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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Tankadressen und Verbrüdernngsanträgcn an die französische Republik begleitet
und wer heute uoch auf eine neue Revolution hofft, wirst seine sehnsüchtigen Blicke
über den Rhein. "Inniger Anschluß an Frankreich" ist die politische Forderung
der modernen Demokraten.

'Auch die Ungarn, Polen und Walachen hatten Gesandte nach Frankfurt ge¬
schickt, obwohl die deutschen Sympathien dieser Nationen nicht sehr natürlich wa¬
ren. Hat nicht die provisorische Regierung in Mailand ihre Hochachtung für die
deutsche Centralgewalt bezeigt? Es war also uur der erste Freiheitsdrang,
das Gefühl der eigenen Ohnmacht und weniger Nationalgefühl, was die
so lange und hart aneinandergckettcten Völker Oestreichs dem nächsten freigewor-
denen Nachbar entgegentrieb. Als die Ungarn, Polen, Walachen und Italiener
in Frankfurt keine Unterstüjzung fanden, gingen sie einige Meilen weiter nach
Paris. Jede folgende Revolution, welche in Oestreich ans Mißtrauen gegen die
ehrlichen Absichten der Regierung entstand, sandte von Neuem ihren Hilferuf uach
der deutschen Nationalversammlung. Dort suchte man die Garantie sür die eben
errungene Freiheit. Die östreichische Regierung selbst that nur höchst nothgedrun-
gen, was ihre deutsche Gesinnung bethätigen sollte. Sie schrieb die Wahlen zum
deutschen Parlamente aus, mit der ausdrücklichen Erklärung, daß die Beschlüsse
dieser Versammlung für sie nicht bindend seien und drückte gern ein Auge zu, als
die Wahlen uicht in allen Landestheilen vorgenommen wurden. Das weitere Sün¬
denregister betreff der östreichischen Fahrlässigkeit in den dentschen Bundessachen
aus älterer und neuerer Zeit haben die deutsche Zeitung und ihre Freunde im
Parlamente offen aufgezählt. Der Gedanke an die östreichische Großmacht, welche
seit Jahrhunderten eine selbstständige Rolle in dem europäischen Staatensystem ge¬
spielt hat, ließ die Freunde Habsburgs weder zu einem entscheidenden Schritt
gegenüber dem Ausland, noch zu voller Theilnahme für die Freiheitsbestrebungen
der einzelnen Nationalitäten Oestreichs kommen. Man predigte daher die "kaiser¬
liche Bestimmung" Oestreichs und das "östreichisch-kaiserliche Bewußtsein," welches
alle Unterthanen Habsburgs erfüllen sollte, als den von der Weltgeschichte vor"
gezeichneten Beruf der östreichischen Großmacht. In diesem Hochgefühle wurde
auch der bekannte Protest gegen die Gelüste des preußischen Königs auf die alte
lothringische Kaiserkrone geschleudert. Zugleich suchte man die alten Allianzen mit
den übrigen Großmächten, Rußland voran, zu erhalten. Vielleicht erinnern Sie
sich an eine kleine Schrift, welche ich damals unter dem Titel: "Das östreichisch-
kaiserliche Bewußtsein" gegen das hohle deutschthümelnde Treiben der Wiener
und gegen die kaiserlich-privilegirte Freiheit des östreichischen Staates drucken
ließ. "Entweder russisch oder deutsch!" heißt es darin, "das ist daS Losungs¬
wort für Oestreich in diesem Augenblicke. Wenn russisch, dann versucht, den kaum
erwachten Nationen von Neuem mit Waffengewalt und Geisteömord das kaiserlich¬
östreichische Bewußtsein einzuprägen, dann erklärt, wie die russischen Zeitungen,


Tankadressen und Verbrüdernngsanträgcn an die französische Republik begleitet
und wer heute uoch auf eine neue Revolution hofft, wirst seine sehnsüchtigen Blicke
über den Rhein. „Inniger Anschluß an Frankreich" ist die politische Forderung
der modernen Demokraten.

'Auch die Ungarn, Polen und Walachen hatten Gesandte nach Frankfurt ge¬
schickt, obwohl die deutschen Sympathien dieser Nationen nicht sehr natürlich wa¬
ren. Hat nicht die provisorische Regierung in Mailand ihre Hochachtung für die
deutsche Centralgewalt bezeigt? Es war also uur der erste Freiheitsdrang,
das Gefühl der eigenen Ohnmacht und weniger Nationalgefühl, was die
so lange und hart aneinandergckettcten Völker Oestreichs dem nächsten freigewor-
denen Nachbar entgegentrieb. Als die Ungarn, Polen, Walachen und Italiener
in Frankfurt keine Unterstüjzung fanden, gingen sie einige Meilen weiter nach
Paris. Jede folgende Revolution, welche in Oestreich ans Mißtrauen gegen die
ehrlichen Absichten der Regierung entstand, sandte von Neuem ihren Hilferuf uach
der deutschen Nationalversammlung. Dort suchte man die Garantie sür die eben
errungene Freiheit. Die östreichische Regierung selbst that nur höchst nothgedrun-
gen, was ihre deutsche Gesinnung bethätigen sollte. Sie schrieb die Wahlen zum
deutschen Parlamente aus, mit der ausdrücklichen Erklärung, daß die Beschlüsse
dieser Versammlung für sie nicht bindend seien und drückte gern ein Auge zu, als
die Wahlen uicht in allen Landestheilen vorgenommen wurden. Das weitere Sün¬
denregister betreff der östreichischen Fahrlässigkeit in den dentschen Bundessachen
aus älterer und neuerer Zeit haben die deutsche Zeitung und ihre Freunde im
Parlamente offen aufgezählt. Der Gedanke an die östreichische Großmacht, welche
seit Jahrhunderten eine selbstständige Rolle in dem europäischen Staatensystem ge¬
spielt hat, ließ die Freunde Habsburgs weder zu einem entscheidenden Schritt
gegenüber dem Ausland, noch zu voller Theilnahme für die Freiheitsbestrebungen
der einzelnen Nationalitäten Oestreichs kommen. Man predigte daher die „kaiser¬
liche Bestimmung" Oestreichs und das „östreichisch-kaiserliche Bewußtsein," welches
alle Unterthanen Habsburgs erfüllen sollte, als den von der Weltgeschichte vor«
gezeichneten Beruf der östreichischen Großmacht. In diesem Hochgefühle wurde
auch der bekannte Protest gegen die Gelüste des preußischen Königs auf die alte
lothringische Kaiserkrone geschleudert. Zugleich suchte man die alten Allianzen mit
den übrigen Großmächten, Rußland voran, zu erhalten. Vielleicht erinnern Sie
sich an eine kleine Schrift, welche ich damals unter dem Titel: „Das östreichisch-
kaiserliche Bewußtsein" gegen das hohle deutschthümelnde Treiben der Wiener
und gegen die kaiserlich-privilegirte Freiheit des östreichischen Staates drucken
ließ. „Entweder russisch oder deutsch!" heißt es darin, „das ist daS Losungs¬
wort für Oestreich in diesem Augenblicke. Wenn russisch, dann versucht, den kaum
erwachten Nationen von Neuem mit Waffengewalt und Geisteömord das kaiserlich¬
östreichische Bewußtsein einzuprägen, dann erklärt, wie die russischen Zeitungen,


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[0226] Tankadressen und Verbrüdernngsanträgcn an die französische Republik begleitet und wer heute uoch auf eine neue Revolution hofft, wirst seine sehnsüchtigen Blicke über den Rhein. „Inniger Anschluß an Frankreich" ist die politische Forderung der modernen Demokraten. 'Auch die Ungarn, Polen und Walachen hatten Gesandte nach Frankfurt ge¬ schickt, obwohl die deutschen Sympathien dieser Nationen nicht sehr natürlich wa¬ ren. Hat nicht die provisorische Regierung in Mailand ihre Hochachtung für die deutsche Centralgewalt bezeigt? Es war also uur der erste Freiheitsdrang, das Gefühl der eigenen Ohnmacht und weniger Nationalgefühl, was die so lange und hart aneinandergckettcten Völker Oestreichs dem nächsten freigewor- denen Nachbar entgegentrieb. Als die Ungarn, Polen, Walachen und Italiener in Frankfurt keine Unterstüjzung fanden, gingen sie einige Meilen weiter nach Paris. Jede folgende Revolution, welche in Oestreich ans Mißtrauen gegen die ehrlichen Absichten der Regierung entstand, sandte von Neuem ihren Hilferuf uach der deutschen Nationalversammlung. Dort suchte man die Garantie sür die eben errungene Freiheit. Die östreichische Regierung selbst that nur höchst nothgedrun- gen, was ihre deutsche Gesinnung bethätigen sollte. Sie schrieb die Wahlen zum deutschen Parlamente aus, mit der ausdrücklichen Erklärung, daß die Beschlüsse dieser Versammlung für sie nicht bindend seien und drückte gern ein Auge zu, als die Wahlen uicht in allen Landestheilen vorgenommen wurden. Das weitere Sün¬ denregister betreff der östreichischen Fahrlässigkeit in den dentschen Bundessachen aus älterer und neuerer Zeit haben die deutsche Zeitung und ihre Freunde im Parlamente offen aufgezählt. Der Gedanke an die östreichische Großmacht, welche seit Jahrhunderten eine selbstständige Rolle in dem europäischen Staatensystem ge¬ spielt hat, ließ die Freunde Habsburgs weder zu einem entscheidenden Schritt gegenüber dem Ausland, noch zu voller Theilnahme für die Freiheitsbestrebungen der einzelnen Nationalitäten Oestreichs kommen. Man predigte daher die „kaiser¬ liche Bestimmung" Oestreichs und das „östreichisch-kaiserliche Bewußtsein," welches alle Unterthanen Habsburgs erfüllen sollte, als den von der Weltgeschichte vor« gezeichneten Beruf der östreichischen Großmacht. In diesem Hochgefühle wurde auch der bekannte Protest gegen die Gelüste des preußischen Königs auf die alte lothringische Kaiserkrone geschleudert. Zugleich suchte man die alten Allianzen mit den übrigen Großmächten, Rußland voran, zu erhalten. Vielleicht erinnern Sie sich an eine kleine Schrift, welche ich damals unter dem Titel: „Das östreichisch- kaiserliche Bewußtsein" gegen das hohle deutschthümelnde Treiben der Wiener und gegen die kaiserlich-privilegirte Freiheit des östreichischen Staates drucken ließ. „Entweder russisch oder deutsch!" heißt es darin, „das ist daS Losungs¬ wort für Oestreich in diesem Augenblicke. Wenn russisch, dann versucht, den kaum erwachten Nationen von Neuem mit Waffengewalt und Geisteömord das kaiserlich¬ östreichische Bewußtsein einzuprägen, dann erklärt, wie die russischen Zeitungen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/226>, abgerufen am 23.07.2024.