Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Aegypten gegen seinen Lehnsherrn und das vereinigte Europa in Schutz nehmen;
wenn es sich aber für den Augenblick um kein Schauspiel der ^r-into politiyu";
handelte, so genügte die Kokosnußfahne der Königin Pomare in Otaheiti, die
Löwen der großen Nation gegen Alles, was nicht das Glück gehabt, in Paris
erzogen zu sein, in Harnisch zu bringen. An ihre Spitze stellten sich finanzielle
Schwindler, die mit ihren Kriegsdemonstrationen " I" b-uffe spekulirten, wie Herr
Thiers, der talentvollste Staatsmann und der ausgemachteste Eharlatan des heu¬
tigen Frankreich. Er war liberaler als seine Mitbewerber, er erschien in den
Salons des aristokratisch gesinnten Herzogs von Nemours -- der Einzige -- in
schwarzen Pantalons; er hatte in seiner Geschichte der Revolution die populären
Figuren des Convents, die Männer mit der breiten Brust, kräftigen Armen und
laxen Grundsätzen, mit Vorliebe behandelt; die bornirten Idealisten mit dem
Achselzucken souveräner Ironie abgefertigt; er hatte es daher auch nicht verschmäht,
sich den Umständen anzupassen und als Minister jene Septembergesetze gegen die
Presse zu erlassen, die das Stichwort der neuen Opposition wurden, wie die
Ordonnanzen die der alten. Noch nie war die Geschichte mit einer solchen Frivo¬
lität gemacht worden, als im Jahr 1840 unter seinem Ministerium; noch nie hat
sich ein abtretender Staatsmann mit solcher Grazie dem Ridicul unterzogen. --
Thiers gehörte nicht seinen Principien, wohl aber seinem Charakter nach wesentlich
zur officiellen Opposition; er hätte keinen Augenblick Anstand genommen, sich dieser
oder jener Partei zu verkaufen, die ihn gerade an's Nuder gebracht hätte, wie er
es heute mit dem kaiserlichen Hanswurst gethan; aber die beständige Unruhe seines
Geistes entfremdete ihn der specifisch conservativen Partei, die den Frieden und
den Stillstand um jeden Preis wollte.

Die Opposition zählte wenig Staatsmänner unter sich, obgleich ihnen, wenn
sie zur Regierung gekommen wären, das allen Franzosen angeborne Talent, rasch,
flüchtig und geistreich zu organisiren, gewiß nicht gefehlt haben würde. Desto
reicher war sie an Rednern. Sie wußten ihre Advokatenkünste mit großem Erfolg
in der Kammer zu verwerthen, und man muß gestehn, daß ihre Stoffe der ora-
torischen Behandlung bei weitem günstiger waren: Freiheit allen Völkern, Ehre,
große Nation, Haß gegen die brittischen Krämerseelen, Rheingrenze, Preßfreiheit
u. s. w. Sie waren in religiösen Dingen entschieden liberal; Coustitutiouel und
Siecle tischten ihrem Publikum, den Epiciers, Schandergeschichten von den Jesuiten
auf -- Eugen Sue machte in dieser Branche in dem Feuilleton des ersten Blattes
viel Glück -- sie vertheidigten die Universität, welche der modernen Frömmigkeit
gegenüber den klassischen Geist Voltaire's und der Encyclopädisten vertrat; sie
waren in allen Fragen practisch, d. h. principlos, sie urtheilten als echte Franzosen
überall nach der Convenance; sie machten unbefangen krumm, was gerade war,
wenn sie nur eine zierliche Wendung herausdrechseln konnten. Sie waren Phra-
seurs in dieses Worts verwegenster Bedeutung, aber liebenswürdige Plauderer;


Aegypten gegen seinen Lehnsherrn und das vereinigte Europa in Schutz nehmen;
wenn es sich aber für den Augenblick um kein Schauspiel der ^r-into politiyu«;
handelte, so genügte die Kokosnußfahne der Königin Pomare in Otaheiti, die
Löwen der großen Nation gegen Alles, was nicht das Glück gehabt, in Paris
erzogen zu sein, in Harnisch zu bringen. An ihre Spitze stellten sich finanzielle
Schwindler, die mit ihren Kriegsdemonstrationen » I" b-uffe spekulirten, wie Herr
Thiers, der talentvollste Staatsmann und der ausgemachteste Eharlatan des heu¬
tigen Frankreich. Er war liberaler als seine Mitbewerber, er erschien in den
Salons des aristokratisch gesinnten Herzogs von Nemours — der Einzige — in
schwarzen Pantalons; er hatte in seiner Geschichte der Revolution die populären
Figuren des Convents, die Männer mit der breiten Brust, kräftigen Armen und
laxen Grundsätzen, mit Vorliebe behandelt; die bornirten Idealisten mit dem
Achselzucken souveräner Ironie abgefertigt; er hatte es daher auch nicht verschmäht,
sich den Umständen anzupassen und als Minister jene Septembergesetze gegen die
Presse zu erlassen, die das Stichwort der neuen Opposition wurden, wie die
Ordonnanzen die der alten. Noch nie war die Geschichte mit einer solchen Frivo¬
lität gemacht worden, als im Jahr 1840 unter seinem Ministerium; noch nie hat
sich ein abtretender Staatsmann mit solcher Grazie dem Ridicul unterzogen. —
Thiers gehörte nicht seinen Principien, wohl aber seinem Charakter nach wesentlich
zur officiellen Opposition; er hätte keinen Augenblick Anstand genommen, sich dieser
oder jener Partei zu verkaufen, die ihn gerade an's Nuder gebracht hätte, wie er
es heute mit dem kaiserlichen Hanswurst gethan; aber die beständige Unruhe seines
Geistes entfremdete ihn der specifisch conservativen Partei, die den Frieden und
den Stillstand um jeden Preis wollte.

Die Opposition zählte wenig Staatsmänner unter sich, obgleich ihnen, wenn
sie zur Regierung gekommen wären, das allen Franzosen angeborne Talent, rasch,
flüchtig und geistreich zu organisiren, gewiß nicht gefehlt haben würde. Desto
reicher war sie an Rednern. Sie wußten ihre Advokatenkünste mit großem Erfolg
in der Kammer zu verwerthen, und man muß gestehn, daß ihre Stoffe der ora-
torischen Behandlung bei weitem günstiger waren: Freiheit allen Völkern, Ehre,
große Nation, Haß gegen die brittischen Krämerseelen, Rheingrenze, Preßfreiheit
u. s. w. Sie waren in religiösen Dingen entschieden liberal; Coustitutiouel und
Siecle tischten ihrem Publikum, den Epiciers, Schandergeschichten von den Jesuiten
auf — Eugen Sue machte in dieser Branche in dem Feuilleton des ersten Blattes
viel Glück — sie vertheidigten die Universität, welche der modernen Frömmigkeit
gegenüber den klassischen Geist Voltaire's und der Encyclopädisten vertrat; sie
waren in allen Fragen practisch, d. h. principlos, sie urtheilten als echte Franzosen
überall nach der Convenance; sie machten unbefangen krumm, was gerade war,
wenn sie nur eine zierliche Wendung herausdrechseln konnten. Sie waren Phra-
seurs in dieses Worts verwegenster Bedeutung, aber liebenswürdige Plauderer;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278008"/>
            <p xml:id="ID_52" prev="#ID_51"> Aegypten gegen seinen Lehnsherrn und das vereinigte Europa in Schutz nehmen;<lb/>
wenn es sich aber für den Augenblick um kein Schauspiel der ^r-into politiyu«;<lb/>
handelte, so genügte die Kokosnußfahne der Königin Pomare in Otaheiti, die<lb/>
Löwen der großen Nation gegen Alles, was nicht das Glück gehabt, in Paris<lb/>
erzogen zu sein, in Harnisch zu bringen. An ihre Spitze stellten sich finanzielle<lb/>
Schwindler, die mit ihren Kriegsdemonstrationen » I" b-uffe spekulirten, wie Herr<lb/>
Thiers, der talentvollste Staatsmann und der ausgemachteste Eharlatan des heu¬<lb/>
tigen Frankreich. Er war liberaler als seine Mitbewerber, er erschien in den<lb/>
Salons des aristokratisch gesinnten Herzogs von Nemours &#x2014; der Einzige &#x2014; in<lb/>
schwarzen Pantalons; er hatte in seiner Geschichte der Revolution die populären<lb/>
Figuren des Convents, die Männer mit der breiten Brust, kräftigen Armen und<lb/>
laxen Grundsätzen, mit Vorliebe behandelt; die bornirten Idealisten mit dem<lb/>
Achselzucken souveräner Ironie abgefertigt; er hatte es daher auch nicht verschmäht,<lb/>
sich den Umständen anzupassen und als Minister jene Septembergesetze gegen die<lb/>
Presse zu erlassen, die das Stichwort der neuen Opposition wurden, wie die<lb/>
Ordonnanzen die der alten. Noch nie war die Geschichte mit einer solchen Frivo¬<lb/>
lität gemacht worden, als im Jahr 1840 unter seinem Ministerium; noch nie hat<lb/>
sich ein abtretender Staatsmann mit solcher Grazie dem Ridicul unterzogen. &#x2014;<lb/>
Thiers gehörte nicht seinen Principien, wohl aber seinem Charakter nach wesentlich<lb/>
zur officiellen Opposition; er hätte keinen Augenblick Anstand genommen, sich dieser<lb/>
oder jener Partei zu verkaufen, die ihn gerade an's Nuder gebracht hätte, wie er<lb/>
es heute mit dem kaiserlichen Hanswurst gethan; aber die beständige Unruhe seines<lb/>
Geistes entfremdete ihn der specifisch conservativen Partei, die den Frieden und<lb/>
den Stillstand um jeden Preis wollte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_53" next="#ID_54"> Die Opposition zählte wenig Staatsmänner unter sich, obgleich ihnen, wenn<lb/>
sie zur Regierung gekommen wären, das allen Franzosen angeborne Talent, rasch,<lb/>
flüchtig und geistreich zu organisiren, gewiß nicht gefehlt haben würde. Desto<lb/>
reicher war sie an Rednern. Sie wußten ihre Advokatenkünste mit großem Erfolg<lb/>
in der Kammer zu verwerthen, und man muß gestehn, daß ihre Stoffe der ora-<lb/>
torischen Behandlung bei weitem günstiger waren: Freiheit allen Völkern, Ehre,<lb/>
große Nation, Haß gegen die brittischen Krämerseelen, Rheingrenze, Preßfreiheit<lb/>
u. s. w. Sie waren in religiösen Dingen entschieden liberal; Coustitutiouel und<lb/>
Siecle tischten ihrem Publikum, den Epiciers, Schandergeschichten von den Jesuiten<lb/>
auf &#x2014; Eugen Sue machte in dieser Branche in dem Feuilleton des ersten Blattes<lb/>
viel Glück &#x2014; sie vertheidigten die Universität, welche der modernen Frömmigkeit<lb/>
gegenüber den klassischen Geist Voltaire's und der Encyclopädisten vertrat; sie<lb/>
waren in allen Fragen practisch, d. h. principlos, sie urtheilten als echte Franzosen<lb/>
überall nach der Convenance; sie machten unbefangen krumm, was gerade war,<lb/>
wenn sie nur eine zierliche Wendung herausdrechseln konnten. Sie waren Phra-<lb/>
seurs in dieses Worts verwegenster Bedeutung, aber liebenswürdige Plauderer;</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0020] Aegypten gegen seinen Lehnsherrn und das vereinigte Europa in Schutz nehmen; wenn es sich aber für den Augenblick um kein Schauspiel der ^r-into politiyu«; handelte, so genügte die Kokosnußfahne der Königin Pomare in Otaheiti, die Löwen der großen Nation gegen Alles, was nicht das Glück gehabt, in Paris erzogen zu sein, in Harnisch zu bringen. An ihre Spitze stellten sich finanzielle Schwindler, die mit ihren Kriegsdemonstrationen » I" b-uffe spekulirten, wie Herr Thiers, der talentvollste Staatsmann und der ausgemachteste Eharlatan des heu¬ tigen Frankreich. Er war liberaler als seine Mitbewerber, er erschien in den Salons des aristokratisch gesinnten Herzogs von Nemours — der Einzige — in schwarzen Pantalons; er hatte in seiner Geschichte der Revolution die populären Figuren des Convents, die Männer mit der breiten Brust, kräftigen Armen und laxen Grundsätzen, mit Vorliebe behandelt; die bornirten Idealisten mit dem Achselzucken souveräner Ironie abgefertigt; er hatte es daher auch nicht verschmäht, sich den Umständen anzupassen und als Minister jene Septembergesetze gegen die Presse zu erlassen, die das Stichwort der neuen Opposition wurden, wie die Ordonnanzen die der alten. Noch nie war die Geschichte mit einer solchen Frivo¬ lität gemacht worden, als im Jahr 1840 unter seinem Ministerium; noch nie hat sich ein abtretender Staatsmann mit solcher Grazie dem Ridicul unterzogen. — Thiers gehörte nicht seinen Principien, wohl aber seinem Charakter nach wesentlich zur officiellen Opposition; er hätte keinen Augenblick Anstand genommen, sich dieser oder jener Partei zu verkaufen, die ihn gerade an's Nuder gebracht hätte, wie er es heute mit dem kaiserlichen Hanswurst gethan; aber die beständige Unruhe seines Geistes entfremdete ihn der specifisch conservativen Partei, die den Frieden und den Stillstand um jeden Preis wollte. Die Opposition zählte wenig Staatsmänner unter sich, obgleich ihnen, wenn sie zur Regierung gekommen wären, das allen Franzosen angeborne Talent, rasch, flüchtig und geistreich zu organisiren, gewiß nicht gefehlt haben würde. Desto reicher war sie an Rednern. Sie wußten ihre Advokatenkünste mit großem Erfolg in der Kammer zu verwerthen, und man muß gestehn, daß ihre Stoffe der ora- torischen Behandlung bei weitem günstiger waren: Freiheit allen Völkern, Ehre, große Nation, Haß gegen die brittischen Krämerseelen, Rheingrenze, Preßfreiheit u. s. w. Sie waren in religiösen Dingen entschieden liberal; Coustitutiouel und Siecle tischten ihrem Publikum, den Epiciers, Schandergeschichten von den Jesuiten auf — Eugen Sue machte in dieser Branche in dem Feuilleton des ersten Blattes viel Glück — sie vertheidigten die Universität, welche der modernen Frömmigkeit gegenüber den klassischen Geist Voltaire's und der Encyclopädisten vertrat; sie waren in allen Fragen practisch, d. h. principlos, sie urtheilten als echte Franzosen überall nach der Convenance; sie machten unbefangen krumm, was gerade war, wenn sie nur eine zierliche Wendung herausdrechseln konnten. Sie waren Phra- seurs in dieses Worts verwegenster Bedeutung, aber liebenswürdige Plauderer;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/20
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/20>, abgerufen am 23.07.2024.