehen ist, was irgend auf eine feindliche Einwirkung in die deutscheu Versuche
schließen ließe. Sie kann es nicht anders als „mit hoher Befriedigung" ansehen,
daß die östreichische Regierung an der alten Allianz festhalten will, und wenn sie
dann hinzusetzt, es verstände sich von selbst, „daß Oestreich nicht begehren würde,
Rechte auszuüben, denen nicht die correspondirenden Pflichten gegenüberstanden,"
und daß eine Bundesgewalt, an welcher Oestreich Theil nähme, ohne sich ihr
unbedingt zu unterwerfen, „keine Rechte in Beziehung auf die auswärtige allge¬
meine und commerzielle Politik, auf die innere Gesetzgebung und Finanzverwal¬
tung der enger verbundenen Staaten in Anspruch nehmen dürfe," so ist das im
Munde einer legitimen Regierung unendlich viel stärker, als Alles, was der
Publicist, der Reichstagsdepntirte und der Minister des erst noch zu gründenden
Reichs von ihrem Standunkt aus sagen könnten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/275>, abgerufen am 23.07.2024.