Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.Versammlung ein, gar nickt zu wählen. "Haben die nächsten Kammern nur eine Nach wiederhergestellter Ruhe erhalten der Reihe nach mehre Handwerksmei¬ Versammlung ein, gar nickt zu wählen. „Haben die nächsten Kammern nur eine Nach wiederhergestellter Ruhe erhalten der Reihe nach mehre Handwerksmei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0197" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278185"/> <p xml:id="ID_615" prev="#ID_614"> Versammlung ein, gar nickt zu wählen. „Haben die nächsten Kammern nur eine<lb/> Spur von Ehrgefühl, so müssen sie die Berliner Deputaten sofort ausstoßen, weil<lb/> sie unter dem Martialgesctze ernannt sind." Der Präsident findet das ordnungs¬<lb/> widrig und die Urwähler haben keine Lust, sich ihre letzte Errungenschaft nehmen<lb/> zu lassen. — „Herr Obrist, Baron v. A. hat das Wort." — Steht es nnn<lb/> gleich seit Neujahr unzweifelhaft fest, daß „Mein Heer" vielfachen und vielfältigen<lb/> Ruhm sich erworben, so wäre es doch zu gewagt, ihm auch in der Beredsamkeit<lb/> die Palme vindiciren zu wollen. Der Herr Obrist sprach viel von Sr. Majestät,<lb/> ward zuletzt gerührt, erzählte wie seine Familie schon 200 Jahre in Berlin<lb/> wohne (d. h. ^ von der wahrscheinlichen Zeitdauer großer Reiche, wie Herr Las-<lb/> saulx zu Frankfurt berechne!) und wie er selber im Dienste des Königs oft trockne<lb/> Kartoffeln gegessen und sich Stiefel und Strümpfe zerrissen. Je melancholischer<lb/> „Mein Heer" ward, desto lärmender wurde die Heiterkeit des Publikums. Der<lb/> Obrist stieß zuletzt nnr noch einzelne unartikulirte Laute ans und blickte wüthend<lb/> um sich, ob denn Niemand da sei, dem er „Gewehr zur Attaque!" kommandiren<lb/> könne. Der Expolizeipräsident kam ihm zu Hilfe, machte aber das Uebel noch<lb/> ärger, indem er versicherte, Berlin habe viel gut zu machen gegen den König.<lb/> Der Spektakel hatte seinen Gipfel erreicht, zumal da einer der Urwähler die Ver¬<lb/> wirrung benutzte, um dem Präsidenten seinen Wassertopf zu eskamotireu. Endlich<lb/> verließen beide Redner die Tribune und durch Majoritätsbeschluß ward das Recht<lb/> auf besagte» Wassertopf jedem Urwähler zugesprochen, wogegen einer derselben<lb/> dem Präsidenten seine Dose sür die Dauer der Sitzung abtrat, da der würdige<lb/> Mann die seinige vergessen.</p><lb/> <p xml:id="ID_616" next="#ID_617"> Nach wiederhergestellter Ruhe erhalten der Reihe nach mehre Handwerksmei¬<lb/> ster das Wort. Ihr A! und O! ist Aushebung der Gewerbefreiheit und hohe<lb/> Schutzzölle gegen fremde Fabrikate: Handwerker und nur Handwerker müssen in<lb/> die Kammer! „Denn, meine Herren!" sagt ein Tischler gleichnißreich ir l-r Jung<lb/> „die Verfassung ist das Haus, das andere aber sind die Meubles und die kaun<lb/> kein Mensch besorgen, als der Tischler, der Schlosser, der Stellmacher u. s. w.<lb/> Darum Handwerker! und keine gelehrten Stubensitzer, keine Beamten, keine Bier-<lb/> hauöpolitiker!" — Ginge es nach dem Sinne dieser Herren, wir bekämen zwei<lb/> Kammern voll lauter Piepers. — Der folgende Stahlarbeiter geht tiefer auf die<lb/> Leiden der Gesellschaft ein: „Es liegt daran, daß wir zu viel ausländisches Pa¬<lb/> pier (?) im Laude haben, während unser schönes Geld sür Waaren und Rohma¬<lb/> terial in die Fremde spaziert." Geld und Reichthum siud den Leuten immer iden¬<lb/> tisch; nun aber hören Sie folgenden Schluß und staunen Sie! „Wir armen<lb/> Meister müssen unser Baarvcrmögen in's Ausland schicken, weil die hiesigen Hüt¬<lb/> tenwerke so schlecht sind, daß uns das Publikum Arbeiten aus solchen Stoffen<lb/> nicht abnehmen würde, es sei denn, daß — die Einfuhr fremder Waaren und<lb/> Rohmaterialien absolut verboten w ird. Dann bleibt das Gelb im Lande und wir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0197]
Versammlung ein, gar nickt zu wählen. „Haben die nächsten Kammern nur eine
Spur von Ehrgefühl, so müssen sie die Berliner Deputaten sofort ausstoßen, weil
sie unter dem Martialgesctze ernannt sind." Der Präsident findet das ordnungs¬
widrig und die Urwähler haben keine Lust, sich ihre letzte Errungenschaft nehmen
zu lassen. — „Herr Obrist, Baron v. A. hat das Wort." — Steht es nnn
gleich seit Neujahr unzweifelhaft fest, daß „Mein Heer" vielfachen und vielfältigen
Ruhm sich erworben, so wäre es doch zu gewagt, ihm auch in der Beredsamkeit
die Palme vindiciren zu wollen. Der Herr Obrist sprach viel von Sr. Majestät,
ward zuletzt gerührt, erzählte wie seine Familie schon 200 Jahre in Berlin
wohne (d. h. ^ von der wahrscheinlichen Zeitdauer großer Reiche, wie Herr Las-
saulx zu Frankfurt berechne!) und wie er selber im Dienste des Königs oft trockne
Kartoffeln gegessen und sich Stiefel und Strümpfe zerrissen. Je melancholischer
„Mein Heer" ward, desto lärmender wurde die Heiterkeit des Publikums. Der
Obrist stieß zuletzt nnr noch einzelne unartikulirte Laute ans und blickte wüthend
um sich, ob denn Niemand da sei, dem er „Gewehr zur Attaque!" kommandiren
könne. Der Expolizeipräsident kam ihm zu Hilfe, machte aber das Uebel noch
ärger, indem er versicherte, Berlin habe viel gut zu machen gegen den König.
Der Spektakel hatte seinen Gipfel erreicht, zumal da einer der Urwähler die Ver¬
wirrung benutzte, um dem Präsidenten seinen Wassertopf zu eskamotireu. Endlich
verließen beide Redner die Tribune und durch Majoritätsbeschluß ward das Recht
auf besagte» Wassertopf jedem Urwähler zugesprochen, wogegen einer derselben
dem Präsidenten seine Dose sür die Dauer der Sitzung abtrat, da der würdige
Mann die seinige vergessen.
Nach wiederhergestellter Ruhe erhalten der Reihe nach mehre Handwerksmei¬
ster das Wort. Ihr A! und O! ist Aushebung der Gewerbefreiheit und hohe
Schutzzölle gegen fremde Fabrikate: Handwerker und nur Handwerker müssen in
die Kammer! „Denn, meine Herren!" sagt ein Tischler gleichnißreich ir l-r Jung
„die Verfassung ist das Haus, das andere aber sind die Meubles und die kaun
kein Mensch besorgen, als der Tischler, der Schlosser, der Stellmacher u. s. w.
Darum Handwerker! und keine gelehrten Stubensitzer, keine Beamten, keine Bier-
hauöpolitiker!" — Ginge es nach dem Sinne dieser Herren, wir bekämen zwei
Kammern voll lauter Piepers. — Der folgende Stahlarbeiter geht tiefer auf die
Leiden der Gesellschaft ein: „Es liegt daran, daß wir zu viel ausländisches Pa¬
pier (?) im Laude haben, während unser schönes Geld sür Waaren und Rohma¬
terial in die Fremde spaziert." Geld und Reichthum siud den Leuten immer iden¬
tisch; nun aber hören Sie folgenden Schluß und staunen Sie! „Wir armen
Meister müssen unser Baarvcrmögen in's Ausland schicken, weil die hiesigen Hüt¬
tenwerke so schlecht sind, daß uns das Publikum Arbeiten aus solchen Stoffen
nicht abnehmen würde, es sei denn, daß — die Einfuhr fremder Waaren und
Rohmaterialien absolut verboten w ird. Dann bleibt das Gelb im Lande und wir
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