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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Thron kostete. -- Mag auch jetzt wieder eine Art von Versöhnung eingetreten sein,
Baiern ist wenigstens für lange Zeit ans der Reihe der unbedingt zuverlässigen
Kinder der MilAim unter gestrichen, und jemehr die Negierung sich in ihrer in¬
nern Politik gezwungen sieht, den Forderungen des modernen Liberalismus Rech¬
nung zu tragen, desto mehr schwindet die Aussicht, daß ihr vollständig vergeben
werde. -- Zudem macht man sich gewöhnlich ganz übertriebene Vorstellung von
der factischen Bedeutung der ultramontanen Partei im bairischen Volke. Wahr
ist es, der größere Theil des katholischen Klerus, namentlich seine jüngeren Glie¬
der haben zu ihr geschworen, aber eben so wahr ist es auch, daß es ein großer Theil
nur aus äußeren naheliegenden Rücksichten und nicht in Folge einer Reaction des
alten kirchlichen Bewußtseins gethan hat. Der Clerus ist ein Kind des Volks,
und dieses ist im Durchschnitte trotz allem äußern Anschein vom Gegentheil, kei-
wegs zu jener verdumpften kirchlichen Romantik angelegt, die eigentlich nur das
Erbtheil einer gewissen Klasse von krankhaften, wenn gleich genialen Naturen ist,
wie Joseph Görres eine war. Für den gewöhnlichen Mittelschlag kostet es doch
gar zu viele Mühe, sich mit Erfolg und Ausdauer in solche Stimmung hinaufzu¬
schrauben. -- Und dieser ultramontane Clerus, der sich selbst seiner Sache nicht
ganz hinzugeben versteht, ist noch dazu und vielleicht theilweise eben deshalb von
keinem bedeutenden Einflüsse auf das Volk. Die gebildeten Classen verhalten sich
zu ihm, wie sie sich in dem übrigen Deutschland fast durchgängig zu dem wiederge-
bornen Katholicismus verhalten, größtentheils indifferent. Ihre religiösen Bedürfnisse
gehen meist nicht über das Niveau des Jllumiuatismus hinaus, der bekanntlich weiter
nichts ist, als eine gemüthliche, aber etwas confuse Uebersetzung von Voltairs
Freigeisterei ins Deutsche oder Bairische. Was darüber hinaus liegt nach beiden
Seiten hin, sowohl des eigentlichen wissenschaftlichen Zweifels, als der religiösen
Mystik, geht über ihren Horizont. --

Außer in einigen vermoderten Flecken und ein Paar ganz abgelegenen Win¬
keln des Landes existirt auch nirgend in Baiern eine religiös sanatistrte Masse der
mittlern und untern Volksschichten. Ihr Naturell ist gar nicht dazu geschaffen,
es ist eine Art von gemüthlichem Indifferentismus, der sich äußerlich noch in den
hergebrachten bequemen Formen der Kirche bewegt und befriedigt, und sich um
alles in der Welt nicht durch irgend eine geistige Erhebung ans seiner gemüth¬
liche" Behaglichkeit herausreiße" läßt. Deshalb hat auch der Deutschkatholicismus,
dessen Tendenz doch noch nicht einmal zu den entschiedenen gehört, so wenig Glück
in Baiern gemacht. Es bedürfte gar nicht der fulminanten Cabiuetsordrcn und
der Himmel und Hölle aufbietenden Capuzinaden der jüngern Geistlichkeit, um die
Marke" des Vaterlandes vor diesem neumodischen Gift zu behüten. Jetzt, wo
er ungehittdert manöveriren kann, zeigt sich, daß er im Klima von München und
Bamberg nicht gedeiht.

Eine der hauptsächlichsten Concessionen, die das System unter Herrn von


Thron kostete. — Mag auch jetzt wieder eine Art von Versöhnung eingetreten sein,
Baiern ist wenigstens für lange Zeit ans der Reihe der unbedingt zuverlässigen
Kinder der MilAim unter gestrichen, und jemehr die Negierung sich in ihrer in¬
nern Politik gezwungen sieht, den Forderungen des modernen Liberalismus Rech¬
nung zu tragen, desto mehr schwindet die Aussicht, daß ihr vollständig vergeben
werde. — Zudem macht man sich gewöhnlich ganz übertriebene Vorstellung von
der factischen Bedeutung der ultramontanen Partei im bairischen Volke. Wahr
ist es, der größere Theil des katholischen Klerus, namentlich seine jüngeren Glie¬
der haben zu ihr geschworen, aber eben so wahr ist es auch, daß es ein großer Theil
nur aus äußeren naheliegenden Rücksichten und nicht in Folge einer Reaction des
alten kirchlichen Bewußtseins gethan hat. Der Clerus ist ein Kind des Volks,
und dieses ist im Durchschnitte trotz allem äußern Anschein vom Gegentheil, kei-
wegs zu jener verdumpften kirchlichen Romantik angelegt, die eigentlich nur das
Erbtheil einer gewissen Klasse von krankhaften, wenn gleich genialen Naturen ist,
wie Joseph Görres eine war. Für den gewöhnlichen Mittelschlag kostet es doch
gar zu viele Mühe, sich mit Erfolg und Ausdauer in solche Stimmung hinaufzu¬
schrauben. — Und dieser ultramontane Clerus, der sich selbst seiner Sache nicht
ganz hinzugeben versteht, ist noch dazu und vielleicht theilweise eben deshalb von
keinem bedeutenden Einflüsse auf das Volk. Die gebildeten Classen verhalten sich
zu ihm, wie sie sich in dem übrigen Deutschland fast durchgängig zu dem wiederge-
bornen Katholicismus verhalten, größtentheils indifferent. Ihre religiösen Bedürfnisse
gehen meist nicht über das Niveau des Jllumiuatismus hinaus, der bekanntlich weiter
nichts ist, als eine gemüthliche, aber etwas confuse Uebersetzung von Voltairs
Freigeisterei ins Deutsche oder Bairische. Was darüber hinaus liegt nach beiden
Seiten hin, sowohl des eigentlichen wissenschaftlichen Zweifels, als der religiösen
Mystik, geht über ihren Horizont. —

Außer in einigen vermoderten Flecken und ein Paar ganz abgelegenen Win¬
keln des Landes existirt auch nirgend in Baiern eine religiös sanatistrte Masse der
mittlern und untern Volksschichten. Ihr Naturell ist gar nicht dazu geschaffen,
es ist eine Art von gemüthlichem Indifferentismus, der sich äußerlich noch in den
hergebrachten bequemen Formen der Kirche bewegt und befriedigt, und sich um
alles in der Welt nicht durch irgend eine geistige Erhebung ans seiner gemüth¬
liche» Behaglichkeit herausreiße» läßt. Deshalb hat auch der Deutschkatholicismus,
dessen Tendenz doch noch nicht einmal zu den entschiedenen gehört, so wenig Glück
in Baiern gemacht. Es bedürfte gar nicht der fulminanten Cabiuetsordrcn und
der Himmel und Hölle aufbietenden Capuzinaden der jüngern Geistlichkeit, um die
Marke» des Vaterlandes vor diesem neumodischen Gift zu behüten. Jetzt, wo
er ungehittdert manöveriren kann, zeigt sich, daß er im Klima von München und
Bamberg nicht gedeiht.

Eine der hauptsächlichsten Concessionen, die das System unter Herrn von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/269>, abgerufen am 23.07.2024.