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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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erzählt, daß Kinder gestohlen werden, und als ich neulich sah, wie ein fremder
Mann von verdächtigem Aussehen mit dem Knaben spielte und ihn an sich lockte,
kam mir die schnelle Angst, Ihrem Sohn könne ein Unglück zustoßen, und ich
empfand, daß die Verantwortlichkeit für mich zu groß, und daß Schweigen ein
Unrecht sei. Deshalb entschloß ich mich hierher zu kommen, ich habe meine Pflicht
gethan und will jetzt gehn.


Wald.

Noch einen Augenblick, Mademoiselle. Hören Sie zuvor meine

Ansicht über diese Erzählung, sie wird, so hoffe ich, Ihre Unzufriedenheit mit mir
verringern. Ich habe für die Wahrheit dessen, was Sie sagen, keine Bürgschaft
als Sie selbst. Ich versichere Ihnen mit Vergnügen, ich bin überzeugt, Sie spre¬
chen wahr und meinen es in Ihrem Sinne gut. Aber wer bürgt Ihnen dafür,
daß die Mutter des Kindes ebenso wahr gegen Sie gewesen ist?

Sie glaubte zu sterben, als sie verzweifelnd Ihren Namen anklagte.


Gertr.

Später habe ich ihr versprechen müssen, darüber gegen Jedermann zu schweigen.
In Fieberträumen aber hat sie oft von Ihnen gesprochen, Sie zärtlich und kla¬
gend angeredet und Sie gescholten.


Wald.

Vielleicht ist auch das kein Beweis, ein gesetzlicher gewiß nicht. Ich

weiß nur, daß ich kurze Zeit mit einem Mädchen vom Ehor des Theaters tändelte,
selbst der Name, den Sie nennen, tönt mir fremd, und vergebens suche ich das
Bild der Verschwundenen in mein Gedächtniß zurückzurufen. Ich wurde von
meinem Vater damals auf Reisen geschickt, war drei Jahre im Ausland und nach
der Rückkehr hatte ich die flüchtige Bekanntschaft völlig vergessen.


Gertr.

Vergessen? Kann ein Mensch so etwas vergessen, die Liebe eines

Mädchens vergessen, so wie man einen Namen vergißt oder die Nummer eines
Hauses?

(lächelnd).

Und doch ist es so, und Ihnen, meine Liebe, wird nichts


Wald,

übrig bleiben, als much für einen ächten Teufel zu halten. Doch gleich viel. Sie
zeigen warmen Antheil an dem Kinde und einen ungewöhnlichen Sinn; um Ihret¬
willen, mein schöner Anwalt, will ich annehmen, daß ich vollständig berechtigt sei,
dem Knaben ein väterliches Interesse zu schenken. Was wünschen Sie, daß ich
für das Kind thue? (Gertrud schweigt) -- Ohne Zweifel macht seine Erziehung
zunächst Auslagen, hier nehmen Sie, künftig wird mein Secretair Sorge tragen,
(er reicht ihr ein Papier aus der Brieftasche)


Gertr.
(zurückweisend mit Selbstgefühl).

Sie irren, Herr Graf, der Knabe

braucht kein Geld, die Leute, welche ihn an Kindes Statt angenommen haben, sind
nicht reich, aber was sie haben, wird hinreichen, das Kind zu einem braven
Menschen zu machen. Sie irren , Herr Graf, und da Sie mich nicht kennen,
verzeihe ich Ihnen den kränkenden Verdacht, welcher in Ihrem Anerbieten liegt.
Was ich von Ihnen erbitten wollte, war etwas ganz Anderes, und es ist traurig,
traurig, daß Sie das nicht einmal ahnen. Ihre Liebe wollte ich für das Kind,


erzählt, daß Kinder gestohlen werden, und als ich neulich sah, wie ein fremder
Mann von verdächtigem Aussehen mit dem Knaben spielte und ihn an sich lockte,
kam mir die schnelle Angst, Ihrem Sohn könne ein Unglück zustoßen, und ich
empfand, daß die Verantwortlichkeit für mich zu groß, und daß Schweigen ein
Unrecht sei. Deshalb entschloß ich mich hierher zu kommen, ich habe meine Pflicht
gethan und will jetzt gehn.


Wald.

Noch einen Augenblick, Mademoiselle. Hören Sie zuvor meine

Ansicht über diese Erzählung, sie wird, so hoffe ich, Ihre Unzufriedenheit mit mir
verringern. Ich habe für die Wahrheit dessen, was Sie sagen, keine Bürgschaft
als Sie selbst. Ich versichere Ihnen mit Vergnügen, ich bin überzeugt, Sie spre¬
chen wahr und meinen es in Ihrem Sinne gut. Aber wer bürgt Ihnen dafür,
daß die Mutter des Kindes ebenso wahr gegen Sie gewesen ist?

Sie glaubte zu sterben, als sie verzweifelnd Ihren Namen anklagte.


Gertr.

Später habe ich ihr versprechen müssen, darüber gegen Jedermann zu schweigen.
In Fieberträumen aber hat sie oft von Ihnen gesprochen, Sie zärtlich und kla¬
gend angeredet und Sie gescholten.


Wald.

Vielleicht ist auch das kein Beweis, ein gesetzlicher gewiß nicht. Ich

weiß nur, daß ich kurze Zeit mit einem Mädchen vom Ehor des Theaters tändelte,
selbst der Name, den Sie nennen, tönt mir fremd, und vergebens suche ich das
Bild der Verschwundenen in mein Gedächtniß zurückzurufen. Ich wurde von
meinem Vater damals auf Reisen geschickt, war drei Jahre im Ausland und nach
der Rückkehr hatte ich die flüchtige Bekanntschaft völlig vergessen.


Gertr.

Vergessen? Kann ein Mensch so etwas vergessen, die Liebe eines

Mädchens vergessen, so wie man einen Namen vergißt oder die Nummer eines
Hauses?

(lächelnd).

Und doch ist es so, und Ihnen, meine Liebe, wird nichts


Wald,

übrig bleiben, als much für einen ächten Teufel zu halten. Doch gleich viel. Sie
zeigen warmen Antheil an dem Kinde und einen ungewöhnlichen Sinn; um Ihret¬
willen, mein schöner Anwalt, will ich annehmen, daß ich vollständig berechtigt sei,
dem Knaben ein väterliches Interesse zu schenken. Was wünschen Sie, daß ich
für das Kind thue? (Gertrud schweigt) — Ohne Zweifel macht seine Erziehung
zunächst Auslagen, hier nehmen Sie, künftig wird mein Secretair Sorge tragen,
(er reicht ihr ein Papier aus der Brieftasche)


Gertr.
(zurückweisend mit Selbstgefühl).

Sie irren, Herr Graf, der Knabe

braucht kein Geld, die Leute, welche ihn an Kindes Statt angenommen haben, sind
nicht reich, aber was sie haben, wird hinreichen, das Kind zu einem braven
Menschen zu machen. Sie irren , Herr Graf, und da Sie mich nicht kennen,
verzeihe ich Ihnen den kränkenden Verdacht, welcher in Ihrem Anerbieten liegt.
Was ich von Ihnen erbitten wollte, war etwas ganz Anderes, und es ist traurig,
traurig, daß Sie das nicht einmal ahnen. Ihre Liebe wollte ich für das Kind,


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[0258] erzählt, daß Kinder gestohlen werden, und als ich neulich sah, wie ein fremder Mann von verdächtigem Aussehen mit dem Knaben spielte und ihn an sich lockte, kam mir die schnelle Angst, Ihrem Sohn könne ein Unglück zustoßen, und ich empfand, daß die Verantwortlichkeit für mich zu groß, und daß Schweigen ein Unrecht sei. Deshalb entschloß ich mich hierher zu kommen, ich habe meine Pflicht gethan und will jetzt gehn. Wald. Noch einen Augenblick, Mademoiselle. Hören Sie zuvor meine Ansicht über diese Erzählung, sie wird, so hoffe ich, Ihre Unzufriedenheit mit mir verringern. Ich habe für die Wahrheit dessen, was Sie sagen, keine Bürgschaft als Sie selbst. Ich versichere Ihnen mit Vergnügen, ich bin überzeugt, Sie spre¬ chen wahr und meinen es in Ihrem Sinne gut. Aber wer bürgt Ihnen dafür, daß die Mutter des Kindes ebenso wahr gegen Sie gewesen ist? Sie glaubte zu sterben, als sie verzweifelnd Ihren Namen anklagte. Gertr. Später habe ich ihr versprechen müssen, darüber gegen Jedermann zu schweigen. In Fieberträumen aber hat sie oft von Ihnen gesprochen, Sie zärtlich und kla¬ gend angeredet und Sie gescholten. Wald. Vielleicht ist auch das kein Beweis, ein gesetzlicher gewiß nicht. Ich weiß nur, daß ich kurze Zeit mit einem Mädchen vom Ehor des Theaters tändelte, selbst der Name, den Sie nennen, tönt mir fremd, und vergebens suche ich das Bild der Verschwundenen in mein Gedächtniß zurückzurufen. Ich wurde von meinem Vater damals auf Reisen geschickt, war drei Jahre im Ausland und nach der Rückkehr hatte ich die flüchtige Bekanntschaft völlig vergessen. Gertr. Vergessen? Kann ein Mensch so etwas vergessen, die Liebe eines Mädchens vergessen, so wie man einen Namen vergißt oder die Nummer eines Hauses? (lächelnd). Und doch ist es so, und Ihnen, meine Liebe, wird nichts Wald, übrig bleiben, als much für einen ächten Teufel zu halten. Doch gleich viel. Sie zeigen warmen Antheil an dem Kinde und einen ungewöhnlichen Sinn; um Ihret¬ willen, mein schöner Anwalt, will ich annehmen, daß ich vollständig berechtigt sei, dem Knaben ein väterliches Interesse zu schenken. Was wünschen Sie, daß ich für das Kind thue? (Gertrud schweigt) — Ohne Zweifel macht seine Erziehung zunächst Auslagen, hier nehmen Sie, künftig wird mein Secretair Sorge tragen, (er reicht ihr ein Papier aus der Brieftasche) Gertr. (zurückweisend mit Selbstgefühl). Sie irren, Herr Graf, der Knabe braucht kein Geld, die Leute, welche ihn an Kindes Statt angenommen haben, sind nicht reich, aber was sie haben, wird hinreichen, das Kind zu einem braven Menschen zu machen. Sie irren , Herr Graf, und da Sie mich nicht kennen, verzeihe ich Ihnen den kränkenden Verdacht, welcher in Ihrem Anerbieten liegt. Was ich von Ihnen erbitten wollte, war etwas ganz Anderes, und es ist traurig, traurig, daß Sie das nicht einmal ahnen. Ihre Liebe wollte ich für das Kind,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/258>, abgerufen am 23.07.2024.