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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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schen Bestechungssystem, war sein und seiner Partei einziges Streben, daß keine
Unordnung vorkäme; während Napoleon durch jene Mittel die innere Verwaltung
auf eine glänzende Weise reorganisirte, und Pitt jene grandiose auswärtige Po¬
litik verfolgte, die England freilich an den Rand des Banquerouts brachte, aber
wenigstens seiner Weltstellung angemessen war, hat Guizot sür die innern Ver¬
hältnisse nichts gethan, nach Außen hin eine kleinliche, ehrlose Politik verfolgt,
die das französische Ehrgefühl empfindlicher verletzen mußte, als es die härteste
Tyrannei im Stande gewesen wäre. Zufrieden mit diesem tüchtigen Anwald und
bereit, ihm a kund u>ix eine compacte Majorität zu geben, trieb die conservative
Partei die Politik nur als fatale Nothwendigkeit, sie war gleichgiltig gegen die
Verfassung, blasirt gegen alles politische Wesen, soweit es nicht aus die Börse
iufluirte, und während die Opposition mit großem Gepolter täglich etwas Neues
verlangte, was es auch sei, sorgten die Conservativen dasür, daß überhaupt nichts
geschehe. Die Gegner waren einander würdig.

Wie stand es aber mit jenen tugendhaften Männern, die sich aus den einen
so wenig machten als aus den andern, die ihren moralischen Unwillen nicht in ein¬
zelnen Fragen, sondern ganz im Allgemeinen - radical, um technisch zu reden --
Luft machten? Den Jacobinern der Reforme und den socialistischen Diplomaten
der Democratie pacifique? Diese Virtuosen der Revolution, die als echte Künst¬
ler, für die Barricaden nicht des Zwecks wegen eiferten, der dadurch erreicht wer¬
den sollte, sondern an sich, aus reiner Liebe zur Sache? Ledru Rollin lernte
Dantons und Robespierres Rede auswendig und declamirte mit kräftiger Kehle
jene tyrannenmörderischen Phrasen, deren man sich aus den 90. Jahren her er-
innerte, und die übrige äußerste Linke ergänzte ihn aus das kräftigste; er sah in
der Republik die Guillotine, den Wohlfahrtsausschuß, das Revolutionstribunal ---
die aufgeregte Fluth, in der ein unruhiger Geist den sinnlichen Reiz findet, dessen
er in jedem Augenblick bedarf. Aber diese Männer waren nur der rohe Stoff
jener idealistischen, abstracten Opposition; der Esprit des Radicalismus war in
Herrn v. Lamartine Fleisch geworden. Ein seiner, gebildeter Geist, der den
Franzosen gab, was sie vor Allem brauchten, die Bonmots der politischen Be¬
wegung. Dilettant in allen ernsthaften Fragen, Romantiker und Poet, hielt er
sich zuerst an die conservative Partei aus den aristokratischen Sympathien, die kein
Gentleman verleugnen kann; als aber die Negierung Jahre hindurch nichts He¬
roisches that, keine Abenteuer unternahm, ging er mit der feierlichen Erklärung:
I^a k'rilnce s'viwuie, zur Opposition über; zurückgeschreckt von dem rohen Ma¬
terialismus, der von keiner zierlichen Idealität überdeckten Selbstsucht dieser Par¬
tei, brach er mit dem ganzen officiellen Frankreich, und gab dem Volk das Stich¬
wort: I^a Trance s'attristo! Diese Bonmots wurden schnell populär; Herr v.
Lamartine, der gemeinen Bourgeoisie immer abhold, coquettirte mit dem "Volk"
in Blousen, das überall mehr Ritterlichkeit, mehr Bravour und mehr Form be-


schen Bestechungssystem, war sein und seiner Partei einziges Streben, daß keine
Unordnung vorkäme; während Napoleon durch jene Mittel die innere Verwaltung
auf eine glänzende Weise reorganisirte, und Pitt jene grandiose auswärtige Po¬
litik verfolgte, die England freilich an den Rand des Banquerouts brachte, aber
wenigstens seiner Weltstellung angemessen war, hat Guizot sür die innern Ver¬
hältnisse nichts gethan, nach Außen hin eine kleinliche, ehrlose Politik verfolgt,
die das französische Ehrgefühl empfindlicher verletzen mußte, als es die härteste
Tyrannei im Stande gewesen wäre. Zufrieden mit diesem tüchtigen Anwald und
bereit, ihm a kund u>ix eine compacte Majorität zu geben, trieb die conservative
Partei die Politik nur als fatale Nothwendigkeit, sie war gleichgiltig gegen die
Verfassung, blasirt gegen alles politische Wesen, soweit es nicht aus die Börse
iufluirte, und während die Opposition mit großem Gepolter täglich etwas Neues
verlangte, was es auch sei, sorgten die Conservativen dasür, daß überhaupt nichts
geschehe. Die Gegner waren einander würdig.

Wie stand es aber mit jenen tugendhaften Männern, die sich aus den einen
so wenig machten als aus den andern, die ihren moralischen Unwillen nicht in ein¬
zelnen Fragen, sondern ganz im Allgemeinen - radical, um technisch zu reden —
Luft machten? Den Jacobinern der Reforme und den socialistischen Diplomaten
der Democratie pacifique? Diese Virtuosen der Revolution, die als echte Künst¬
ler, für die Barricaden nicht des Zwecks wegen eiferten, der dadurch erreicht wer¬
den sollte, sondern an sich, aus reiner Liebe zur Sache? Ledru Rollin lernte
Dantons und Robespierres Rede auswendig und declamirte mit kräftiger Kehle
jene tyrannenmörderischen Phrasen, deren man sich aus den 90. Jahren her er-
innerte, und die übrige äußerste Linke ergänzte ihn aus das kräftigste; er sah in
der Republik die Guillotine, den Wohlfahrtsausschuß, das Revolutionstribunal -—
die aufgeregte Fluth, in der ein unruhiger Geist den sinnlichen Reiz findet, dessen
er in jedem Augenblick bedarf. Aber diese Männer waren nur der rohe Stoff
jener idealistischen, abstracten Opposition; der Esprit des Radicalismus war in
Herrn v. Lamartine Fleisch geworden. Ein seiner, gebildeter Geist, der den
Franzosen gab, was sie vor Allem brauchten, die Bonmots der politischen Be¬
wegung. Dilettant in allen ernsthaften Fragen, Romantiker und Poet, hielt er
sich zuerst an die conservative Partei aus den aristokratischen Sympathien, die kein
Gentleman verleugnen kann; als aber die Negierung Jahre hindurch nichts He¬
roisches that, keine Abenteuer unternahm, ging er mit der feierlichen Erklärung:
I^a k'rilnce s'viwuie, zur Opposition über; zurückgeschreckt von dem rohen Ma¬
terialismus, der von keiner zierlichen Idealität überdeckten Selbstsucht dieser Par¬
tei, brach er mit dem ganzen officiellen Frankreich, und gab dem Volk das Stich¬
wort: I^a Trance s'attristo! Diese Bonmots wurden schnell populär; Herr v.
Lamartine, der gemeinen Bourgeoisie immer abhold, coquettirte mit dem „Volk"
in Blousen, das überall mehr Ritterlichkeit, mehr Bravour und mehr Form be-


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[0023] schen Bestechungssystem, war sein und seiner Partei einziges Streben, daß keine Unordnung vorkäme; während Napoleon durch jene Mittel die innere Verwaltung auf eine glänzende Weise reorganisirte, und Pitt jene grandiose auswärtige Po¬ litik verfolgte, die England freilich an den Rand des Banquerouts brachte, aber wenigstens seiner Weltstellung angemessen war, hat Guizot sür die innern Ver¬ hältnisse nichts gethan, nach Außen hin eine kleinliche, ehrlose Politik verfolgt, die das französische Ehrgefühl empfindlicher verletzen mußte, als es die härteste Tyrannei im Stande gewesen wäre. Zufrieden mit diesem tüchtigen Anwald und bereit, ihm a kund u>ix eine compacte Majorität zu geben, trieb die conservative Partei die Politik nur als fatale Nothwendigkeit, sie war gleichgiltig gegen die Verfassung, blasirt gegen alles politische Wesen, soweit es nicht aus die Börse iufluirte, und während die Opposition mit großem Gepolter täglich etwas Neues verlangte, was es auch sei, sorgten die Conservativen dasür, daß überhaupt nichts geschehe. Die Gegner waren einander würdig. Wie stand es aber mit jenen tugendhaften Männern, die sich aus den einen so wenig machten als aus den andern, die ihren moralischen Unwillen nicht in ein¬ zelnen Fragen, sondern ganz im Allgemeinen - radical, um technisch zu reden — Luft machten? Den Jacobinern der Reforme und den socialistischen Diplomaten der Democratie pacifique? Diese Virtuosen der Revolution, die als echte Künst¬ ler, für die Barricaden nicht des Zwecks wegen eiferten, der dadurch erreicht wer¬ den sollte, sondern an sich, aus reiner Liebe zur Sache? Ledru Rollin lernte Dantons und Robespierres Rede auswendig und declamirte mit kräftiger Kehle jene tyrannenmörderischen Phrasen, deren man sich aus den 90. Jahren her er- innerte, und die übrige äußerste Linke ergänzte ihn aus das kräftigste; er sah in der Republik die Guillotine, den Wohlfahrtsausschuß, das Revolutionstribunal -— die aufgeregte Fluth, in der ein unruhiger Geist den sinnlichen Reiz findet, dessen er in jedem Augenblick bedarf. Aber diese Männer waren nur der rohe Stoff jener idealistischen, abstracten Opposition; der Esprit des Radicalismus war in Herrn v. Lamartine Fleisch geworden. Ein seiner, gebildeter Geist, der den Franzosen gab, was sie vor Allem brauchten, die Bonmots der politischen Be¬ wegung. Dilettant in allen ernsthaften Fragen, Romantiker und Poet, hielt er sich zuerst an die conservative Partei aus den aristokratischen Sympathien, die kein Gentleman verleugnen kann; als aber die Negierung Jahre hindurch nichts He¬ roisches that, keine Abenteuer unternahm, ging er mit der feierlichen Erklärung: I^a k'rilnce s'viwuie, zur Opposition über; zurückgeschreckt von dem rohen Ma¬ terialismus, der von keiner zierlichen Idealität überdeckten Selbstsucht dieser Par¬ tei, brach er mit dem ganzen officiellen Frankreich, und gab dem Volk das Stich¬ wort: I^a Trance s'attristo! Diese Bonmots wurden schnell populär; Herr v. Lamartine, der gemeinen Bourgeoisie immer abhold, coquettirte mit dem „Volk" in Blousen, das überall mehr Ritterlichkeit, mehr Bravour und mehr Form be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/23>, abgerufen am 23.07.2024.