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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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preußische Volk noch nicht ganz. Jeder Knabe weiß zwei Dinge, daß der kleine
alte Fritz auf dem Stubenofen Schlesien genommen hat,, weil es ihm gelegen war,
und daß seine Mutter oder Großmutter ihren Trauring hingab, um den Napoleon
aus dem Lande zu jagen; der ärmste Tagelöhner des Dorfes hat eine freudige
Empfindung davon, daß er ein kleiner Theil einer prächtigen imponirenden Macht
war, als er mit 30-49,000 andern ans einer Ebene vor dem Könige im Feuer
manövrirte, und als im vorigen Jahre das rohe Landvolk mancher Gegend auf-
stand, mit Knütteln und Furie gegen die gutsherrlichen Lasten und Zinsen loSzog,
und als ihm die Nationalversammlung, worin seine deputirten Kameraden saßen,
befahl, die Staatsabgaben nicht mehr zu entrichten, da hat es diese Steuern fort¬
bezahlt und seine Deputirten geprügelt; gewiß eine sehr rohe Anhänglichkeit an
den Staat, aber immerhin ein Zeichen, daß anch in den niedrigsten Kreisen des
Volks eine Stätte vorhanden ist, auf welcher nationale Begeisterung leicht in
Flammen aufschlägt. Und wer aus dem Schein unserer parlamentarischen Händel
auf ein Wanken des Thrones und Staates freudig geschlossen hat, auch der irrt
sich sehr. Wir sind als Ganzes kein liebenswürdiges Volk, und haben keine ge¬
fälligen Formen, wenn wir eifern und streiten, und jede neue Entwickelung ge¬
schieht bei uns nach erst vielem Geschrei und in scharfen Gegensätzen, die sich
heftig aneinander reiben, unsere Händel mit der Krone und untereinander werden
noch oft rauhe Form und gefährlichen Schein haben, sie finden doch stets ein
Gegengewicht in dem preußischen Enthusiasmus, der Jedem von uns in einem
Winkel des Herzens sitzt, und der Ueberzeugung, daß wir zusammenhalten müssen,
des Staates wegen. Es gibt Viele unter uns, welche die Könige nicht lieben,
und doch werdeu auch diese für die Idee der Hohenzollern und die Zukunft
Preußens kämpfen, wenn es zum Letzte" kommt, weil auf unsrer Seite
die Vernunft sein wird; ja, den radikalsten preußischen Demokraten kann
man sicher auf den Kopf zusage", daß sie dann auch noch sür Preußen
selbst, das sie jetzt so gern zerpflückten, Spieß und Harnisch mit Freu-
digkeit tragen werden, sie sind in der großen Mehrzahl gut preußisch, ohne
es selbst zu ahnen, anch weniger edle Naturen, als z. B. Ludwig Simon.
Und wenn der äußerste Fall einträte, denn wir nicht wünschen, aber mich nicht
fürchten, daß Preuße" seine Aufgabe die deutsche Vollkraft zu erwecken und zu
centralisiren, allein durchführen müßte mit Gewalt gegen Deutsche selbst und gegen
ihre fremden Verbündeten; wenn es so weit zum Letzte" käme, dann werden wir
unseren Willen durchsetzen gegen alle Verbündeten, ja gegen ganz Europa. Wir
sind gewöhnt uns mit der ganzen Welt herumzuschlagen und Alles zu wagen, um
Alles zu gewinnen. Und vielleicht ist anch das noch ein Unterschied zwischen
Preußen und seinen deutschen Gegnern; wir sind bereit, bis zum letzte" Blutstropfen
zu kämpfen für daS was wir wollen; denn wir haben ein Ziel, eine große Idee,
sür die wir leben; unsre Gegner haben die nicht. Und wenn von allen Seiten her die


preußische Volk noch nicht ganz. Jeder Knabe weiß zwei Dinge, daß der kleine
alte Fritz auf dem Stubenofen Schlesien genommen hat,, weil es ihm gelegen war,
und daß seine Mutter oder Großmutter ihren Trauring hingab, um den Napoleon
aus dem Lande zu jagen; der ärmste Tagelöhner des Dorfes hat eine freudige
Empfindung davon, daß er ein kleiner Theil einer prächtigen imponirenden Macht
war, als er mit 30-49,000 andern ans einer Ebene vor dem Könige im Feuer
manövrirte, und als im vorigen Jahre das rohe Landvolk mancher Gegend auf-
stand, mit Knütteln und Furie gegen die gutsherrlichen Lasten und Zinsen loSzog,
und als ihm die Nationalversammlung, worin seine deputirten Kameraden saßen,
befahl, die Staatsabgaben nicht mehr zu entrichten, da hat es diese Steuern fort¬
bezahlt und seine Deputirten geprügelt; gewiß eine sehr rohe Anhänglichkeit an
den Staat, aber immerhin ein Zeichen, daß anch in den niedrigsten Kreisen des
Volks eine Stätte vorhanden ist, auf welcher nationale Begeisterung leicht in
Flammen aufschlägt. Und wer aus dem Schein unserer parlamentarischen Händel
auf ein Wanken des Thrones und Staates freudig geschlossen hat, auch der irrt
sich sehr. Wir sind als Ganzes kein liebenswürdiges Volk, und haben keine ge¬
fälligen Formen, wenn wir eifern und streiten, und jede neue Entwickelung ge¬
schieht bei uns nach erst vielem Geschrei und in scharfen Gegensätzen, die sich
heftig aneinander reiben, unsere Händel mit der Krone und untereinander werden
noch oft rauhe Form und gefährlichen Schein haben, sie finden doch stets ein
Gegengewicht in dem preußischen Enthusiasmus, der Jedem von uns in einem
Winkel des Herzens sitzt, und der Ueberzeugung, daß wir zusammenhalten müssen,
des Staates wegen. Es gibt Viele unter uns, welche die Könige nicht lieben,
und doch werdeu auch diese für die Idee der Hohenzollern und die Zukunft
Preußens kämpfen, wenn es zum Letzte» kommt, weil auf unsrer Seite
die Vernunft sein wird; ja, den radikalsten preußischen Demokraten kann
man sicher auf den Kopf zusage», daß sie dann auch noch sür Preußen
selbst, das sie jetzt so gern zerpflückten, Spieß und Harnisch mit Freu-
digkeit tragen werden, sie sind in der großen Mehrzahl gut preußisch, ohne
es selbst zu ahnen, anch weniger edle Naturen, als z. B. Ludwig Simon.
Und wenn der äußerste Fall einträte, denn wir nicht wünschen, aber mich nicht
fürchten, daß Preuße» seine Aufgabe die deutsche Vollkraft zu erwecken und zu
centralisiren, allein durchführen müßte mit Gewalt gegen Deutsche selbst und gegen
ihre fremden Verbündeten; wenn es so weit zum Letzte» käme, dann werden wir
unseren Willen durchsetzen gegen alle Verbündeten, ja gegen ganz Europa. Wir
sind gewöhnt uns mit der ganzen Welt herumzuschlagen und Alles zu wagen, um
Alles zu gewinnen. Und vielleicht ist anch das noch ein Unterschied zwischen
Preußen und seinen deutschen Gegnern; wir sind bereit, bis zum letzte» Blutstropfen
zu kämpfen für daS was wir wollen; denn wir haben ein Ziel, eine große Idee,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/222>, abgerufen am 23.12.2024.