Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Porgeschossen, und haben mit der Unverschämtheit der nachgeborenen Söhne den
besten Theil unseres väterlichen Erbes in Beschlag genommen, mitunter auch Miene
gemacht, unsere schmalen Neste sich anch noch zu Gemüthe zu führen. Sie hatten
Glück, aber kein Verdienst, wir Verdienst, aber kein Glück, und es blieb uns nichts
übrig, als einen tüchtigen Zaun um "user Erbtheil zu ziehen, und ihnen dadurch
zu zeigen, daß wir sie nicht mehr als Blntsgenvssen, sondern ganz einfach als Fremde
wie jeden andern Eindringling künftig ans unserem Eigenthum hinaus zu weisen
gesonnen seien, sobald sie uns störten. -- Waren wir allein nicht dazu im Stande,
so thaten wir, wie jeder Andere auch thun würde, wir sahen uns nach guten
Freunden um, wo wir sie eben fanden. -- Wollen sie uns ruhig gewähren las¬
sen, so werden wir sie nicht anfechten, denn in unserer Familie ist Großmuth
und anständiges Benehmen von jeher Sitte gewesen. Aber vergessen werden wir
nimmermehr, wie sich die lieben Vettern gegen uns gehalten haben und worauf
wir eigentlich Anspruch machen könnten.

Dem Leser wird einfallen, daß dieses Glaubensbekenntnis beinahe Wort für
Wort aus der zuletzt etwas fadenscheinig gewordenen Tasche eines alten Pilgers
in den Labyrinthen der Cabinete und Antichambreu entnommen ist. Der Mann,
den Gott selig haben möge, war als wittelsbachischer Familienposaunist angestellt,
und an Eifer hat er es nicht fehlen lassen. Auch der Ton ist nicht übel gewählt,
er klingt so molliggemüthlich, nobelresignirt, daß er auf jedweden biderben dent-
schen Mann seinen Eindruck nicht verfehlen konnte. Aber den ersten Theil des
Musikstücks hat besagter Virtuos regelmäßig unter das Pult fallen lassen, entwe¬
der weil er es nicht für klug befunden ihn vorzutragen, oder weil ihm die Noten
zu schwer waren. Vielleicht hätte er auch seinen hohen Principalen und dem
andächtigen Publikum nicht sonderlich gefallen. -- Dieser erste Theil müßte nun etwa
folgendermaßen lauten: lange ehe es Wittelsbacher gab, gab es schon ein Baiern
und eine bairische Politik, sie war dieselbe, so lange es eine deutsche Geschichte
gibt, und der Schatten des Hüner Marbod oder des romantischen Königs Gari-
bald eröffnet ihren Zug. Dann kam eine Zeit, wo man die Herrscher Baierns
Agilolfinger und Sachsen und Welsen und so und so hieß; aber einer schritt stets
in der Spur des andern und wich weder links noch rechts um ein Haar breit aus
der altehrwürdigen Bahn. Und als die alten Geschlechter verschwanden, und die
Wittelsbacher aufstiege", da thaten sie eben auch dasselbe wie jene, und was jene
gefühlt, gesagt und wie sie sich gebärdet, das haben sie 'treulich nachgemacht, in
Panzer und Helm, in spanischem Mantel und Barret, wie in Allongeperrücke und
dem Staatsdegen, oder in der wattirter hellblauen Uniform mit dem bairischen
Ringkragen.

Etwas ganz nagelneues ist also mit den Wittelsbachern nicht in die Welt ge¬
kommen, aber vom deutschen Standpunkt aus ist es anch viel erträglicher, daß
sie nur in den Fußtapfen der Ahnen im Geiste und vielleicht auch im Fleische


Porgeschossen, und haben mit der Unverschämtheit der nachgeborenen Söhne den
besten Theil unseres väterlichen Erbes in Beschlag genommen, mitunter auch Miene
gemacht, unsere schmalen Neste sich anch noch zu Gemüthe zu führen. Sie hatten
Glück, aber kein Verdienst, wir Verdienst, aber kein Glück, und es blieb uns nichts
übrig, als einen tüchtigen Zaun um »user Erbtheil zu ziehen, und ihnen dadurch
zu zeigen, daß wir sie nicht mehr als Blntsgenvssen, sondern ganz einfach als Fremde
wie jeden andern Eindringling künftig ans unserem Eigenthum hinaus zu weisen
gesonnen seien, sobald sie uns störten. — Waren wir allein nicht dazu im Stande,
so thaten wir, wie jeder Andere auch thun würde, wir sahen uns nach guten
Freunden um, wo wir sie eben fanden. — Wollen sie uns ruhig gewähren las¬
sen, so werden wir sie nicht anfechten, denn in unserer Familie ist Großmuth
und anständiges Benehmen von jeher Sitte gewesen. Aber vergessen werden wir
nimmermehr, wie sich die lieben Vettern gegen uns gehalten haben und worauf
wir eigentlich Anspruch machen könnten.

Dem Leser wird einfallen, daß dieses Glaubensbekenntnis beinahe Wort für
Wort aus der zuletzt etwas fadenscheinig gewordenen Tasche eines alten Pilgers
in den Labyrinthen der Cabinete und Antichambreu entnommen ist. Der Mann,
den Gott selig haben möge, war als wittelsbachischer Familienposaunist angestellt,
und an Eifer hat er es nicht fehlen lassen. Auch der Ton ist nicht übel gewählt,
er klingt so molliggemüthlich, nobelresignirt, daß er auf jedweden biderben dent-
schen Mann seinen Eindruck nicht verfehlen konnte. Aber den ersten Theil des
Musikstücks hat besagter Virtuos regelmäßig unter das Pult fallen lassen, entwe¬
der weil er es nicht für klug befunden ihn vorzutragen, oder weil ihm die Noten
zu schwer waren. Vielleicht hätte er auch seinen hohen Principalen und dem
andächtigen Publikum nicht sonderlich gefallen. — Dieser erste Theil müßte nun etwa
folgendermaßen lauten: lange ehe es Wittelsbacher gab, gab es schon ein Baiern
und eine bairische Politik, sie war dieselbe, so lange es eine deutsche Geschichte
gibt, und der Schatten des Hüner Marbod oder des romantischen Königs Gari-
bald eröffnet ihren Zug. Dann kam eine Zeit, wo man die Herrscher Baierns
Agilolfinger und Sachsen und Welsen und so und so hieß; aber einer schritt stets
in der Spur des andern und wich weder links noch rechts um ein Haar breit aus
der altehrwürdigen Bahn. Und als die alten Geschlechter verschwanden, und die
Wittelsbacher aufstiege», da thaten sie eben auch dasselbe wie jene, und was jene
gefühlt, gesagt und wie sie sich gebärdet, das haben sie 'treulich nachgemacht, in
Panzer und Helm, in spanischem Mantel und Barret, wie in Allongeperrücke und
dem Staatsdegen, oder in der wattirter hellblauen Uniform mit dem bairischen
Ringkragen.

Etwas ganz nagelneues ist also mit den Wittelsbachern nicht in die Welt ge¬
kommen, aber vom deutschen Standpunkt aus ist es anch viel erträglicher, daß
sie nur in den Fußtapfen der Ahnen im Geiste und vielleicht auch im Fleische


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278250"/>
          <p xml:id="ID_1080" prev="#ID_1079"> Porgeschossen, und haben mit der Unverschämtheit der nachgeborenen Söhne den<lb/>
besten Theil unseres väterlichen Erbes in Beschlag genommen, mitunter auch Miene<lb/>
gemacht, unsere schmalen Neste sich anch noch zu Gemüthe zu führen. Sie hatten<lb/>
Glück, aber kein Verdienst, wir Verdienst, aber kein Glück, und es blieb uns nichts<lb/>
übrig, als einen tüchtigen Zaun um »user Erbtheil zu ziehen, und ihnen dadurch<lb/>
zu zeigen, daß wir sie nicht mehr als Blntsgenvssen, sondern ganz einfach als Fremde<lb/>
wie jeden andern Eindringling künftig ans unserem Eigenthum hinaus zu weisen<lb/>
gesonnen seien, sobald sie uns störten. &#x2014; Waren wir allein nicht dazu im Stande,<lb/>
so thaten wir, wie jeder Andere auch thun würde, wir sahen uns nach guten<lb/>
Freunden um, wo wir sie eben fanden. &#x2014; Wollen sie uns ruhig gewähren las¬<lb/>
sen, so werden wir sie nicht anfechten, denn in unserer Familie ist Großmuth<lb/>
und anständiges Benehmen von jeher Sitte gewesen. Aber vergessen werden wir<lb/>
nimmermehr, wie sich die lieben Vettern gegen uns gehalten haben und worauf<lb/>
wir eigentlich Anspruch machen könnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1081"> Dem Leser wird einfallen, daß dieses Glaubensbekenntnis beinahe Wort für<lb/>
Wort aus der zuletzt etwas fadenscheinig gewordenen Tasche eines alten Pilgers<lb/>
in den Labyrinthen der Cabinete und Antichambreu entnommen ist. Der Mann,<lb/>
den Gott selig haben möge, war als wittelsbachischer Familienposaunist angestellt,<lb/>
und an Eifer hat er es nicht fehlen lassen. Auch der Ton ist nicht übel gewählt,<lb/>
er klingt so molliggemüthlich, nobelresignirt, daß er auf jedweden biderben dent-<lb/>
schen Mann seinen Eindruck nicht verfehlen konnte. Aber den ersten Theil des<lb/>
Musikstücks hat besagter Virtuos regelmäßig unter das Pult fallen lassen, entwe¬<lb/>
der weil er es nicht für klug befunden ihn vorzutragen, oder weil ihm die Noten<lb/>
zu schwer waren. Vielleicht hätte er auch seinen hohen Principalen und dem<lb/>
andächtigen Publikum nicht sonderlich gefallen. &#x2014; Dieser erste Theil müßte nun etwa<lb/>
folgendermaßen lauten: lange ehe es Wittelsbacher gab, gab es schon ein Baiern<lb/>
und eine bairische Politik, sie war dieselbe, so lange es eine deutsche Geschichte<lb/>
gibt, und der Schatten des Hüner Marbod oder des romantischen Königs Gari-<lb/>
bald eröffnet ihren Zug. Dann kam eine Zeit, wo man die Herrscher Baierns<lb/>
Agilolfinger und Sachsen und Welsen und so und so hieß; aber einer schritt stets<lb/>
in der Spur des andern und wich weder links noch rechts um ein Haar breit aus<lb/>
der altehrwürdigen Bahn. Und als die alten Geschlechter verschwanden, und die<lb/>
Wittelsbacher aufstiege», da thaten sie eben auch dasselbe wie jene, und was jene<lb/>
gefühlt, gesagt und wie sie sich gebärdet, das haben sie 'treulich nachgemacht, in<lb/>
Panzer und Helm, in spanischem Mantel und Barret, wie in Allongeperrücke und<lb/>
dem Staatsdegen, oder in der wattirter hellblauen Uniform mit dem bairischen<lb/>
Ringkragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1082" next="#ID_1083"> Etwas ganz nagelneues ist also mit den Wittelsbachern nicht in die Welt ge¬<lb/>
kommen, aber vom deutschen Standpunkt aus ist es anch viel erträglicher, daß<lb/>
sie nur in den Fußtapfen der Ahnen im Geiste und vielleicht auch im Fleische</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0262] Porgeschossen, und haben mit der Unverschämtheit der nachgeborenen Söhne den besten Theil unseres väterlichen Erbes in Beschlag genommen, mitunter auch Miene gemacht, unsere schmalen Neste sich anch noch zu Gemüthe zu führen. Sie hatten Glück, aber kein Verdienst, wir Verdienst, aber kein Glück, und es blieb uns nichts übrig, als einen tüchtigen Zaun um »user Erbtheil zu ziehen, und ihnen dadurch zu zeigen, daß wir sie nicht mehr als Blntsgenvssen, sondern ganz einfach als Fremde wie jeden andern Eindringling künftig ans unserem Eigenthum hinaus zu weisen gesonnen seien, sobald sie uns störten. — Waren wir allein nicht dazu im Stande, so thaten wir, wie jeder Andere auch thun würde, wir sahen uns nach guten Freunden um, wo wir sie eben fanden. — Wollen sie uns ruhig gewähren las¬ sen, so werden wir sie nicht anfechten, denn in unserer Familie ist Großmuth und anständiges Benehmen von jeher Sitte gewesen. Aber vergessen werden wir nimmermehr, wie sich die lieben Vettern gegen uns gehalten haben und worauf wir eigentlich Anspruch machen könnten. Dem Leser wird einfallen, daß dieses Glaubensbekenntnis beinahe Wort für Wort aus der zuletzt etwas fadenscheinig gewordenen Tasche eines alten Pilgers in den Labyrinthen der Cabinete und Antichambreu entnommen ist. Der Mann, den Gott selig haben möge, war als wittelsbachischer Familienposaunist angestellt, und an Eifer hat er es nicht fehlen lassen. Auch der Ton ist nicht übel gewählt, er klingt so molliggemüthlich, nobelresignirt, daß er auf jedweden biderben dent- schen Mann seinen Eindruck nicht verfehlen konnte. Aber den ersten Theil des Musikstücks hat besagter Virtuos regelmäßig unter das Pult fallen lassen, entwe¬ der weil er es nicht für klug befunden ihn vorzutragen, oder weil ihm die Noten zu schwer waren. Vielleicht hätte er auch seinen hohen Principalen und dem andächtigen Publikum nicht sonderlich gefallen. — Dieser erste Theil müßte nun etwa folgendermaßen lauten: lange ehe es Wittelsbacher gab, gab es schon ein Baiern und eine bairische Politik, sie war dieselbe, so lange es eine deutsche Geschichte gibt, und der Schatten des Hüner Marbod oder des romantischen Königs Gari- bald eröffnet ihren Zug. Dann kam eine Zeit, wo man die Herrscher Baierns Agilolfinger und Sachsen und Welsen und so und so hieß; aber einer schritt stets in der Spur des andern und wich weder links noch rechts um ein Haar breit aus der altehrwürdigen Bahn. Und als die alten Geschlechter verschwanden, und die Wittelsbacher aufstiege», da thaten sie eben auch dasselbe wie jene, und was jene gefühlt, gesagt und wie sie sich gebärdet, das haben sie 'treulich nachgemacht, in Panzer und Helm, in spanischem Mantel und Barret, wie in Allongeperrücke und dem Staatsdegen, oder in der wattirter hellblauen Uniform mit dem bairischen Ringkragen. Etwas ganz nagelneues ist also mit den Wittelsbachern nicht in die Welt ge¬ kommen, aber vom deutschen Standpunkt aus ist es anch viel erträglicher, daß sie nur in den Fußtapfen der Ahnen im Geiste und vielleicht auch im Fleische

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/262
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/262>, abgerufen am 26.08.2024.