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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Wiedergeburt Germaniens her. Zuerst die Kaiserkrönung, welch ein Schauspiel und
welch ein Verdienst! Die Insignien und sonstigen Appcrtinenticn der Festlichkeit waren
bereits vertheilt unter die verschiedenen Gewerke. Dann die kaiserliche Regierung in
Berlin: neue Nahrungsquelle! Denn "Berlin bleibt doch immer Berlin" und daß der
König nicht nach dem Neste am Main gehen werde, wo die Leute nicht einmal Wei߬
bier zu brauen verstehen, davon waren sie vollständig überzeugt. Etwas Angst hatte
ihnen freilich die "Neujahrsgabe" von Herrn Hofrath Dahlmann in der deutschen Zei¬
tung gemacht, der uns für rcichsunmittclbar erklären und gar kein preußisches Parla¬
ment mehr dulden wollte. Indeß wenn die Frankfurter dafür herkamen, war ja der
Schaden mehr als ausgeglichen. Auch die Literaten mit ihren hungrigen blassen Ge¬
sichtern träumten zum ersten Male wieder selige Träume seit den Nvvembcrtagen. Ein
Staaten- und ein Unterhaus, eine erste und eine zweite Kammer in Berlin -- das
ging weit über ihre kühnsten Erwartungen hinaus. Daß es dem Herrn Professor Ernst
sein sollte mit seinem Schreckschusse, glaubten sie nimmermehr; sind wir doch seit einem
Vierteljahre ganz artig gewesen und haben alle Bassermann'schen Gestalten von unsern
Straßen verbannt -- da kann man uns doch wohl zu Fastnacht wieder eine Versamm-
lung schenken! --

Und wenn man in die Konditoreien trat, oder in die Lesezimmer, so konnte man
aus den Mienen der Leser und Plauderer ziemlich deutlich auf die Stellung Preußens
zu Deutschland schließen. Ein langatmiger Herr mit der Brille las die heftigen An¬
griffe von Würth, Sepp, Lassaulx gegen Preußen und preußisches Wesen vor; man
lächelte gleichgiltig und sah einander an, das war Alles. Aber in der blastrten Angen-
sprache lag doch etwas, was einen ehrlichen Mann freuen konnte; es war im Worte
übersetzt ungefähr : Laßt sie schrein! wir kennen unseren Weg. -- Endlich hat auch die
preußische Krone sich offen und männlich ausgesprochen, wir stehen jetzt klar zu Frank'
furt und Deutschland, jetzt wollen wir schnell Ordnung im eignen Hanse schaffen, da¬
mit wir freie Arme haben, wenn die Vettern draußen uns verlangen.




Literarische Neuigkeiten.

1) Die Oktobertage Wiens. Eine historische Darstellung vom Standpunkte
des Rechts und der Wahrheit. Leipzig, Köhler.

Dieser Standpunkt ist der des gemäßigten Radicalismus. Das Büchlein enthält
einige interessante Details; wir entlehnen ihm die Schilderung von den letzten Augen¬
blicken Mcsscnhausers.

Er hatte keine Ahnung von seiner Verurtheilung zum Tode und war daher, als
man ihm diese vorgestern -- am l4. Nov. -- um 9 Uhr Morgens verkündigte, im
ersten Augenblicke ganz erstarrt, so daß man ihn anrufen mußte; daun aber schnell ge¬
faßt bewahrte er bis z"in letzten Augenblicke eine merkwürdige Ruhe, ordnete seine
Angelegenheiten, und schrieb zu diesem Zwecke am 15. Briefe. Auf sein Begehren
mußte ein Priester täglich von 4 bis 6 Uhr Abends bei ihm sein, von diesem verlangte
er die Bekenntnisse des heil. Augustin und die Bibel, , - .


Wiedergeburt Germaniens her. Zuerst die Kaiserkrönung, welch ein Schauspiel und
welch ein Verdienst! Die Insignien und sonstigen Appcrtinenticn der Festlichkeit waren
bereits vertheilt unter die verschiedenen Gewerke. Dann die kaiserliche Regierung in
Berlin: neue Nahrungsquelle! Denn „Berlin bleibt doch immer Berlin" und daß der
König nicht nach dem Neste am Main gehen werde, wo die Leute nicht einmal Wei߬
bier zu brauen verstehen, davon waren sie vollständig überzeugt. Etwas Angst hatte
ihnen freilich die „Neujahrsgabe" von Herrn Hofrath Dahlmann in der deutschen Zei¬
tung gemacht, der uns für rcichsunmittclbar erklären und gar kein preußisches Parla¬
ment mehr dulden wollte. Indeß wenn die Frankfurter dafür herkamen, war ja der
Schaden mehr als ausgeglichen. Auch die Literaten mit ihren hungrigen blassen Ge¬
sichtern träumten zum ersten Male wieder selige Träume seit den Nvvembcrtagen. Ein
Staaten- und ein Unterhaus, eine erste und eine zweite Kammer in Berlin — das
ging weit über ihre kühnsten Erwartungen hinaus. Daß es dem Herrn Professor Ernst
sein sollte mit seinem Schreckschusse, glaubten sie nimmermehr; sind wir doch seit einem
Vierteljahre ganz artig gewesen und haben alle Bassermann'schen Gestalten von unsern
Straßen verbannt — da kann man uns doch wohl zu Fastnacht wieder eine Versamm-
lung schenken! —

Und wenn man in die Konditoreien trat, oder in die Lesezimmer, so konnte man
aus den Mienen der Leser und Plauderer ziemlich deutlich auf die Stellung Preußens
zu Deutschland schließen. Ein langatmiger Herr mit der Brille las die heftigen An¬
griffe von Würth, Sepp, Lassaulx gegen Preußen und preußisches Wesen vor; man
lächelte gleichgiltig und sah einander an, das war Alles. Aber in der blastrten Angen-
sprache lag doch etwas, was einen ehrlichen Mann freuen konnte; es war im Worte
übersetzt ungefähr : Laßt sie schrein! wir kennen unseren Weg. — Endlich hat auch die
preußische Krone sich offen und männlich ausgesprochen, wir stehen jetzt klar zu Frank'
furt und Deutschland, jetzt wollen wir schnell Ordnung im eignen Hanse schaffen, da¬
mit wir freie Arme haben, wenn die Vettern draußen uns verlangen.




Literarische Neuigkeiten.

1) Die Oktobertage Wiens. Eine historische Darstellung vom Standpunkte
des Rechts und der Wahrheit. Leipzig, Köhler.

Dieser Standpunkt ist der des gemäßigten Radicalismus. Das Büchlein enthält
einige interessante Details; wir entlehnen ihm die Schilderung von den letzten Augen¬
blicken Mcsscnhausers.

Er hatte keine Ahnung von seiner Verurtheilung zum Tode und war daher, als
man ihm diese vorgestern — am l4. Nov. — um 9 Uhr Morgens verkündigte, im
ersten Augenblicke ganz erstarrt, so daß man ihn anrufen mußte; daun aber schnell ge¬
faßt bewahrte er bis z»in letzten Augenblicke eine merkwürdige Ruhe, ordnete seine
Angelegenheiten, und schrieb zu diesem Zwecke am 15. Briefe. Auf sein Begehren
mußte ein Priester täglich von 4 bis 6 Uhr Abends bei ihm sein, von diesem verlangte
er die Bekenntnisse des heil. Augustin und die Bibel, , - .


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[0244] Wiedergeburt Germaniens her. Zuerst die Kaiserkrönung, welch ein Schauspiel und welch ein Verdienst! Die Insignien und sonstigen Appcrtinenticn der Festlichkeit waren bereits vertheilt unter die verschiedenen Gewerke. Dann die kaiserliche Regierung in Berlin: neue Nahrungsquelle! Denn „Berlin bleibt doch immer Berlin" und daß der König nicht nach dem Neste am Main gehen werde, wo die Leute nicht einmal Wei߬ bier zu brauen verstehen, davon waren sie vollständig überzeugt. Etwas Angst hatte ihnen freilich die „Neujahrsgabe" von Herrn Hofrath Dahlmann in der deutschen Zei¬ tung gemacht, der uns für rcichsunmittclbar erklären und gar kein preußisches Parla¬ ment mehr dulden wollte. Indeß wenn die Frankfurter dafür herkamen, war ja der Schaden mehr als ausgeglichen. Auch die Literaten mit ihren hungrigen blassen Ge¬ sichtern träumten zum ersten Male wieder selige Träume seit den Nvvembcrtagen. Ein Staaten- und ein Unterhaus, eine erste und eine zweite Kammer in Berlin — das ging weit über ihre kühnsten Erwartungen hinaus. Daß es dem Herrn Professor Ernst sein sollte mit seinem Schreckschusse, glaubten sie nimmermehr; sind wir doch seit einem Vierteljahre ganz artig gewesen und haben alle Bassermann'schen Gestalten von unsern Straßen verbannt — da kann man uns doch wohl zu Fastnacht wieder eine Versamm- lung schenken! — Und wenn man in die Konditoreien trat, oder in die Lesezimmer, so konnte man aus den Mienen der Leser und Plauderer ziemlich deutlich auf die Stellung Preußens zu Deutschland schließen. Ein langatmiger Herr mit der Brille las die heftigen An¬ griffe von Würth, Sepp, Lassaulx gegen Preußen und preußisches Wesen vor; man lächelte gleichgiltig und sah einander an, das war Alles. Aber in der blastrten Angen- sprache lag doch etwas, was einen ehrlichen Mann freuen konnte; es war im Worte übersetzt ungefähr : Laßt sie schrein! wir kennen unseren Weg. — Endlich hat auch die preußische Krone sich offen und männlich ausgesprochen, wir stehen jetzt klar zu Frank' furt und Deutschland, jetzt wollen wir schnell Ordnung im eignen Hanse schaffen, da¬ mit wir freie Arme haben, wenn die Vettern draußen uns verlangen. Literarische Neuigkeiten. 1) Die Oktobertage Wiens. Eine historische Darstellung vom Standpunkte des Rechts und der Wahrheit. Leipzig, Köhler. Dieser Standpunkt ist der des gemäßigten Radicalismus. Das Büchlein enthält einige interessante Details; wir entlehnen ihm die Schilderung von den letzten Augen¬ blicken Mcsscnhausers. Er hatte keine Ahnung von seiner Verurtheilung zum Tode und war daher, als man ihm diese vorgestern — am l4. Nov. — um 9 Uhr Morgens verkündigte, im ersten Augenblicke ganz erstarrt, so daß man ihn anrufen mußte; daun aber schnell ge¬ faßt bewahrte er bis z»in letzten Augenblicke eine merkwürdige Ruhe, ordnete seine Angelegenheiten, und schrieb zu diesem Zwecke am 15. Briefe. Auf sein Begehren mußte ein Priester täglich von 4 bis 6 Uhr Abends bei ihm sein, von diesem verlangte er die Bekenntnisse des heil. Augustin und die Bibel, , - .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/244>, abgerufen am 22.12.2024.