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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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nicht so kalt reflectirt und jesuitisch-gewissenlos, als diese wenigstens bis an die
Gegenwart heran in der Wahl ihrer Mittel sich zu zeigen Pflegte.

Wenn der kirchliche Köhlerglaube in Baiern viel seltner ist, als man sich
auswärts wohl einbildet, so ist der politische desto häufiger. Alles "ur mögliche
Sudelgeköche des Wahnsinns, den sogenannte Historiker, Politiker und National-
öconomen im Dienste des Particularismus mit einer romantischen oder kraß phili¬
strösen Brühe zugerichtet, dem deutschen Publikum vorsetzen, wird hier gerade
von den Gcbildcren mit großem Appetit verzehrt. Und dabei bilden sie sich, wie
ihr Ludwig, gewaltige Stücke auf ihr kräftiges Deutschthum ein. Stahl aus Er¬
langen, -- fast der einzige aller bairischen Abgeordneten in der Paulskirche, der
aus dem Standpunkt moderner politischer Bildung steht -- hat sich neulich in
einer frischen und erquicklichen Rede die größte Mühe gegeben, die bairi¬
schen Tendenzen als nicht sehr tiefwurzelnd zu schildern, aber der treffliche
Mann läßt sich durch seine nächste Umgebung täuschen. Diese ist zufällig fast
Hie einzige Region in ganz Baiern, welche sich aufrichtig und aufopferungs-
fähig den Einheitsbestrebungen hingibt, aber wie fremdartig steht sie auch den
übrigen Massen gegenüber! -- Schwarz-roth-golden zu schwärmen, ist eine lächer¬
liche Far".!e, wenn man glaubt, daneben noch ebenso blau-weiß sein zu können,
wi? im Jahre 180K. Und dieser Kinderei hat man sich von jenem Auto daso,
wo man in München das Bild des Königs von Preußen verbrannte und dazu:
"Was ist des Deutschen Vaterland" sang, bis zu dem Programme des Centrums
der jetzigen bairischen Kammer überall schuldig gemacht, sobald es galt, nur einen
Gran der bairischen Selbstgenügsamkeit aufzuopfern.

Die bairischen Clubs und Zeitungen sind der rechte classische Tummelplatz für
die Vollbluthengste der Stammescigenthümlichkeitsrittcr und ihre bekannten obli¬
gaten Phrasen schallen aus jedem Winkel.

Es ist eine göttliche Naivetät, wenn z. B. die Landbötiu, früher das speci-
fisch-bainsche, sogenannte altbairische Blatt und eine grausame Preußenfresserin,
jetzt ihre gut-deutsche Gesinnung in dem Motto: "lieber preußisch verderben, als
undeutsch sterben" kund gibt. Man sieht, die guten Leute an der Jsar und Do¬
nau, an der Rezat und dem Main bilden sich noch immer ein, um deutsch zu
werden, müsse man, wie Abraham den Jsaac, das Schönste, Beste und Liebste,
was man besitzt, zum Opfer darbringen. Es ist das rührend und beschämend zu
gleicher Zeit, und das sind noch die Gebildeten, die Modernsten, die so sprechen.

Wo die Kopfe und Herzen der Leute zu nüchtern für den Nebel solcher Ro¬
mantik sind, da pfeift man ein anderes Stücklein und der gute Michel mit der
blauweißen Zipfelkappe tanzt mit Wohlgefallen auch danach. Da erzählt man
alte Ammenmährchen von preußischen Pfiffen, besonders von dem ärgsten unter
allem, dem Zollverein. Das sei weiter nichts, als eine Anstalt, um jährlich so
und so viel tausend oder hunderttausend Gulden aus den Taschen der gutmüthigen


nicht so kalt reflectirt und jesuitisch-gewissenlos, als diese wenigstens bis an die
Gegenwart heran in der Wahl ihrer Mittel sich zu zeigen Pflegte.

Wenn der kirchliche Köhlerglaube in Baiern viel seltner ist, als man sich
auswärts wohl einbildet, so ist der politische desto häufiger. Alles »ur mögliche
Sudelgeköche des Wahnsinns, den sogenannte Historiker, Politiker und National-
öconomen im Dienste des Particularismus mit einer romantischen oder kraß phili¬
strösen Brühe zugerichtet, dem deutschen Publikum vorsetzen, wird hier gerade
von den Gcbildcren mit großem Appetit verzehrt. Und dabei bilden sie sich, wie
ihr Ludwig, gewaltige Stücke auf ihr kräftiges Deutschthum ein. Stahl aus Er¬
langen, — fast der einzige aller bairischen Abgeordneten in der Paulskirche, der
aus dem Standpunkt moderner politischer Bildung steht — hat sich neulich in
einer frischen und erquicklichen Rede die größte Mühe gegeben, die bairi¬
schen Tendenzen als nicht sehr tiefwurzelnd zu schildern, aber der treffliche
Mann läßt sich durch seine nächste Umgebung täuschen. Diese ist zufällig fast
Hie einzige Region in ganz Baiern, welche sich aufrichtig und aufopferungs-
fähig den Einheitsbestrebungen hingibt, aber wie fremdartig steht sie auch den
übrigen Massen gegenüber! — Schwarz-roth-golden zu schwärmen, ist eine lächer¬
liche Far«.!e, wenn man glaubt, daneben noch ebenso blau-weiß sein zu können,
wi? im Jahre 180K. Und dieser Kinderei hat man sich von jenem Auto daso,
wo man in München das Bild des Königs von Preußen verbrannte und dazu:
„Was ist des Deutschen Vaterland" sang, bis zu dem Programme des Centrums
der jetzigen bairischen Kammer überall schuldig gemacht, sobald es galt, nur einen
Gran der bairischen Selbstgenügsamkeit aufzuopfern.

Die bairischen Clubs und Zeitungen sind der rechte classische Tummelplatz für
die Vollbluthengste der Stammescigenthümlichkeitsrittcr und ihre bekannten obli¬
gaten Phrasen schallen aus jedem Winkel.

Es ist eine göttliche Naivetät, wenn z. B. die Landbötiu, früher das speci-
fisch-bainsche, sogenannte altbairische Blatt und eine grausame Preußenfresserin,
jetzt ihre gut-deutsche Gesinnung in dem Motto: „lieber preußisch verderben, als
undeutsch sterben" kund gibt. Man sieht, die guten Leute an der Jsar und Do¬
nau, an der Rezat und dem Main bilden sich noch immer ein, um deutsch zu
werden, müsse man, wie Abraham den Jsaac, das Schönste, Beste und Liebste,
was man besitzt, zum Opfer darbringen. Es ist das rührend und beschämend zu
gleicher Zeit, und das sind noch die Gebildeten, die Modernsten, die so sprechen.

Wo die Kopfe und Herzen der Leute zu nüchtern für den Nebel solcher Ro¬
mantik sind, da pfeift man ein anderes Stücklein und der gute Michel mit der
blauweißen Zipfelkappe tanzt mit Wohlgefallen auch danach. Da erzählt man
alte Ammenmährchen von preußischen Pfiffen, besonders von dem ärgsten unter
allem, dem Zollverein. Das sei weiter nichts, als eine Anstalt, um jährlich so
und so viel tausend oder hunderttausend Gulden aus den Taschen der gutmüthigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/271>, abgerufen am 23.07.2024.