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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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in unserer Vorstadt, ich pflegte sie, weil sich sonst Niemand um sie kümmerte.
Endlich genas sie eines Knaben. Auf ihrem Schmerzenslager aber hat sie die
Hände gerungen und gegen Sie ausgesagt, Herr Graf.


Wald,
(mit den Achseln zuckend).

Das ist gar nicht unmöglich. Vor sieben

Jahren war ich wild und rücksichtslos, wie die Leidenschaft eines Jünglings zu
sein pflegt. -- Nun, erzählen Sie weiter. Sie wenden sich ab? Ah! Sie müssen
mir nicht zürnen. Es ist gar zu schwer geistreich auszusehen, wenn man nach
sieben Jahren in solch süßes Geheimniß eingeweiht wird.


Gertr.
(finster).

Mutter und Kind blieben ein Vierteljahr in unsrer Nähe;

das Mädchen wußte sich nicht zu erhalten, die Nachbarn halfen aus, soweit sie
konnten. An einem Morgen war das Mädchen verschwunden, das Kind lag in
einem Korbe sorgsam eingehüllt vor der Thür des Nachbars.


Wald.

Das ist eine traurige Geschichte. Wer war die Mutter?


Gertr.

Wir wußten wenig von ihr. Sie war eine Fremde und nannte

sich Louise. Ihr Name steht im Kirchenbuch, das Kind ist darauf getauft; man
sagt, sie sei beim Chor der Oper gewesen.

Bei der Oper! -- Es ist mir dunkel wie ein Traum, daß ich eine


Wald.

kurze Verbindung mit einer Grisette des Chors hatte, es war unmittelbar vor
meiner Reise nach England. Und das Kind? es lebt?


Gertr.

Es lebt, es wird von ehrlichen Leuten auferzogen. Aber sein Sie

ruhig, Herr Graf, Niemand außer meinem Vater weiß, wein der Knabe angehört.

(lächelnd).

Nun, das Unglück wäre nicht groß. Dennoch danke ich


Wald,

Ihnen für Ihre Verschwiegenheit.

Er ist kalt wie Eis und mir erstarrt das Wort auf den

(bei Seite).

Gertr.

Lippen.


Wald.

Bevor ich Ihnen meine Ansicht über diese romantische Geschichte mit¬

theile, verzeihen Sie noch eine Frage. Weshalb beehren Sie mich erst jetzt nach
sieben Jahren mit Ihrem Vertrauen?


Gertr.

In der ersten Zeit haben wir häufig nach Ihnen gefragt, aber Jahre

lang hieß es, Sie wären auf Reisen. Seit Sie zurückgekehrt sind, haben wir
uns oft nach Ihnen erkundigt, doch was die Leute erzählten, hat uns abgeschreckt,
Sie aufzusuchen.

Und was hat man sich von mir erzählt? Warum schwei¬


Wald,
(spöttisch).

gen Sie, mein Kind? Gönnen Sie mir die Freude, Gutes über mich zu hören.
Nun?


Gertr.

Man nannte Sie hart, hochmüthig und frevelhaft.

Ich bin erkenntlich für die gute Meinung.


Wald,
(sich spöttisch verneigend).

Gertr.

Und doch war es nöthig, daß ich das Geheimniß nicht für mich

behielt. Wenn dem Kinde etwas widerfuhr, Sie sind ja doch sein Vater und ha¬
ben ein Recht auf den Knaben. In den letzten Wochen aber hat man sich viel


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in unserer Vorstadt, ich pflegte sie, weil sich sonst Niemand um sie kümmerte.
Endlich genas sie eines Knaben. Auf ihrem Schmerzenslager aber hat sie die
Hände gerungen und gegen Sie ausgesagt, Herr Graf.


Wald,
(mit den Achseln zuckend).

Das ist gar nicht unmöglich. Vor sieben

Jahren war ich wild und rücksichtslos, wie die Leidenschaft eines Jünglings zu
sein pflegt. — Nun, erzählen Sie weiter. Sie wenden sich ab? Ah! Sie müssen
mir nicht zürnen. Es ist gar zu schwer geistreich auszusehen, wenn man nach
sieben Jahren in solch süßes Geheimniß eingeweiht wird.


Gertr.
(finster).

Mutter und Kind blieben ein Vierteljahr in unsrer Nähe;

das Mädchen wußte sich nicht zu erhalten, die Nachbarn halfen aus, soweit sie
konnten. An einem Morgen war das Mädchen verschwunden, das Kind lag in
einem Korbe sorgsam eingehüllt vor der Thür des Nachbars.


Wald.

Das ist eine traurige Geschichte. Wer war die Mutter?


Gertr.

Wir wußten wenig von ihr. Sie war eine Fremde und nannte

sich Louise. Ihr Name steht im Kirchenbuch, das Kind ist darauf getauft; man
sagt, sie sei beim Chor der Oper gewesen.

Bei der Oper! — Es ist mir dunkel wie ein Traum, daß ich eine


Wald.

kurze Verbindung mit einer Grisette des Chors hatte, es war unmittelbar vor
meiner Reise nach England. Und das Kind? es lebt?


Gertr.

Es lebt, es wird von ehrlichen Leuten auferzogen. Aber sein Sie

ruhig, Herr Graf, Niemand außer meinem Vater weiß, wein der Knabe angehört.

(lächelnd).

Nun, das Unglück wäre nicht groß. Dennoch danke ich


Wald,

Ihnen für Ihre Verschwiegenheit.

Er ist kalt wie Eis und mir erstarrt das Wort auf den

(bei Seite).

Gertr.

Lippen.


Wald.

Bevor ich Ihnen meine Ansicht über diese romantische Geschichte mit¬

theile, verzeihen Sie noch eine Frage. Weshalb beehren Sie mich erst jetzt nach
sieben Jahren mit Ihrem Vertrauen?


Gertr.

In der ersten Zeit haben wir häufig nach Ihnen gefragt, aber Jahre

lang hieß es, Sie wären auf Reisen. Seit Sie zurückgekehrt sind, haben wir
uns oft nach Ihnen erkundigt, doch was die Leute erzählten, hat uns abgeschreckt,
Sie aufzusuchen.

Und was hat man sich von mir erzählt? Warum schwei¬


Wald,
(spöttisch).

gen Sie, mein Kind? Gönnen Sie mir die Freude, Gutes über mich zu hören.
Nun?


Gertr.

Man nannte Sie hart, hochmüthig und frevelhaft.

Ich bin erkenntlich für die gute Meinung.


Wald,
(sich spöttisch verneigend).

Gertr.

Und doch war es nöthig, daß ich das Geheimniß nicht für mich

behielt. Wenn dem Kinde etwas widerfuhr, Sie sind ja doch sein Vater und ha¬
ben ein Recht auf den Knaben. In den letzten Wochen aber hat man sich viel


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[0257] in unserer Vorstadt, ich pflegte sie, weil sich sonst Niemand um sie kümmerte. Endlich genas sie eines Knaben. Auf ihrem Schmerzenslager aber hat sie die Hände gerungen und gegen Sie ausgesagt, Herr Graf. Wald, (mit den Achseln zuckend). Das ist gar nicht unmöglich. Vor sieben Jahren war ich wild und rücksichtslos, wie die Leidenschaft eines Jünglings zu sein pflegt. — Nun, erzählen Sie weiter. Sie wenden sich ab? Ah! Sie müssen mir nicht zürnen. Es ist gar zu schwer geistreich auszusehen, wenn man nach sieben Jahren in solch süßes Geheimniß eingeweiht wird. Gertr. (finster). Mutter und Kind blieben ein Vierteljahr in unsrer Nähe; das Mädchen wußte sich nicht zu erhalten, die Nachbarn halfen aus, soweit sie konnten. An einem Morgen war das Mädchen verschwunden, das Kind lag in einem Korbe sorgsam eingehüllt vor der Thür des Nachbars. Wald. Das ist eine traurige Geschichte. Wer war die Mutter? Gertr. Wir wußten wenig von ihr. Sie war eine Fremde und nannte sich Louise. Ihr Name steht im Kirchenbuch, das Kind ist darauf getauft; man sagt, sie sei beim Chor der Oper gewesen. Bei der Oper! — Es ist mir dunkel wie ein Traum, daß ich eine Wald. kurze Verbindung mit einer Grisette des Chors hatte, es war unmittelbar vor meiner Reise nach England. Und das Kind? es lebt? Gertr. Es lebt, es wird von ehrlichen Leuten auferzogen. Aber sein Sie ruhig, Herr Graf, Niemand außer meinem Vater weiß, wein der Knabe angehört. (lächelnd). Nun, das Unglück wäre nicht groß. Dennoch danke ich Wald, Ihnen für Ihre Verschwiegenheit. Er ist kalt wie Eis und mir erstarrt das Wort auf den (bei Seite). Gertr. Lippen. Wald. Bevor ich Ihnen meine Ansicht über diese romantische Geschichte mit¬ theile, verzeihen Sie noch eine Frage. Weshalb beehren Sie mich erst jetzt nach sieben Jahren mit Ihrem Vertrauen? Gertr. In der ersten Zeit haben wir häufig nach Ihnen gefragt, aber Jahre lang hieß es, Sie wären auf Reisen. Seit Sie zurückgekehrt sind, haben wir uns oft nach Ihnen erkundigt, doch was die Leute erzählten, hat uns abgeschreckt, Sie aufzusuchen. Und was hat man sich von mir erzählt? Warum schwei¬ Wald, (spöttisch). gen Sie, mein Kind? Gönnen Sie mir die Freude, Gutes über mich zu hören. Nun? Gertr. Man nannte Sie hart, hochmüthig und frevelhaft. Ich bin erkenntlich für die gute Meinung. Wald, (sich spöttisch verneigend). Gertr. Und doch war es nöthig, daß ich das Geheimniß nicht für mich behielt. Wenn dem Kinde etwas widerfuhr, Sie sind ja doch sein Vater und ha¬ ben ein Recht auf den Knaben. In den letzten Wochen aber hat man sich viel «renjt«t<n. l. I»i0. Z2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/257>, abgerufen am 26.08.2024.