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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Bescheidenheit wundersam in einander verschmolzen. Die glänzende Versammlung
schien Bedenken über seine Befähigung in ihm hervorzurufen, er mochte bei sich
erwägen, ob er auch nicht von seiner eignen Partei überschätzt worden sei und
beschloß daher, alle zu großen Erwartungen sofort abzuschneiden, kläglich erwä¬
gend, daß diese auch einem Cicero mir schaden können. Unter vielfachen Verwechs?
lungen von "mir" und "mich" begann er deshalb in ächtem Dialekte also: "Meine
Herren! ich wollte eigentlich von Politik nicht sprechen, denn w'rum? ich hab'
mich nie darum bekümmert." Demosthenes hätte sich uicht geschickter aus der Falle
ziehen können, wie wenig er nach dieser Einleitung auch leisten mochte, man mußte
immer zugeben, daß er die Hoffnungen, die er erregt, noch übertreffen habe.
"Doch" -- fuhr er fort -- "Ihr Vertrauen hat mich an diese Stelle berufen:
darum will ich Ihnen meine Ansicht über die Verfassung sagen." Der Würdige
suchte nun in sämmtlichen Taschen nach derselben: es fand sich, daß er sie ver¬
gessen. Man händigte ihm ein Exemplar ein. Nunmehr begann das Suchen nach
der Brille, sie war, wo die Verfassung war, obwohl der Redner versicherte, sich
beides zu Hause sorgfältig und ordentlich zurecht gelegt zu haben. Nachdem er
auch dies Instrument erhalten, begann er die einzelne" Paragraphen der Consti-
tution durchzugehen; endlich gelangte er zu den vielbesprochenen Artikel, der dem Ka¬
binet eine unumschränkte interimistische Gesetzgebung zusichert. "MeineHerren!" meinte
er, "das ist so schreckhaft nicht; die Kammern kommen ja immer bald wieder zusammen."
"Wenn nun aber in der Zwischenzeit ein paar hundert Köpfe gefallen sind, wer
setzt die wieder auf?" interpellirte der Sattlermeister. -- "Meine Herren! dadru-
ser will ich nicht antworten: denn w'rum? wenn meiner mit dabei ist, denn ist'S
zu Ende, und wenn das nicht ist, dann versteh' ich's nicht!" -- Dieser prächtige
Schlußwitz riß das Auditorium vollständig hin, der Mann ward sogleich auf die
Candidatenliste gesetzt und hat dem Anschein nach alle Aussicht, zum Wähler er¬
nannt zu werden. Ein Gleiches kann ich von meinem Freunde, dem Barbier, lei¬
der nicht berichten. Als in der letzten Sitzung der Bezirksvorsteher die aufgestell¬
ten Kandidaten verlas und seine Freude darüber ausdrückte, daß Leute aus allen
Ständen zu Wahlmännern vorgeschlagen wären, da reckte der ehrliche Bursche noch
einmal sein Haupt empor mit den Worten: S' ist ja aber kein Barbier dermang!"

Der vorwaltende Grad von Bildung ward von den gelehrten Herren in der
Versammlung denn auch gelegentlich benutzt, um allerlei Bedenklichkeiten lirev! manu
zu beseitigen. So versicherte unser Geheimerath, die n,!tA"a cliana sei in Eng¬
land ebenfalls zwei Kammern zur Annahme vorgelegt worden und fand vollstän¬
digen Glauben. Im Ganzen ging es übrigens in den Sitzungen ruhiger und
anständiger her, als in unserer Constituante, nur ein Nehberger machte uns viel
zu schaffen, der durchaus auf Entfernung des Militärs bestand, bis man ihm
begreiflich machte, der Obrist sei ebenfalls über 24 Jahre alt. Am Schlüsse einer
Versammlung gerieth ein Artillerielieutenant mit einigen der geachtetsten Bürger


Bescheidenheit wundersam in einander verschmolzen. Die glänzende Versammlung
schien Bedenken über seine Befähigung in ihm hervorzurufen, er mochte bei sich
erwägen, ob er auch nicht von seiner eignen Partei überschätzt worden sei und
beschloß daher, alle zu großen Erwartungen sofort abzuschneiden, kläglich erwä¬
gend, daß diese auch einem Cicero mir schaden können. Unter vielfachen Verwechs?
lungen von „mir" und „mich" begann er deshalb in ächtem Dialekte also: „Meine
Herren! ich wollte eigentlich von Politik nicht sprechen, denn w'rum? ich hab'
mich nie darum bekümmert." Demosthenes hätte sich uicht geschickter aus der Falle
ziehen können, wie wenig er nach dieser Einleitung auch leisten mochte, man mußte
immer zugeben, daß er die Hoffnungen, die er erregt, noch übertreffen habe.
„Doch" — fuhr er fort — „Ihr Vertrauen hat mich an diese Stelle berufen:
darum will ich Ihnen meine Ansicht über die Verfassung sagen." Der Würdige
suchte nun in sämmtlichen Taschen nach derselben: es fand sich, daß er sie ver¬
gessen. Man händigte ihm ein Exemplar ein. Nunmehr begann das Suchen nach
der Brille, sie war, wo die Verfassung war, obwohl der Redner versicherte, sich
beides zu Hause sorgfältig und ordentlich zurecht gelegt zu haben. Nachdem er
auch dies Instrument erhalten, begann er die einzelne» Paragraphen der Consti-
tution durchzugehen; endlich gelangte er zu den vielbesprochenen Artikel, der dem Ka¬
binet eine unumschränkte interimistische Gesetzgebung zusichert. „MeineHerren!" meinte
er, „das ist so schreckhaft nicht; die Kammern kommen ja immer bald wieder zusammen."
„Wenn nun aber in der Zwischenzeit ein paar hundert Köpfe gefallen sind, wer
setzt die wieder auf?" interpellirte der Sattlermeister. — „Meine Herren! dadru-
ser will ich nicht antworten: denn w'rum? wenn meiner mit dabei ist, denn ist'S
zu Ende, und wenn das nicht ist, dann versteh' ich's nicht!" — Dieser prächtige
Schlußwitz riß das Auditorium vollständig hin, der Mann ward sogleich auf die
Candidatenliste gesetzt und hat dem Anschein nach alle Aussicht, zum Wähler er¬
nannt zu werden. Ein Gleiches kann ich von meinem Freunde, dem Barbier, lei¬
der nicht berichten. Als in der letzten Sitzung der Bezirksvorsteher die aufgestell¬
ten Kandidaten verlas und seine Freude darüber ausdrückte, daß Leute aus allen
Ständen zu Wahlmännern vorgeschlagen wären, da reckte der ehrliche Bursche noch
einmal sein Haupt empor mit den Worten: S' ist ja aber kein Barbier dermang!"

Der vorwaltende Grad von Bildung ward von den gelehrten Herren in der
Versammlung denn auch gelegentlich benutzt, um allerlei Bedenklichkeiten lirev! manu
zu beseitigen. So versicherte unser Geheimerath, die n,!tA»a cliana sei in Eng¬
land ebenfalls zwei Kammern zur Annahme vorgelegt worden und fand vollstän¬
digen Glauben. Im Ganzen ging es übrigens in den Sitzungen ruhiger und
anständiger her, als in unserer Constituante, nur ein Nehberger machte uns viel
zu schaffen, der durchaus auf Entfernung des Militärs bestand, bis man ihm
begreiflich machte, der Obrist sei ebenfalls über 24 Jahre alt. Am Schlüsse einer
Versammlung gerieth ein Artillerielieutenant mit einigen der geachtetsten Bürger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/199>, abgerufen am 27.07.2024.