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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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ward herübergenommen, und nothdürftig dem konstitutionellen Scheinleben der
zwanziger und dreißiger Jahre angepaßt. -- Wer Baiern kennt, kennt auch die
lähmenden Wirkungen des Systems in allen Zweigen des öffentlichen Lebens.
Vielleicht wäre es den Massen noch lange hinaus erträglich gewesen, wenn es
nicht in nationalöconomischer Beziehung die Früchte des herrlichen Landes, des
verhältnißmäßig reichsten unter allen deutschen Staaten, gänzlich ausgesogen und
die unteren Schichten des Volkes, besonders die Ackerbau treibende Classe total
ruinirt hätte. -- Seit dem letzten März macht man, ob aufrichtig oder nicht, in
München Miene, eine andere Bahn einzuschlagen, aber die Zeit ist zu kurz, als
daß das Volk in seiner Lage eine vortheilhafte Aenderung wahrnehmen könnte.

Einem Systeme zu Liebe, wie dem bairischen, das von den Alpen bis zum
Main, nur in den Landrichtern und ihren Schreibern warme Vertheidiger hat,
opfert man aus die Dauer nicht Gut und Blut. Im ersten Taumel des Fana¬
tismus mag das möglich sein, aber dieser verraucht bekanntermaßen gar schnell,
und dann tritt die nüchterne Anschauung wieder in ihre Rechte ein. --

Gott behüte aber Deutschland, daß es soweit kommt, Erfahrungen von der
Widerstandsfähigkeit des bairischen Particularismus auf Schlachtfeldern zu machen!
Gewiß würde er ohne fremde Unterstützung, trotz der 190,000 tapfern Soldaten,
über die er unbedingt gebietet, nicht lange dauern, aber ebenso gewiß wäre es,
daß er nicht ohne fremde Unterstützung in den Kampf zöge. Und was denn? --

Soll ich meine Ansicht über die einzig mögliche augenblickliche Vermitt¬
lung des bairischen Systemes mit der Einheitsidee sagen, so glaube ich, daß man
Baiern in keiner Weise zu einem Beitritt zum deutschen Bundesstaat, für den wir
uns recht gerne den Spitznamen "Kleindentschland" gefallen lassen, nöthigen darf.
Er wird ohne das eben so gut und noch besser zu Stande kommen, dafür bürgen
alle Zeichen der Zeit.

Will es beitreten, dann keine Separatbedingungen, eben da eS diese wird
haben wollen, mag es auch eine aufrichtige und ehrliche Separatstelluug annehmen.
Diese hindert Baiern so wenig wie Oestreich an einem enge" Anschluß an den
Bundcsstacit, wenn es ihn für vortheilhaft hält. Als Minimum müssen auch hier
die alten Bundesverpflichtungen gelten.

Ich sehe diesen Weg nur als ein Provisorium an, über dessen Dauer ich
mir freilich keine Conjectur anmaße. Gewiß aber wird die Zeit ans diese Weise
viel eher kommen, wo Baiern mit oder ohne Willen seiner Negierung wirklich
integrirendes Glied des neuen Deutschlands wird, als wenn man es jetzt heran¬
nöthigte. --

In diesem Augenblicke fehlen ihm dazu noch alle Vorbedingungen, und ich
denke, es ist besser für beide Theile, wenn man sich darüber keinen Illusionen
hingibt, -




Grenzbvti". l. isiü.34

ward herübergenommen, und nothdürftig dem konstitutionellen Scheinleben der
zwanziger und dreißiger Jahre angepaßt. — Wer Baiern kennt, kennt auch die
lähmenden Wirkungen des Systems in allen Zweigen des öffentlichen Lebens.
Vielleicht wäre es den Massen noch lange hinaus erträglich gewesen, wenn es
nicht in nationalöconomischer Beziehung die Früchte des herrlichen Landes, des
verhältnißmäßig reichsten unter allen deutschen Staaten, gänzlich ausgesogen und
die unteren Schichten des Volkes, besonders die Ackerbau treibende Classe total
ruinirt hätte. — Seit dem letzten März macht man, ob aufrichtig oder nicht, in
München Miene, eine andere Bahn einzuschlagen, aber die Zeit ist zu kurz, als
daß das Volk in seiner Lage eine vortheilhafte Aenderung wahrnehmen könnte.

Einem Systeme zu Liebe, wie dem bairischen, das von den Alpen bis zum
Main, nur in den Landrichtern und ihren Schreibern warme Vertheidiger hat,
opfert man aus die Dauer nicht Gut und Blut. Im ersten Taumel des Fana¬
tismus mag das möglich sein, aber dieser verraucht bekanntermaßen gar schnell,
und dann tritt die nüchterne Anschauung wieder in ihre Rechte ein. —

Gott behüte aber Deutschland, daß es soweit kommt, Erfahrungen von der
Widerstandsfähigkeit des bairischen Particularismus auf Schlachtfeldern zu machen!
Gewiß würde er ohne fremde Unterstützung, trotz der 190,000 tapfern Soldaten,
über die er unbedingt gebietet, nicht lange dauern, aber ebenso gewiß wäre es,
daß er nicht ohne fremde Unterstützung in den Kampf zöge. Und was denn? —

Soll ich meine Ansicht über die einzig mögliche augenblickliche Vermitt¬
lung des bairischen Systemes mit der Einheitsidee sagen, so glaube ich, daß man
Baiern in keiner Weise zu einem Beitritt zum deutschen Bundesstaat, für den wir
uns recht gerne den Spitznamen „Kleindentschland" gefallen lassen, nöthigen darf.
Er wird ohne das eben so gut und noch besser zu Stande kommen, dafür bürgen
alle Zeichen der Zeit.

Will es beitreten, dann keine Separatbedingungen, eben da eS diese wird
haben wollen, mag es auch eine aufrichtige und ehrliche Separatstelluug annehmen.
Diese hindert Baiern so wenig wie Oestreich an einem enge» Anschluß an den
Bundcsstacit, wenn es ihn für vortheilhaft hält. Als Minimum müssen auch hier
die alten Bundesverpflichtungen gelten.

Ich sehe diesen Weg nur als ein Provisorium an, über dessen Dauer ich
mir freilich keine Conjectur anmaße. Gewiß aber wird die Zeit ans diese Weise
viel eher kommen, wo Baiern mit oder ohne Willen seiner Negierung wirklich
integrirendes Glied des neuen Deutschlands wird, als wenn man es jetzt heran¬
nöthigte. —

In diesem Augenblicke fehlen ihm dazu noch alle Vorbedingungen, und ich
denke, es ist besser für beide Theile, wenn man sich darüber keinen Illusionen
hingibt, -




Grenzbvti». l. isiü.34
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[0273] ward herübergenommen, und nothdürftig dem konstitutionellen Scheinleben der zwanziger und dreißiger Jahre angepaßt. — Wer Baiern kennt, kennt auch die lähmenden Wirkungen des Systems in allen Zweigen des öffentlichen Lebens. Vielleicht wäre es den Massen noch lange hinaus erträglich gewesen, wenn es nicht in nationalöconomischer Beziehung die Früchte des herrlichen Landes, des verhältnißmäßig reichsten unter allen deutschen Staaten, gänzlich ausgesogen und die unteren Schichten des Volkes, besonders die Ackerbau treibende Classe total ruinirt hätte. — Seit dem letzten März macht man, ob aufrichtig oder nicht, in München Miene, eine andere Bahn einzuschlagen, aber die Zeit ist zu kurz, als daß das Volk in seiner Lage eine vortheilhafte Aenderung wahrnehmen könnte. Einem Systeme zu Liebe, wie dem bairischen, das von den Alpen bis zum Main, nur in den Landrichtern und ihren Schreibern warme Vertheidiger hat, opfert man aus die Dauer nicht Gut und Blut. Im ersten Taumel des Fana¬ tismus mag das möglich sein, aber dieser verraucht bekanntermaßen gar schnell, und dann tritt die nüchterne Anschauung wieder in ihre Rechte ein. — Gott behüte aber Deutschland, daß es soweit kommt, Erfahrungen von der Widerstandsfähigkeit des bairischen Particularismus auf Schlachtfeldern zu machen! Gewiß würde er ohne fremde Unterstützung, trotz der 190,000 tapfern Soldaten, über die er unbedingt gebietet, nicht lange dauern, aber ebenso gewiß wäre es, daß er nicht ohne fremde Unterstützung in den Kampf zöge. Und was denn? — Soll ich meine Ansicht über die einzig mögliche augenblickliche Vermitt¬ lung des bairischen Systemes mit der Einheitsidee sagen, so glaube ich, daß man Baiern in keiner Weise zu einem Beitritt zum deutschen Bundesstaat, für den wir uns recht gerne den Spitznamen „Kleindentschland" gefallen lassen, nöthigen darf. Er wird ohne das eben so gut und noch besser zu Stande kommen, dafür bürgen alle Zeichen der Zeit. Will es beitreten, dann keine Separatbedingungen, eben da eS diese wird haben wollen, mag es auch eine aufrichtige und ehrliche Separatstelluug annehmen. Diese hindert Baiern so wenig wie Oestreich an einem enge» Anschluß an den Bundcsstacit, wenn es ihn für vortheilhaft hält. Als Minimum müssen auch hier die alten Bundesverpflichtungen gelten. Ich sehe diesen Weg nur als ein Provisorium an, über dessen Dauer ich mir freilich keine Conjectur anmaße. Gewiß aber wird die Zeit ans diese Weise viel eher kommen, wo Baiern mit oder ohne Willen seiner Negierung wirklich integrirendes Glied des neuen Deutschlands wird, als wenn man es jetzt heran¬ nöthigte. — In diesem Augenblicke fehlen ihm dazu noch alle Vorbedingungen, und ich denke, es ist besser für beide Theile, wenn man sich darüber keinen Illusionen hingibt, - Grenzbvti». l. isiü.34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/273>, abgerufen am 23.12.2024.