Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fortgewandelt sind. Das specifisch bairische System haben sie nicht erfunden, und
daß sie es nicht verlassen haben, kann man ihnen billigerweise nicht zum Vorwurf
anrechnen.

In Baiern existirt also von jeher ein System der Staatspolitik, das unan¬
gefochten von dem Wechsel der Dynastien, diese selbst sich dienstbar zu machen,
oder wenn der Ausdruck zu schroff sein sollte, die Interessen der Dynastie mit
den seinigen zu identificiren wußte. Dieser Unterschied von der gewöhnlichen po¬
litischen Entwicklungsgeschichte anderer deutscher Länder kann nicht stark genug
betont werde"; Oestreich ausgenommen, das hieher in der That nicht gehört,
weil es niemals ein blos deutscher Staat, sondern stets der Ansatz zu einer uni¬
versellen Großmacht gewesen ist, sind überall die Systeme und Principien der
Dynastien das eigentliche "^eus der deutschen politischen Entwicklung. Am schla¬
gendsten läßt sich dies an der Mark Brandenburg nachweisen , wenn man ihre
Geschichte vor den Hohenzollern mit der späteren vergleicht. Die Hohenzollern
waren allein fähig, ihr dynastisches Princip zu einem staatlichen zu erweitern und
dadurch ist Preußen groß geworden, die andern alle kamen nie über das erstere
dauernd hinaus und darum mußten sie verkümmern. --

So hat es auch Baiern niemals an tüchtigen Staatsmännern gemangelt; ich
meine tüchtig in dem beschränkten Sinne des Worts, wo es eine klare Erkennt¬
niß des einmal -maßgebenden politischen Princips bezeichnet, und eine consequente
practische Durchführung desselben. Geniale Erscheinungen gibt es nnter ihnen so
wenig wie unter den Regenten. Auch hierin macht sich ein diametraler Gegensatz
zuPreußen geltend, wo von jeher die tüchtige Mittelsorte in beiden Kategorien sehr
wenig zahlreich gewesen ist. Noch i" diesem Augenblick dürfte man in Berlin
keine staatsmännische Kraft besitzen, welche dem bairischen Herrn von Abel an prac-
tischer Tüchtigkeit gewachsen wäre.

Entkleidet man das Dogma der bairischen Politik seiner Rococoverbrä--
mung von Eurialvhrasen, so läßt sich sein wahrer Kern in gemeinem Deutsch
so ausdrücken: Baiern hat eigentlich den Beruf ein ganz selbstständiger Staat,
eine europäische Macht zu sein, mehr als einmal war es nahe daran das Ziel zu
erreichen, jedesmal aber ist es durch die Ungunst der Verhältnisse davon geschlen¬
dert worden. Darum gilt es, einstweilen zu warten und sich eine möglichst starke
Vertheidigungsstellung zu bewahren, gleichviel mit welchen Mitteln und durch
welche Allianzen.

Der eigentliche Feind Baierns ist also naturgemäß immer diejenige Macht,
die eine centralisirende Stellung in Deutschland einnimmt und dadurch die andern
Staaten in Abhängigkeit von sich setzt. Findet sich in Deutschland selbst ein hin¬
reichendes Gegengewicht, so schließt man sich an dieses an, wo nicht, so sucht man
es auswärts, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist, oder noch besser, bis
Baiern das ihm gebührende Uebergewicht erhält. Es ist das im Grunde die Po-


fortgewandelt sind. Das specifisch bairische System haben sie nicht erfunden, und
daß sie es nicht verlassen haben, kann man ihnen billigerweise nicht zum Vorwurf
anrechnen.

In Baiern existirt also von jeher ein System der Staatspolitik, das unan¬
gefochten von dem Wechsel der Dynastien, diese selbst sich dienstbar zu machen,
oder wenn der Ausdruck zu schroff sein sollte, die Interessen der Dynastie mit
den seinigen zu identificiren wußte. Dieser Unterschied von der gewöhnlichen po¬
litischen Entwicklungsgeschichte anderer deutscher Länder kann nicht stark genug
betont werde»; Oestreich ausgenommen, das hieher in der That nicht gehört,
weil es niemals ein blos deutscher Staat, sondern stets der Ansatz zu einer uni¬
versellen Großmacht gewesen ist, sind überall die Systeme und Principien der
Dynastien das eigentliche »^eus der deutschen politischen Entwicklung. Am schla¬
gendsten läßt sich dies an der Mark Brandenburg nachweisen , wenn man ihre
Geschichte vor den Hohenzollern mit der späteren vergleicht. Die Hohenzollern
waren allein fähig, ihr dynastisches Princip zu einem staatlichen zu erweitern und
dadurch ist Preußen groß geworden, die andern alle kamen nie über das erstere
dauernd hinaus und darum mußten sie verkümmern. —

So hat es auch Baiern niemals an tüchtigen Staatsmännern gemangelt; ich
meine tüchtig in dem beschränkten Sinne des Worts, wo es eine klare Erkennt¬
niß des einmal -maßgebenden politischen Princips bezeichnet, und eine consequente
practische Durchführung desselben. Geniale Erscheinungen gibt es nnter ihnen so
wenig wie unter den Regenten. Auch hierin macht sich ein diametraler Gegensatz
zuPreußen geltend, wo von jeher die tüchtige Mittelsorte in beiden Kategorien sehr
wenig zahlreich gewesen ist. Noch i» diesem Augenblick dürfte man in Berlin
keine staatsmännische Kraft besitzen, welche dem bairischen Herrn von Abel an prac-
tischer Tüchtigkeit gewachsen wäre.

Entkleidet man das Dogma der bairischen Politik seiner Rococoverbrä--
mung von Eurialvhrasen, so läßt sich sein wahrer Kern in gemeinem Deutsch
so ausdrücken: Baiern hat eigentlich den Beruf ein ganz selbstständiger Staat,
eine europäische Macht zu sein, mehr als einmal war es nahe daran das Ziel zu
erreichen, jedesmal aber ist es durch die Ungunst der Verhältnisse davon geschlen¬
dert worden. Darum gilt es, einstweilen zu warten und sich eine möglichst starke
Vertheidigungsstellung zu bewahren, gleichviel mit welchen Mitteln und durch
welche Allianzen.

Der eigentliche Feind Baierns ist also naturgemäß immer diejenige Macht,
die eine centralisirende Stellung in Deutschland einnimmt und dadurch die andern
Staaten in Abhängigkeit von sich setzt. Findet sich in Deutschland selbst ein hin¬
reichendes Gegengewicht, so schließt man sich an dieses an, wo nicht, so sucht man
es auswärts, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist, oder noch besser, bis
Baiern das ihm gebührende Uebergewicht erhält. Es ist das im Grunde die Po-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278251"/>
          <p xml:id="ID_1083" prev="#ID_1082"> fortgewandelt sind. Das specifisch bairische System haben sie nicht erfunden, und<lb/>
daß sie es nicht verlassen haben, kann man ihnen billigerweise nicht zum Vorwurf<lb/>
anrechnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1084"> In Baiern existirt also von jeher ein System der Staatspolitik, das unan¬<lb/>
gefochten von dem Wechsel der Dynastien, diese selbst sich dienstbar zu machen,<lb/>
oder wenn der Ausdruck zu schroff sein sollte, die Interessen der Dynastie mit<lb/>
den seinigen zu identificiren wußte. Dieser Unterschied von der gewöhnlichen po¬<lb/>
litischen Entwicklungsgeschichte anderer deutscher Länder kann nicht stark genug<lb/>
betont werde»; Oestreich ausgenommen, das hieher in der That nicht gehört,<lb/>
weil es niemals ein blos deutscher Staat, sondern stets der Ansatz zu einer uni¬<lb/>
versellen Großmacht gewesen ist, sind überall die Systeme und Principien der<lb/>
Dynastien das eigentliche »^eus der deutschen politischen Entwicklung. Am schla¬<lb/>
gendsten läßt sich dies an der Mark Brandenburg nachweisen , wenn man ihre<lb/>
Geschichte vor den Hohenzollern mit der späteren vergleicht. Die Hohenzollern<lb/>
waren allein fähig, ihr dynastisches Princip zu einem staatlichen zu erweitern und<lb/>
dadurch ist Preußen groß geworden, die andern alle kamen nie über das erstere<lb/>
dauernd hinaus und darum mußten sie verkümmern. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1085"> So hat es auch Baiern niemals an tüchtigen Staatsmännern gemangelt; ich<lb/>
meine tüchtig in dem beschränkten Sinne des Worts, wo es eine klare Erkennt¬<lb/>
niß des einmal -maßgebenden politischen Princips bezeichnet, und eine consequente<lb/>
practische Durchführung desselben. Geniale Erscheinungen gibt es nnter ihnen so<lb/>
wenig wie unter den Regenten. Auch hierin macht sich ein diametraler Gegensatz<lb/>
zuPreußen geltend, wo von jeher die tüchtige Mittelsorte in beiden Kategorien sehr<lb/>
wenig zahlreich gewesen ist. Noch i» diesem Augenblick dürfte man in Berlin<lb/>
keine staatsmännische Kraft besitzen, welche dem bairischen Herrn von Abel an prac-<lb/>
tischer Tüchtigkeit gewachsen wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1086"> Entkleidet man das Dogma der bairischen Politik seiner Rococoverbrä--<lb/>
mung von Eurialvhrasen, so läßt sich sein wahrer Kern in gemeinem Deutsch<lb/>
so ausdrücken: Baiern hat eigentlich den Beruf ein ganz selbstständiger Staat,<lb/>
eine europäische Macht zu sein, mehr als einmal war es nahe daran das Ziel zu<lb/>
erreichen, jedesmal aber ist es durch die Ungunst der Verhältnisse davon geschlen¬<lb/>
dert worden. Darum gilt es, einstweilen zu warten und sich eine möglichst starke<lb/>
Vertheidigungsstellung zu bewahren, gleichviel mit welchen Mitteln und durch<lb/>
welche Allianzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1087" next="#ID_1088"> Der eigentliche Feind Baierns ist also naturgemäß immer diejenige Macht,<lb/>
die eine centralisirende Stellung in Deutschland einnimmt und dadurch die andern<lb/>
Staaten in Abhängigkeit von sich setzt. Findet sich in Deutschland selbst ein hin¬<lb/>
reichendes Gegengewicht, so schließt man sich an dieses an, wo nicht, so sucht man<lb/>
es auswärts, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist, oder noch besser, bis<lb/>
Baiern das ihm gebührende Uebergewicht erhält. Es ist das im Grunde die Po-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] fortgewandelt sind. Das specifisch bairische System haben sie nicht erfunden, und daß sie es nicht verlassen haben, kann man ihnen billigerweise nicht zum Vorwurf anrechnen. In Baiern existirt also von jeher ein System der Staatspolitik, das unan¬ gefochten von dem Wechsel der Dynastien, diese selbst sich dienstbar zu machen, oder wenn der Ausdruck zu schroff sein sollte, die Interessen der Dynastie mit den seinigen zu identificiren wußte. Dieser Unterschied von der gewöhnlichen po¬ litischen Entwicklungsgeschichte anderer deutscher Länder kann nicht stark genug betont werde»; Oestreich ausgenommen, das hieher in der That nicht gehört, weil es niemals ein blos deutscher Staat, sondern stets der Ansatz zu einer uni¬ versellen Großmacht gewesen ist, sind überall die Systeme und Principien der Dynastien das eigentliche »^eus der deutschen politischen Entwicklung. Am schla¬ gendsten läßt sich dies an der Mark Brandenburg nachweisen , wenn man ihre Geschichte vor den Hohenzollern mit der späteren vergleicht. Die Hohenzollern waren allein fähig, ihr dynastisches Princip zu einem staatlichen zu erweitern und dadurch ist Preußen groß geworden, die andern alle kamen nie über das erstere dauernd hinaus und darum mußten sie verkümmern. — So hat es auch Baiern niemals an tüchtigen Staatsmännern gemangelt; ich meine tüchtig in dem beschränkten Sinne des Worts, wo es eine klare Erkennt¬ niß des einmal -maßgebenden politischen Princips bezeichnet, und eine consequente practische Durchführung desselben. Geniale Erscheinungen gibt es nnter ihnen so wenig wie unter den Regenten. Auch hierin macht sich ein diametraler Gegensatz zuPreußen geltend, wo von jeher die tüchtige Mittelsorte in beiden Kategorien sehr wenig zahlreich gewesen ist. Noch i» diesem Augenblick dürfte man in Berlin keine staatsmännische Kraft besitzen, welche dem bairischen Herrn von Abel an prac- tischer Tüchtigkeit gewachsen wäre. Entkleidet man das Dogma der bairischen Politik seiner Rococoverbrä-- mung von Eurialvhrasen, so läßt sich sein wahrer Kern in gemeinem Deutsch so ausdrücken: Baiern hat eigentlich den Beruf ein ganz selbstständiger Staat, eine europäische Macht zu sein, mehr als einmal war es nahe daran das Ziel zu erreichen, jedesmal aber ist es durch die Ungunst der Verhältnisse davon geschlen¬ dert worden. Darum gilt es, einstweilen zu warten und sich eine möglichst starke Vertheidigungsstellung zu bewahren, gleichviel mit welchen Mitteln und durch welche Allianzen. Der eigentliche Feind Baierns ist also naturgemäß immer diejenige Macht, die eine centralisirende Stellung in Deutschland einnimmt und dadurch die andern Staaten in Abhängigkeit von sich setzt. Findet sich in Deutschland selbst ein hin¬ reichendes Gegengewicht, so schließt man sich an dieses an, wo nicht, so sucht man es auswärts, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist, oder noch besser, bis Baiern das ihm gebührende Uebergewicht erhält. Es ist das im Grunde die Po-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/263>, abgerufen am 23.07.2024.