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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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gegen die alte knorrige Wurzel seines Stammbaumes geführt wurden, oder dachte
gar an die kleine Guillotine, womit jener anonyme Brief gesiegelt war, der ihm
verboten hatte, republikanische Plakate von der Ecke seines Hauses in Berlin ab¬
reißen zu lassen. -- "Freund, Sie sind beneidenswert!) hier ansässig zu sein, wer
möchte in unsern Stürmen ein solches Asyl nicht wünschen!" - "Nicht Alle,
welche zur Eule hinaussehen, haben diesen Geschmack," entgegnete der Wirth mit
zweideutigem Ausdruck. -- Seine Worte wurden dnrch einen plötzlichen Lärm über¬
tönt, der aus dem Hausflur heraufdrang, Thüren wurden zugeworfen und Stim¬
men schrieen durcheinander: "sie kommen! sie kommen!" Wir sprangen aus, Gäste
erwartend, ich trat an das Fenster. Hier aber sah ich eine sehr ungastliche De¬
monstration, denn der Schaffner des Hofes war bemüht mit der ganzen Länge seines
bepelzten Körpers die kleine Nebenpforte des Hofchvres zuzuhalten, gegen welche
von anßen durch eine unsichtbare Macht gestemmt wurde. Zwei Mägde, die aus
dem Milchkeller traten, setzten ihre Kannen zur Seite und eilten als Verbündete
herbei. Einen Augenblick schien es auch, als wenn ihren rothen stämmigen Armen
der Sieg sich neige, plötzlich aber, bevor es gelungen war, den hölzernen Riegel
vorzuschieben, wurden sie bis an die Mauer des Gesindehauses geschleudert, der
Schaffner taumelte ihnen nach und durch die Thür stürzte ein Konglomerat von
Kinderköpfen, Lumpen, nackten Armen und Beinen, welches ebenfalls durch seine
eigene Anstrengung eine Strecke in den Hof gestoßen wurde; dann theilte sich der
Knäuel in einzelne klägliche Gestalten, die gierig nach dem Schlosse stürzten. An
der Thür trat ihnen die alte Haushälterin mit einem Viertelkorb geschnittenen
Brotes entgegen und trotzige Resignation in ihren harten Zügen, warf sie ihnen
die Stücke zu, um sich die Masse der Bettler vom Leibe zu halten; diese aber
fuhren selbst nach dem Korbe, im Augenblick war er geleert und ans den Wink
des Hausherrn ein neues großes Brot herbeigeholt. Mit der Rohheit des Hun¬
gers wurde die Alte, die nicht schnell genug schneiden konnte, bedrängt; sie schlugen
sich, rangen mit einander, griffen in das Messer und färbten mit den blutenden
Fäusten die blassen Gesichter der Schwächeren unter ihnen. Einem Kerl mit dunkel¬
glühenden Augen, der statt der Mütze einen Strick um sein schwarzes Haar ge¬
wunden hatte, in welchem ein Tannenzweig steckte, gelang es sogar bis in die
Küche vorzudringen und einen der Töpfe vom Heerde zu entführen, aber die weib¬
liche Dienerschaft erhob ein so heilloses Kreischen, daß der Hausherr in seine
Stube eilte und mit einem Gewehrlauf heraustrat, den er an die Wange legte^
Jetzt stob Alles auseinander; Groß , und Klein, Kinder, Weiber und Männer er¬
griffen die Flucht, auch der Wilde mit dem Tannenreis stellte seine Beute mitten
in das Haus und nahm unter drohenden Grimassen seinen Rückzug. Achselzuckend
zeigte uns der Wirth seine Waffe, welcher Hahn und Kolben fehlte. Wir eilten
hinauf uns zur Jagd zu rüsten. Das Bild im Thürrahmen stand noch auf der"
selben Stelle, aber sein Frieden war verschwunden, seine Staffage verändert. Der


gegen die alte knorrige Wurzel seines Stammbaumes geführt wurden, oder dachte
gar an die kleine Guillotine, womit jener anonyme Brief gesiegelt war, der ihm
verboten hatte, republikanische Plakate von der Ecke seines Hauses in Berlin ab¬
reißen zu lassen. — „Freund, Sie sind beneidenswert!) hier ansässig zu sein, wer
möchte in unsern Stürmen ein solches Asyl nicht wünschen!" - „Nicht Alle,
welche zur Eule hinaussehen, haben diesen Geschmack," entgegnete der Wirth mit
zweideutigem Ausdruck. — Seine Worte wurden dnrch einen plötzlichen Lärm über¬
tönt, der aus dem Hausflur heraufdrang, Thüren wurden zugeworfen und Stim¬
men schrieen durcheinander: „sie kommen! sie kommen!" Wir sprangen aus, Gäste
erwartend, ich trat an das Fenster. Hier aber sah ich eine sehr ungastliche De¬
monstration, denn der Schaffner des Hofes war bemüht mit der ganzen Länge seines
bepelzten Körpers die kleine Nebenpforte des Hofchvres zuzuhalten, gegen welche
von anßen durch eine unsichtbare Macht gestemmt wurde. Zwei Mägde, die aus
dem Milchkeller traten, setzten ihre Kannen zur Seite und eilten als Verbündete
herbei. Einen Augenblick schien es auch, als wenn ihren rothen stämmigen Armen
der Sieg sich neige, plötzlich aber, bevor es gelungen war, den hölzernen Riegel
vorzuschieben, wurden sie bis an die Mauer des Gesindehauses geschleudert, der
Schaffner taumelte ihnen nach und durch die Thür stürzte ein Konglomerat von
Kinderköpfen, Lumpen, nackten Armen und Beinen, welches ebenfalls durch seine
eigene Anstrengung eine Strecke in den Hof gestoßen wurde; dann theilte sich der
Knäuel in einzelne klägliche Gestalten, die gierig nach dem Schlosse stürzten. An
der Thür trat ihnen die alte Haushälterin mit einem Viertelkorb geschnittenen
Brotes entgegen und trotzige Resignation in ihren harten Zügen, warf sie ihnen
die Stücke zu, um sich die Masse der Bettler vom Leibe zu halten; diese aber
fuhren selbst nach dem Korbe, im Augenblick war er geleert und ans den Wink
des Hausherrn ein neues großes Brot herbeigeholt. Mit der Rohheit des Hun¬
gers wurde die Alte, die nicht schnell genug schneiden konnte, bedrängt; sie schlugen
sich, rangen mit einander, griffen in das Messer und färbten mit den blutenden
Fäusten die blassen Gesichter der Schwächeren unter ihnen. Einem Kerl mit dunkel¬
glühenden Augen, der statt der Mütze einen Strick um sein schwarzes Haar ge¬
wunden hatte, in welchem ein Tannenzweig steckte, gelang es sogar bis in die
Küche vorzudringen und einen der Töpfe vom Heerde zu entführen, aber die weib¬
liche Dienerschaft erhob ein so heilloses Kreischen, daß der Hausherr in seine
Stube eilte und mit einem Gewehrlauf heraustrat, den er an die Wange legte^
Jetzt stob Alles auseinander; Groß , und Klein, Kinder, Weiber und Männer er¬
griffen die Flucht, auch der Wilde mit dem Tannenreis stellte seine Beute mitten
in das Haus und nahm unter drohenden Grimassen seinen Rückzug. Achselzuckend
zeigte uns der Wirth seine Waffe, welcher Hahn und Kolben fehlte. Wir eilten
hinauf uns zur Jagd zu rüsten. Das Bild im Thürrahmen stand noch auf der«
selben Stelle, aber sein Frieden war verschwunden, seine Staffage verändert. Der


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[0234] gegen die alte knorrige Wurzel seines Stammbaumes geführt wurden, oder dachte gar an die kleine Guillotine, womit jener anonyme Brief gesiegelt war, der ihm verboten hatte, republikanische Plakate von der Ecke seines Hauses in Berlin ab¬ reißen zu lassen. — „Freund, Sie sind beneidenswert!) hier ansässig zu sein, wer möchte in unsern Stürmen ein solches Asyl nicht wünschen!" - „Nicht Alle, welche zur Eule hinaussehen, haben diesen Geschmack," entgegnete der Wirth mit zweideutigem Ausdruck. — Seine Worte wurden dnrch einen plötzlichen Lärm über¬ tönt, der aus dem Hausflur heraufdrang, Thüren wurden zugeworfen und Stim¬ men schrieen durcheinander: „sie kommen! sie kommen!" Wir sprangen aus, Gäste erwartend, ich trat an das Fenster. Hier aber sah ich eine sehr ungastliche De¬ monstration, denn der Schaffner des Hofes war bemüht mit der ganzen Länge seines bepelzten Körpers die kleine Nebenpforte des Hofchvres zuzuhalten, gegen welche von anßen durch eine unsichtbare Macht gestemmt wurde. Zwei Mägde, die aus dem Milchkeller traten, setzten ihre Kannen zur Seite und eilten als Verbündete herbei. Einen Augenblick schien es auch, als wenn ihren rothen stämmigen Armen der Sieg sich neige, plötzlich aber, bevor es gelungen war, den hölzernen Riegel vorzuschieben, wurden sie bis an die Mauer des Gesindehauses geschleudert, der Schaffner taumelte ihnen nach und durch die Thür stürzte ein Konglomerat von Kinderköpfen, Lumpen, nackten Armen und Beinen, welches ebenfalls durch seine eigene Anstrengung eine Strecke in den Hof gestoßen wurde; dann theilte sich der Knäuel in einzelne klägliche Gestalten, die gierig nach dem Schlosse stürzten. An der Thür trat ihnen die alte Haushälterin mit einem Viertelkorb geschnittenen Brotes entgegen und trotzige Resignation in ihren harten Zügen, warf sie ihnen die Stücke zu, um sich die Masse der Bettler vom Leibe zu halten; diese aber fuhren selbst nach dem Korbe, im Augenblick war er geleert und ans den Wink des Hausherrn ein neues großes Brot herbeigeholt. Mit der Rohheit des Hun¬ gers wurde die Alte, die nicht schnell genug schneiden konnte, bedrängt; sie schlugen sich, rangen mit einander, griffen in das Messer und färbten mit den blutenden Fäusten die blassen Gesichter der Schwächeren unter ihnen. Einem Kerl mit dunkel¬ glühenden Augen, der statt der Mütze einen Strick um sein schwarzes Haar ge¬ wunden hatte, in welchem ein Tannenzweig steckte, gelang es sogar bis in die Küche vorzudringen und einen der Töpfe vom Heerde zu entführen, aber die weib¬ liche Dienerschaft erhob ein so heilloses Kreischen, daß der Hausherr in seine Stube eilte und mit einem Gewehrlauf heraustrat, den er an die Wange legte^ Jetzt stob Alles auseinander; Groß , und Klein, Kinder, Weiber und Männer er¬ griffen die Flucht, auch der Wilde mit dem Tannenreis stellte seine Beute mitten in das Haus und nahm unter drohenden Grimassen seinen Rückzug. Achselzuckend zeigte uns der Wirth seine Waffe, welcher Hahn und Kolben fehlte. Wir eilten hinauf uns zur Jagd zu rüsten. Das Bild im Thürrahmen stand noch auf der« selben Stelle, aber sein Frieden war verschwunden, seine Staffage verändert. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/234>, abgerufen am 23.12.2024.