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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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zuerkennen. Neben einander können die verschiedenen Lcmdcsstände und die Reichs-
stände -- beide noch dazu in doppelter Vertretung -- nicht bestehen. Es ist
der deutschen Nation zuviel zugemuthet, außer den schon bestehenden 76 Kam"
mern noch zwei große centralständische Körper zu versorgen. Wenigstens würde
dadurch dem Volke alle, productive Kraft entzogen werden. Einem Proviso¬
rium könnte der preußische Staat die eigne ständische Entwickelung nicht opfern.
Wohl aber läßt sich ein Centralausschuß der sämmtlichen deutscheu Einzelstände
neben einer ans den Abgeordneten der einzelnen Staaten zusammengesetzten Kam¬
mer denken, wobei die Executive und das Bundesdirectvrium dem König von
Preußen als solchem zukommt. Freilich wäre man dann "aus dem Regen in die
Traufe" gekommen, aus dem Erbkaiserthum in die preußische Hegemonie. Was
hilft es? Deutschland kann seinem Schicksale nicht entgehen.

Mit der demokratischen Spitze ist es aber nichts. Sie setzt als bereits be¬
stehend voraus, wohin das Erbkaiserthum erst strebt: die Mediatisirung nicht die¬
ses oder jenes, sondern aller Fürsten. In Zeiten einer unerwarteten Explosion
können die überraschten Monarchen wohl sich einem Parlament und dessen Dele-
girten unterwerfen, in Zeiten eines geordneten Rechtszustandes aber ist es nicht
möglich. Wer für die demokratische Spitze der Verfassung stimmt, ist Republikaner,
wenn er sich überhaupt etwas vorstellt.

Wenn also die sächsische Regierung über die Bildung der Centralgewalt irgend
welche Wünsche aussprechen wollte, so konnte es die demokratische Spitze unrer
keinen Umständen sein. Wie nun aber, wen" die Kammern auf ihrem Willen be¬
stehen? wenn die Regierung mit ihren Pflichten gegen die eigne ständische Vertre¬
tung einerseits und das Gesammtvaterland andrerseits in einen ernstlichen Conflict
geräth? Dies führt uns auf die Beantwortung der zweiten principiellen Frage.

Die unerwartet schnell vorübergegangene Ministerkrisis wurde von den beiden
Parteien, die einander gegenüberstehen, auf eine verschiedene Weise ausgelegt.
Die Conservativen waren überzeugt, mit den gegenwärtigen Kammern sei nicht
weiter zu regieren, und die Minister treten nur darum zurück, weil sie gegen die¬
selben Verbindlichkeiten eingegangen wären, und deshalb den unvermeidlichen Schritt
der Kammerauflösung einem neuen Ministerium von entschieden conservativer Fär¬
bung überlassen müßten. Die Radicalen dagegen suchten den Grund -- wenig¬
stens gaben sie eS vor -- in einem Conflict mit der Krone in Betreff der Publi¬
cation der Grundrechte. Es hieß, das Recht jeder nen sich bildenden Religions-
gescllschaft auf staatliche Anerkennung sei auf ernstliche Schwierigkeiten gestoßen,
und man sprach sogar von einem geheimen Zusammenhang mit Oestreich und
Preußen, wo die gleichen Bedenken eingetreten sein sollten. Dieser Annahme hat
das Ministerium in der Kammer ein förmliches Dementi gegeben, und so bleibt
uns nichts übrig, als auf die erste Eventualität zurückzugehn.

Gleich bei dem Beginn der Wahlen sagten wir es voraus, daß die sächsischen


zuerkennen. Neben einander können die verschiedenen Lcmdcsstände und die Reichs-
stände — beide noch dazu in doppelter Vertretung — nicht bestehen. Es ist
der deutschen Nation zuviel zugemuthet, außer den schon bestehenden 76 Kam"
mern noch zwei große centralständische Körper zu versorgen. Wenigstens würde
dadurch dem Volke alle, productive Kraft entzogen werden. Einem Proviso¬
rium könnte der preußische Staat die eigne ständische Entwickelung nicht opfern.
Wohl aber läßt sich ein Centralausschuß der sämmtlichen deutscheu Einzelstände
neben einer ans den Abgeordneten der einzelnen Staaten zusammengesetzten Kam¬
mer denken, wobei die Executive und das Bundesdirectvrium dem König von
Preußen als solchem zukommt. Freilich wäre man dann „aus dem Regen in die
Traufe" gekommen, aus dem Erbkaiserthum in die preußische Hegemonie. Was
hilft es? Deutschland kann seinem Schicksale nicht entgehen.

Mit der demokratischen Spitze ist es aber nichts. Sie setzt als bereits be¬
stehend voraus, wohin das Erbkaiserthum erst strebt: die Mediatisirung nicht die¬
ses oder jenes, sondern aller Fürsten. In Zeiten einer unerwarteten Explosion
können die überraschten Monarchen wohl sich einem Parlament und dessen Dele-
girten unterwerfen, in Zeiten eines geordneten Rechtszustandes aber ist es nicht
möglich. Wer für die demokratische Spitze der Verfassung stimmt, ist Republikaner,
wenn er sich überhaupt etwas vorstellt.

Wenn also die sächsische Regierung über die Bildung der Centralgewalt irgend
welche Wünsche aussprechen wollte, so konnte es die demokratische Spitze unrer
keinen Umständen sein. Wie nun aber, wen» die Kammern auf ihrem Willen be¬
stehen? wenn die Regierung mit ihren Pflichten gegen die eigne ständische Vertre¬
tung einerseits und das Gesammtvaterland andrerseits in einen ernstlichen Conflict
geräth? Dies führt uns auf die Beantwortung der zweiten principiellen Frage.

Die unerwartet schnell vorübergegangene Ministerkrisis wurde von den beiden
Parteien, die einander gegenüberstehen, auf eine verschiedene Weise ausgelegt.
Die Conservativen waren überzeugt, mit den gegenwärtigen Kammern sei nicht
weiter zu regieren, und die Minister treten nur darum zurück, weil sie gegen die¬
selben Verbindlichkeiten eingegangen wären, und deshalb den unvermeidlichen Schritt
der Kammerauflösung einem neuen Ministerium von entschieden conservativer Fär¬
bung überlassen müßten. Die Radicalen dagegen suchten den Grund — wenig¬
stens gaben sie eS vor — in einem Conflict mit der Krone in Betreff der Publi¬
cation der Grundrechte. Es hieß, das Recht jeder nen sich bildenden Religions-
gescllschaft auf staatliche Anerkennung sei auf ernstliche Schwierigkeiten gestoßen,
und man sprach sogar von einem geheimen Zusammenhang mit Oestreich und
Preußen, wo die gleichen Bedenken eingetreten sein sollten. Dieser Annahme hat
das Ministerium in der Kammer ein förmliches Dementi gegeben, und so bleibt
uns nichts übrig, als auf die erste Eventualität zurückzugehn.

Gleich bei dem Beginn der Wahlen sagten wir es voraus, daß die sächsischen


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[0212] zuerkennen. Neben einander können die verschiedenen Lcmdcsstände und die Reichs- stände — beide noch dazu in doppelter Vertretung — nicht bestehen. Es ist der deutschen Nation zuviel zugemuthet, außer den schon bestehenden 76 Kam" mern noch zwei große centralständische Körper zu versorgen. Wenigstens würde dadurch dem Volke alle, productive Kraft entzogen werden. Einem Proviso¬ rium könnte der preußische Staat die eigne ständische Entwickelung nicht opfern. Wohl aber läßt sich ein Centralausschuß der sämmtlichen deutscheu Einzelstände neben einer ans den Abgeordneten der einzelnen Staaten zusammengesetzten Kam¬ mer denken, wobei die Executive und das Bundesdirectvrium dem König von Preußen als solchem zukommt. Freilich wäre man dann „aus dem Regen in die Traufe" gekommen, aus dem Erbkaiserthum in die preußische Hegemonie. Was hilft es? Deutschland kann seinem Schicksale nicht entgehen. Mit der demokratischen Spitze ist es aber nichts. Sie setzt als bereits be¬ stehend voraus, wohin das Erbkaiserthum erst strebt: die Mediatisirung nicht die¬ ses oder jenes, sondern aller Fürsten. In Zeiten einer unerwarteten Explosion können die überraschten Monarchen wohl sich einem Parlament und dessen Dele- girten unterwerfen, in Zeiten eines geordneten Rechtszustandes aber ist es nicht möglich. Wer für die demokratische Spitze der Verfassung stimmt, ist Republikaner, wenn er sich überhaupt etwas vorstellt. Wenn also die sächsische Regierung über die Bildung der Centralgewalt irgend welche Wünsche aussprechen wollte, so konnte es die demokratische Spitze unrer keinen Umständen sein. Wie nun aber, wen» die Kammern auf ihrem Willen be¬ stehen? wenn die Regierung mit ihren Pflichten gegen die eigne ständische Vertre¬ tung einerseits und das Gesammtvaterland andrerseits in einen ernstlichen Conflict geräth? Dies führt uns auf die Beantwortung der zweiten principiellen Frage. Die unerwartet schnell vorübergegangene Ministerkrisis wurde von den beiden Parteien, die einander gegenüberstehen, auf eine verschiedene Weise ausgelegt. Die Conservativen waren überzeugt, mit den gegenwärtigen Kammern sei nicht weiter zu regieren, und die Minister treten nur darum zurück, weil sie gegen die¬ selben Verbindlichkeiten eingegangen wären, und deshalb den unvermeidlichen Schritt der Kammerauflösung einem neuen Ministerium von entschieden conservativer Fär¬ bung überlassen müßten. Die Radicalen dagegen suchten den Grund — wenig¬ stens gaben sie eS vor — in einem Conflict mit der Krone in Betreff der Publi¬ cation der Grundrechte. Es hieß, das Recht jeder nen sich bildenden Religions- gescllschaft auf staatliche Anerkennung sei auf ernstliche Schwierigkeiten gestoßen, und man sprach sogar von einem geheimen Zusammenhang mit Oestreich und Preußen, wo die gleichen Bedenken eingetreten sein sollten. Dieser Annahme hat das Ministerium in der Kammer ein förmliches Dementi gegeben, und so bleibt uns nichts übrig, als auf die erste Eventualität zurückzugehn. Gleich bei dem Beginn der Wahlen sagten wir es voraus, daß die sächsischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/212>, abgerufen am 23.07.2024.