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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Eventualität hin ihre Theilnahme zugesagt, oder sie haben, wie eS bei den thü¬
ringischen Herzogen der Fall ist, sich geradezu für Übertragung der Centralgewalt
an die Krone Preußen ausgesprochen. Von Sachsen meldeten vor einiger Zeit
die öffentlichen Blätter etwas Aehnliches, und die Kammern nahmen davon Ver¬
anlassung, sich der Regierung gegenüber auszusprechen.

Es ist bei dieser Debatte aufs Neue der gemeine Preußenhaß zum Vorschein
gekommen, der in den untern Schichten des sächsischen Volkes grassirt, und außer¬
dem ein Mangel an Verstand und an Bildung, über den, wie Herr v. Pfordten
sehr zart sich ausdrückt, die Feinde des Vaterlandes nicht trauern werden. Die
Kammern haben der Negierung zugemuthet, sich gegen die Erbkaiscrwürde, na¬
mentlich gegen die Uebertragung derselben an eine bestehende Macht zu erklären,
und sie waren selbst nicht abgeneigt, die "demokratische Spitze" der Verfassung
als wescmliche Bedingung für den Eintritt Sachsens in das neue Reich aufzustellen.

Die Negierung hat unter solchen Umständen jede bestimmte Erklärung ver-
weigert. Sie konnte nicht anders; entweder mußte sie im Einverständniß mit den
Kammern etwas Unvernünftiges verlangen, oder sie mußten sich im Gegensatz zu
den ständischen Vertretern des Volkes setzen. Beides durfte sie nicht, es blieb ihr
also nichts übrig, als abzuwarten.

ES ist hier der Ort, meine eigne Ansicht über den Erbkaiser und die demo¬
kratische Spitze auszusprechen. Ich werde das offen und unumwunden thun und
freue mich, im Wesentlichen mit der bereits angeführten preußischen Circularnote
des Herrn v. Bülow einverstanden zu sein, wenn der Diplomat auch andere Aus¬
drücke gebrauchen muß, als der Journalist.

Wenn der Entwurf -- ein Erbkaiser an der Spitze, zwei Kammern ihm zur
Seite -- die Folge haben könnte, welche auch nur in's Auge zu fassen die Antrag¬
steller kaum deu Muth haben, so sehr verstecken sie sich hinter ein "Staatcnhanö,"
einen "Reichsrath" und dergleichen -- die Folge, die einzelnen deutschen Staaten
ganz und gar aufzuheben, wenn nicht unmittelbar, doch in dem Lauf der na¬
türlichen Entwickelung -- so würde ich mich aus allen Kräften dafür erklären.
Die stille Hoffnung mag wohl manche leiten, die dem Entwurf beigestimmt ha¬
ben; allein es ist eine Illusion; die "Tragweite" der Verfassung reicht nicht bis
dahin. Eine Wiederherstellung des alten Feudalstaats aber wäre eine Monstro¬
sität, was auch unsere Pedanten über die schöne Einheit der particulmen Eigen¬
thümlichkeit und der Centralisation faseln mögen. Die neue Kaiserwürde wird
entweder ohnmächtig sein, wie zu den Zeiten der habsburgischen Dynastie, oder
es wird ein ewiger Krieg der Interessen daraus hervorgehen, in welchem die Beute
dem Radicalismus zufällt.

Kann man aber die einzelnen Staaten -- die souveränen Fürsten mit sammt
ihren Ständen -- nicht aufheben, so. entschließe man sich dazu, sie aufrichtig an-


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Eventualität hin ihre Theilnahme zugesagt, oder sie haben, wie eS bei den thü¬
ringischen Herzogen der Fall ist, sich geradezu für Übertragung der Centralgewalt
an die Krone Preußen ausgesprochen. Von Sachsen meldeten vor einiger Zeit
die öffentlichen Blätter etwas Aehnliches, und die Kammern nahmen davon Ver¬
anlassung, sich der Regierung gegenüber auszusprechen.

Es ist bei dieser Debatte aufs Neue der gemeine Preußenhaß zum Vorschein
gekommen, der in den untern Schichten des sächsischen Volkes grassirt, und außer¬
dem ein Mangel an Verstand und an Bildung, über den, wie Herr v. Pfordten
sehr zart sich ausdrückt, die Feinde des Vaterlandes nicht trauern werden. Die
Kammern haben der Negierung zugemuthet, sich gegen die Erbkaiscrwürde, na¬
mentlich gegen die Uebertragung derselben an eine bestehende Macht zu erklären,
und sie waren selbst nicht abgeneigt, die „demokratische Spitze" der Verfassung
als wescmliche Bedingung für den Eintritt Sachsens in das neue Reich aufzustellen.

Die Negierung hat unter solchen Umständen jede bestimmte Erklärung ver-
weigert. Sie konnte nicht anders; entweder mußte sie im Einverständniß mit den
Kammern etwas Unvernünftiges verlangen, oder sie mußten sich im Gegensatz zu
den ständischen Vertretern des Volkes setzen. Beides durfte sie nicht, es blieb ihr
also nichts übrig, als abzuwarten.

ES ist hier der Ort, meine eigne Ansicht über den Erbkaiser und die demo¬
kratische Spitze auszusprechen. Ich werde das offen und unumwunden thun und
freue mich, im Wesentlichen mit der bereits angeführten preußischen Circularnote
des Herrn v. Bülow einverstanden zu sein, wenn der Diplomat auch andere Aus¬
drücke gebrauchen muß, als der Journalist.

Wenn der Entwurf — ein Erbkaiser an der Spitze, zwei Kammern ihm zur
Seite — die Folge haben könnte, welche auch nur in's Auge zu fassen die Antrag¬
steller kaum deu Muth haben, so sehr verstecken sie sich hinter ein „Staatcnhanö,"
einen „Reichsrath" und dergleichen — die Folge, die einzelnen deutschen Staaten
ganz und gar aufzuheben, wenn nicht unmittelbar, doch in dem Lauf der na¬
türlichen Entwickelung — so würde ich mich aus allen Kräften dafür erklären.
Die stille Hoffnung mag wohl manche leiten, die dem Entwurf beigestimmt ha¬
ben; allein es ist eine Illusion; die „Tragweite" der Verfassung reicht nicht bis
dahin. Eine Wiederherstellung des alten Feudalstaats aber wäre eine Monstro¬
sität, was auch unsere Pedanten über die schöne Einheit der particulmen Eigen¬
thümlichkeit und der Centralisation faseln mögen. Die neue Kaiserwürde wird
entweder ohnmächtig sein, wie zu den Zeiten der habsburgischen Dynastie, oder
es wird ein ewiger Krieg der Interessen daraus hervorgehen, in welchem die Beute
dem Radicalismus zufällt.

Kann man aber die einzelnen Staaten — die souveränen Fürsten mit sammt
ihren Ständen -- nicht aufheben, so. entschließe man sich dazu, sie aufrichtig an-


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[0211] Eventualität hin ihre Theilnahme zugesagt, oder sie haben, wie eS bei den thü¬ ringischen Herzogen der Fall ist, sich geradezu für Übertragung der Centralgewalt an die Krone Preußen ausgesprochen. Von Sachsen meldeten vor einiger Zeit die öffentlichen Blätter etwas Aehnliches, und die Kammern nahmen davon Ver¬ anlassung, sich der Regierung gegenüber auszusprechen. Es ist bei dieser Debatte aufs Neue der gemeine Preußenhaß zum Vorschein gekommen, der in den untern Schichten des sächsischen Volkes grassirt, und außer¬ dem ein Mangel an Verstand und an Bildung, über den, wie Herr v. Pfordten sehr zart sich ausdrückt, die Feinde des Vaterlandes nicht trauern werden. Die Kammern haben der Negierung zugemuthet, sich gegen die Erbkaiscrwürde, na¬ mentlich gegen die Uebertragung derselben an eine bestehende Macht zu erklären, und sie waren selbst nicht abgeneigt, die „demokratische Spitze" der Verfassung als wescmliche Bedingung für den Eintritt Sachsens in das neue Reich aufzustellen. Die Negierung hat unter solchen Umständen jede bestimmte Erklärung ver- weigert. Sie konnte nicht anders; entweder mußte sie im Einverständniß mit den Kammern etwas Unvernünftiges verlangen, oder sie mußten sich im Gegensatz zu den ständischen Vertretern des Volkes setzen. Beides durfte sie nicht, es blieb ihr also nichts übrig, als abzuwarten. ES ist hier der Ort, meine eigne Ansicht über den Erbkaiser und die demo¬ kratische Spitze auszusprechen. Ich werde das offen und unumwunden thun und freue mich, im Wesentlichen mit der bereits angeführten preußischen Circularnote des Herrn v. Bülow einverstanden zu sein, wenn der Diplomat auch andere Aus¬ drücke gebrauchen muß, als der Journalist. Wenn der Entwurf — ein Erbkaiser an der Spitze, zwei Kammern ihm zur Seite — die Folge haben könnte, welche auch nur in's Auge zu fassen die Antrag¬ steller kaum deu Muth haben, so sehr verstecken sie sich hinter ein „Staatcnhanö," einen „Reichsrath" und dergleichen — die Folge, die einzelnen deutschen Staaten ganz und gar aufzuheben, wenn nicht unmittelbar, doch in dem Lauf der na¬ türlichen Entwickelung — so würde ich mich aus allen Kräften dafür erklären. Die stille Hoffnung mag wohl manche leiten, die dem Entwurf beigestimmt ha¬ ben; allein es ist eine Illusion; die „Tragweite" der Verfassung reicht nicht bis dahin. Eine Wiederherstellung des alten Feudalstaats aber wäre eine Monstro¬ sität, was auch unsere Pedanten über die schöne Einheit der particulmen Eigen¬ thümlichkeit und der Centralisation faseln mögen. Die neue Kaiserwürde wird entweder ohnmächtig sein, wie zu den Zeiten der habsburgischen Dynastie, oder es wird ein ewiger Krieg der Interessen daraus hervorgehen, in welchem die Beute dem Radicalismus zufällt. Kann man aber die einzelnen Staaten — die souveränen Fürsten mit sammt ihren Ständen -- nicht aufheben, so. entschließe man sich dazu, sie aufrichtig an- Z6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/211>, abgerufen am 23.07.2024.