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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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werden wieder sagen können: Handwerk hat einen goldnen Podenü" -- Armes
Volk! wahrhaftig, hier könnte man ernst werden, wenn's der Mühe verlohnte.
Und nun der rasende Beifall, der dem Blödsinne folgt! Beide Parteien finden
die Ansichten ganz vortrefflich, schmeicheln dem Gewerbestande auf die unverschäm¬
teste Weise. Natürlich -- der Mittelstand ist leider Gottes! bei uns neutraler
Boden, auf dem man nachher mit Geld und glatten Worten herumexperimentiren
kann. Vermag man den eigentlichen Kandidaten nicht durchzubringen, so ist ein
ehrlicher Meister noch immer besser als ein Andrer: wählt und! wir besorgen Euch
das Alles!" schallt es von beiden Seiten und der brave Mann steht ganz ver¬
blüfft da, daß Niemand an etwas anders denkt, als an sein Wohl. Wenn Ge¬
genseitigkeit in Perfidie und Egoismus rein wäscht von aller Schuld, so stehen
bei uns beide extreme Parteien frei von jedem Flecken da: Nichts, gar Nichts ha¬
ben sie sich vorzuwerfen. Doch hier hört der Scherz auf und fängt der Ekel an.

Da ist mir die leichte, windige Gestalt unendlich lieber, die jetzt auf die Tri¬
büne hopst. Sie zweifeln, ob es ein Schneider oder ein Barbier ist? Sehen
Sie die einseifende Handbewegung und Sie sind im Klaren! "Meine Herren!
Sie werden entschuldigen -- das ist es gerade nicht: ich will Ihnen aber sagen,
das Geld ist zu klein!" Alle erschrecken. Auf alle Interpellationen antwor¬
tet der kleine Mann immer nur mit schlauem Lächeln: "Glauben Sie mir, das
Geld ist zu klein!" Endlich platzt er mit seinem Geheimniß heraus: "Sehn Sie,
wenn der Thaler 40 Silbergroschen hätte! Wenn dann ein Reicher 30 Thaler
hat und ich bin ein armer Teufel, der blos 2 Thaler hat -- nun, so hätt' ich
doch wenigstens 80 Silbergroschen und jetzt hab' ich blos 60!" -- Die Nai¬
vetät des Borschlags erregte selbst in dieser Gesellschaft Sensation -- allein mein
Ritter von Becken ließ sich nicht verblüffen. "Aber, lieber Mann, für einmal Ra¬
siren erhalten Sie einen Sechser? nicht wahr?" fragte ihn zuletzt Jemand, um
der Scene ein Ende zu machen. "Ja, das krieg' ich -- das kann ich mit gutem
Gewissen sagen." "Nun seh'n Sie: da müßten Sie ja 80 Leute rasiren, ehe
Sie einen Thaler haben und jetzt bekommen Sie ihn schon von 60 zusammen,
Das wär' ja also Ihr eigner Schade." Der Barbier sann nach -- die helfende
Handbewegung ward immer heftiger -- endlich war ihm die Sache klar und mit
dem freundlichsten Gesichte sprang er wieder herunter, dem Gegner zurufend: "Da
haben Sie wieder Recht!" -- Nach diesen Märtyrern der socialen Frage kam ein
ächter Weißbierpolitiker, der unsere politische Lage in's Auge faßte und die ganze
Gutmüihigkeit und Ehrlichkeit eines geborenen Berliners besaß. Er mußte wohl
eine Größe sein unter den Staatsmännern des Bezirks; sein Name war schon
lange von verschiedenen Seiten her genannt, während er sich in seiner Ecke still
und zurückgezogen verhielt, bis er endlich dem immer lauter werdenden Ruf nicht
mehr zu widerstehen vermochte und die Tribune bestieg. Seinen Mund umspielte
"in eigenthümliches Lächeln, in welchem behäbige Selbstgenügsamkeit und zweifelnde


werden wieder sagen können: Handwerk hat einen goldnen Podenü" — Armes
Volk! wahrhaftig, hier könnte man ernst werden, wenn's der Mühe verlohnte.
Und nun der rasende Beifall, der dem Blödsinne folgt! Beide Parteien finden
die Ansichten ganz vortrefflich, schmeicheln dem Gewerbestande auf die unverschäm¬
teste Weise. Natürlich — der Mittelstand ist leider Gottes! bei uns neutraler
Boden, auf dem man nachher mit Geld und glatten Worten herumexperimentiren
kann. Vermag man den eigentlichen Kandidaten nicht durchzubringen, so ist ein
ehrlicher Meister noch immer besser als ein Andrer: wählt und! wir besorgen Euch
das Alles!" schallt es von beiden Seiten und der brave Mann steht ganz ver¬
blüfft da, daß Niemand an etwas anders denkt, als an sein Wohl. Wenn Ge¬
genseitigkeit in Perfidie und Egoismus rein wäscht von aller Schuld, so stehen
bei uns beide extreme Parteien frei von jedem Flecken da: Nichts, gar Nichts ha¬
ben sie sich vorzuwerfen. Doch hier hört der Scherz auf und fängt der Ekel an.

Da ist mir die leichte, windige Gestalt unendlich lieber, die jetzt auf die Tri¬
büne hopst. Sie zweifeln, ob es ein Schneider oder ein Barbier ist? Sehen
Sie die einseifende Handbewegung und Sie sind im Klaren! „Meine Herren!
Sie werden entschuldigen — das ist es gerade nicht: ich will Ihnen aber sagen,
das Geld ist zu klein!" Alle erschrecken. Auf alle Interpellationen antwor¬
tet der kleine Mann immer nur mit schlauem Lächeln: „Glauben Sie mir, das
Geld ist zu klein!" Endlich platzt er mit seinem Geheimniß heraus: „Sehn Sie,
wenn der Thaler 40 Silbergroschen hätte! Wenn dann ein Reicher 30 Thaler
hat und ich bin ein armer Teufel, der blos 2 Thaler hat — nun, so hätt' ich
doch wenigstens 80 Silbergroschen und jetzt hab' ich blos 60!" — Die Nai¬
vetät des Borschlags erregte selbst in dieser Gesellschaft Sensation — allein mein
Ritter von Becken ließ sich nicht verblüffen. „Aber, lieber Mann, für einmal Ra¬
siren erhalten Sie einen Sechser? nicht wahr?" fragte ihn zuletzt Jemand, um
der Scene ein Ende zu machen. „Ja, das krieg' ich — das kann ich mit gutem
Gewissen sagen." „Nun seh'n Sie: da müßten Sie ja 80 Leute rasiren, ehe
Sie einen Thaler haben und jetzt bekommen Sie ihn schon von 60 zusammen,
Das wär' ja also Ihr eigner Schade." Der Barbier sann nach — die helfende
Handbewegung ward immer heftiger — endlich war ihm die Sache klar und mit
dem freundlichsten Gesichte sprang er wieder herunter, dem Gegner zurufend: „Da
haben Sie wieder Recht!" — Nach diesen Märtyrern der socialen Frage kam ein
ächter Weißbierpolitiker, der unsere politische Lage in's Auge faßte und die ganze
Gutmüihigkeit und Ehrlichkeit eines geborenen Berliners besaß. Er mußte wohl
eine Größe sein unter den Staatsmännern des Bezirks; sein Name war schon
lange von verschiedenen Seiten her genannt, während er sich in seiner Ecke still
und zurückgezogen verhielt, bis er endlich dem immer lauter werdenden Ruf nicht
mehr zu widerstehen vermochte und die Tribune bestieg. Seinen Mund umspielte
«in eigenthümliches Lächeln, in welchem behäbige Selbstgenügsamkeit und zweifelnde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/198>, abgerufen am 23.07.2024.