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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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wahrt hatte, als die Epiciers der kleinen Vorstädte; er sprach zu ihm, freilich
stets in Glacehandschuhen und in salonfähigen Perioden, und die Menge freute
sich des aristokratischen Führers, der ihr zugleich imponirte und schmeichelte. Ließ
sich der Redner auf bestimmte Fragen ein, so war viel Konfusion in seinen Vor.
Mägen, wie es bei Dilettanten nicht anders möglich ist; mit derselben Leichtig¬
keit, mit der er in seinen Friedenspsalmen die Deutschen durch "blaues Blut" ab¬
fand, erledigte er die orientalischen Wirren durch Reminiscenzen an die Kreuz¬
züge. Uebertrieben, stach er damit gegen die sonstigen parlamentarischen Notabili¬
täten nicht ab, und ließ sie weit hinter sich an Eleganz und Esprit. War er
fertig, so wußte man zwar niemals recht, was er eigentlich gewollt: aber was
für Geist war in der Rede aufgewendet! Und das genügt dem muntern Frank¬
reich. Es wurde nun Mode, im "Volk" den Kern der Nation zu sehn. Lamar¬
tine selbst, Michelet, Louis Blanc und Andere schrieben Revolutionsgeschichten, in
denen sich ziemlich alle Acteurs als Gauner und Halunken erwiesen -- sehr im
Gegensatz zu den Epopöen von Thiers und Mignet -- dagegen der Chor, das
Volk, als hohe, sittliche Macht, die sich zwar zuweilen grob äußerte, aber immer
groß. Auch hier war der theatralische Effect die letzte sittliche Instanz. Die
Männer des "Volks" -- ein Alibaud und Aehnliche, die in Ermangelung anderer
Großthaten sich des Königsmordes befleißigten, traten imposant genug auf, um
in Gassenliedern besungen zu werden; wenn nicht gerade tugendhaft, waren sie
doch nobel, und das ist ein Bourgeois nie.

Dieser wüste Aberglaube an die Unfehlbarkeit des "Volks," den Michelet in
seiner Heiligengeschichte historisch ausführte, rundete der verworrene Priester einer
neuen Religion, Lamenais, dogmatisch ab. kiiinlos <I'un ero^-all I^v livrv
<Ze i>eusil"z! die Ampaschands und Dervands gar nicht mitzuzählen! Hier war
Inspiration, Feuer, unbestimmte, aber umfassende Liebe, tugendhafte Entrüstung
ohne Gegenstand, christliche Reminiscenzen und republikanische Dithyramben in
einen allerliebsten Ragout zuscnnmeugekocht, mit den Thränen eines edlen Her¬
zens, das zu träge und zu unwissend ist, sich an der Arbeit des Geschlechts zu
betheiligen, reichlich Übergossen. Die Atheisten der voltaireschen Schule verbünde¬
ten sich mit diesem wunderlichen Freund, wie sie allenfalls auch der jesuitischen
Gazette de France die Hand drückten, wenn sie das allgemeine Wahlrecht predigte;
in ihrem Haß war kein Ernst, in ihrem Pathos kein Gehalt; sie machten Coterie
und begnügten sich mit der guten Absicht.

Die ganze Romantik trat in ihren Dienst. Wie populär mußte das allge¬
meine Sündenbewußtsein geworden sein, wenn selbst das Organ der Aristokratie,
das Journal des Debats, ihm die Spalten seines Feuilletons öffnete.

Die AlMvros <1e I^ris haben dem Socialismus mehr genützt, als alle Er¬
güsse des prvti-L i"domin"I"Je, wie Heine ihn nannte. War es der tugendhafte
Eifer, der alle Grisetten und Omnis vo^a^ours der großen Nation für diese


wahrt hatte, als die Epiciers der kleinen Vorstädte; er sprach zu ihm, freilich
stets in Glacehandschuhen und in salonfähigen Perioden, und die Menge freute
sich des aristokratischen Führers, der ihr zugleich imponirte und schmeichelte. Ließ
sich der Redner auf bestimmte Fragen ein, so war viel Konfusion in seinen Vor.
Mägen, wie es bei Dilettanten nicht anders möglich ist; mit derselben Leichtig¬
keit, mit der er in seinen Friedenspsalmen die Deutschen durch „blaues Blut" ab¬
fand, erledigte er die orientalischen Wirren durch Reminiscenzen an die Kreuz¬
züge. Uebertrieben, stach er damit gegen die sonstigen parlamentarischen Notabili¬
täten nicht ab, und ließ sie weit hinter sich an Eleganz und Esprit. War er
fertig, so wußte man zwar niemals recht, was er eigentlich gewollt: aber was
für Geist war in der Rede aufgewendet! Und das genügt dem muntern Frank¬
reich. Es wurde nun Mode, im „Volk" den Kern der Nation zu sehn. Lamar¬
tine selbst, Michelet, Louis Blanc und Andere schrieben Revolutionsgeschichten, in
denen sich ziemlich alle Acteurs als Gauner und Halunken erwiesen — sehr im
Gegensatz zu den Epopöen von Thiers und Mignet — dagegen der Chor, das
Volk, als hohe, sittliche Macht, die sich zwar zuweilen grob äußerte, aber immer
groß. Auch hier war der theatralische Effect die letzte sittliche Instanz. Die
Männer des „Volks" — ein Alibaud und Aehnliche, die in Ermangelung anderer
Großthaten sich des Königsmordes befleißigten, traten imposant genug auf, um
in Gassenliedern besungen zu werden; wenn nicht gerade tugendhaft, waren sie
doch nobel, und das ist ein Bourgeois nie.

Dieser wüste Aberglaube an die Unfehlbarkeit des „Volks," den Michelet in
seiner Heiligengeschichte historisch ausführte, rundete der verworrene Priester einer
neuen Religion, Lamenais, dogmatisch ab. kiiinlos <I'un ero^-all I^v livrv
<Ze i>eusil«z! die Ampaschands und Dervands gar nicht mitzuzählen! Hier war
Inspiration, Feuer, unbestimmte, aber umfassende Liebe, tugendhafte Entrüstung
ohne Gegenstand, christliche Reminiscenzen und republikanische Dithyramben in
einen allerliebsten Ragout zuscnnmeugekocht, mit den Thränen eines edlen Her¬
zens, das zu träge und zu unwissend ist, sich an der Arbeit des Geschlechts zu
betheiligen, reichlich Übergossen. Die Atheisten der voltaireschen Schule verbünde¬
ten sich mit diesem wunderlichen Freund, wie sie allenfalls auch der jesuitischen
Gazette de France die Hand drückten, wenn sie das allgemeine Wahlrecht predigte;
in ihrem Haß war kein Ernst, in ihrem Pathos kein Gehalt; sie machten Coterie
und begnügten sich mit der guten Absicht.

Die ganze Romantik trat in ihren Dienst. Wie populär mußte das allge¬
meine Sündenbewußtsein geworden sein, wenn selbst das Organ der Aristokratie,
das Journal des Debats, ihm die Spalten seines Feuilletons öffnete.

Die AlMvros <1e I^ris haben dem Socialismus mehr genützt, als alle Er¬
güsse des prvti-L i»domin»I»Je, wie Heine ihn nannte. War es der tugendhafte
Eifer, der alle Grisetten und Omnis vo^a^ours der großen Nation für diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/24>, abgerufen am 23.07.2024.