Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mit dem Gewehr schleppten. Doch folgen Sie mir in einige Sitzungen ! ich will
Ihnen ein getreuer Mephisto sein. Sprechen darf ich dort überdies so wenig als
er, obwohl ein richtiger Urwähler. Denn Herr Hinkeldey duldet mich mir bis
auf Weiteres hier, und Denunziantcnwesen, diese neue Novembererrungenschaft,
hat eine nie geahnte Blüthe erreicht. Jede bedenkliche Rede liegt noch vor dem
Schluß der Versaimnlnng wohlaufgchoben bei einem hohen Präsidium, und sofor¬
tige Ausweisung, Dienstentlassung :c. sind die unausbleiblichen Folgen jedes "nicht
heilsamen Einflusses" auf die Wahlen. So ward ein armer Canzleibote aus
süßen Träumen von den schönen spvecti, den er am vergangenen Abend gehalten,
dnrch die unangenehme Botschaft erweckt, der Herr Stadtgcrichtsdircctor habe ihn
seines Amtes enthoben. Also s-locke linAuig! Reden ist Silber, Schweigen ist
Gold -- wie alle Solone, bis zu Baumstark herab, versichern, obwohl der letztere
diese Wahrheit uoch niemals practisch bestätigt hat.

Es war ein düsteres Schulzimmer, geräumig genug, um circa 80 unglück¬
liche Geschöpfe auf einmal zu erziehen; der Magister steht kopfschüttelnd in einer
Ecke, leicht kenntlich an dem ärmlichen Blicke, mit dem er all die Alfanzereien
mißt, durch die man diese heiligen Hallen entweiht. Auf dem Katheder, wo er
sonst den Bakel schwingt, sitzt ein behäbiger Bezirksvorsteher, einen gewaltigen
Krug mit Wasser zu seiner Linken, eine Glocke zur Rechten. An der Thüre kauert
die hohe Polizei, wahrscheinlich um die Versammlung gegen irgend eine noch nn-
enthüllte demokratische Verschwörung zu schützen. Ans den Bänken haben sich die
Urwähler in dichten Kreisen geschaart, im ganzen keine unwürdigen Stellvertreter
der sonstigen Inhaber dieser Plätze und ein handgreiflicher Beweis dafür, was
hier erzogen wird. Die vordersten Bänke nehmen Beamte ein, darunter ein ehe¬
maliger Polizeipräsident, einige in jedem Bezirk unvermeidliche Geheimräthe, ein
paar Offiziere und Soldaten -- lauter entschiedene Reactionärs, wollt' ich sagen
Constitutivnelle von gestern. Sie sind jetzt die einzigen Liberalen; denn wer nur
noch von Opposition spricht, der ist ein rother Republikaner. Und doch sind wir
die Alten und sie sind die Alten -- Mephisto lispelt, es ist Alles beim Alten.
Hinter ihnen die kleineren Größen, meistens radicales Völkchen, nur vereinzelt
einige Gcwerbtreibeude darunter mit verbissenem Ingrimm auf den Gesichtern; sie
wollen Ruhe! Ruhe! haben für ihr Handwerk und die Demokraten an den Gal¬
gen. An deu Ofen lehnt sich ein Artillcrieobrist;' mit verächtlichem Achselzucken
sieht er herab auf das Geschlecht der Urwähler und rechtet in seinem Sinne mit
Wrangel, der einen Mann von seinen Jahren noch zu solchen Narrenspossen com-
mandirt. Der Präsident eröffnet die Sitzung mit einigen unpassenden Worten,
in denen er natürlich einen "hochedlen Magistrat" wegen verschiedener Nachlässig¬
keiten gebührend heruntermacht; er ist seit Krausuick's Zeiten der stehende Sün¬
denbock für Alles. ,

Zuerst besteigt ein kleiner, fixer Sattlermeister die Tribune und fordert die


mit dem Gewehr schleppten. Doch folgen Sie mir in einige Sitzungen ! ich will
Ihnen ein getreuer Mephisto sein. Sprechen darf ich dort überdies so wenig als
er, obwohl ein richtiger Urwähler. Denn Herr Hinkeldey duldet mich mir bis
auf Weiteres hier, und Denunziantcnwesen, diese neue Novembererrungenschaft,
hat eine nie geahnte Blüthe erreicht. Jede bedenkliche Rede liegt noch vor dem
Schluß der Versaimnlnng wohlaufgchoben bei einem hohen Präsidium, und sofor¬
tige Ausweisung, Dienstentlassung :c. sind die unausbleiblichen Folgen jedes „nicht
heilsamen Einflusses" auf die Wahlen. So ward ein armer Canzleibote aus
süßen Träumen von den schönen spvecti, den er am vergangenen Abend gehalten,
dnrch die unangenehme Botschaft erweckt, der Herr Stadtgcrichtsdircctor habe ihn
seines Amtes enthoben. Also s-locke linAuig! Reden ist Silber, Schweigen ist
Gold — wie alle Solone, bis zu Baumstark herab, versichern, obwohl der letztere
diese Wahrheit uoch niemals practisch bestätigt hat.

Es war ein düsteres Schulzimmer, geräumig genug, um circa 80 unglück¬
liche Geschöpfe auf einmal zu erziehen; der Magister steht kopfschüttelnd in einer
Ecke, leicht kenntlich an dem ärmlichen Blicke, mit dem er all die Alfanzereien
mißt, durch die man diese heiligen Hallen entweiht. Auf dem Katheder, wo er
sonst den Bakel schwingt, sitzt ein behäbiger Bezirksvorsteher, einen gewaltigen
Krug mit Wasser zu seiner Linken, eine Glocke zur Rechten. An der Thüre kauert
die hohe Polizei, wahrscheinlich um die Versammlung gegen irgend eine noch nn-
enthüllte demokratische Verschwörung zu schützen. Ans den Bänken haben sich die
Urwähler in dichten Kreisen geschaart, im ganzen keine unwürdigen Stellvertreter
der sonstigen Inhaber dieser Plätze und ein handgreiflicher Beweis dafür, was
hier erzogen wird. Die vordersten Bänke nehmen Beamte ein, darunter ein ehe¬
maliger Polizeipräsident, einige in jedem Bezirk unvermeidliche Geheimräthe, ein
paar Offiziere und Soldaten — lauter entschiedene Reactionärs, wollt' ich sagen
Constitutivnelle von gestern. Sie sind jetzt die einzigen Liberalen; denn wer nur
noch von Opposition spricht, der ist ein rother Republikaner. Und doch sind wir
die Alten und sie sind die Alten — Mephisto lispelt, es ist Alles beim Alten.
Hinter ihnen die kleineren Größen, meistens radicales Völkchen, nur vereinzelt
einige Gcwerbtreibeude darunter mit verbissenem Ingrimm auf den Gesichtern; sie
wollen Ruhe! Ruhe! haben für ihr Handwerk und die Demokraten an den Gal¬
gen. An deu Ofen lehnt sich ein Artillcrieobrist;' mit verächtlichem Achselzucken
sieht er herab auf das Geschlecht der Urwähler und rechtet in seinem Sinne mit
Wrangel, der einen Mann von seinen Jahren noch zu solchen Narrenspossen com-
mandirt. Der Präsident eröffnet die Sitzung mit einigen unpassenden Worten,
in denen er natürlich einen „hochedlen Magistrat" wegen verschiedener Nachlässig¬
keiten gebührend heruntermacht; er ist seit Krausuick's Zeiten der stehende Sün¬
denbock für Alles. ,

Zuerst besteigt ein kleiner, fixer Sattlermeister die Tribune und fordert die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278184"/>
          <p xml:id="ID_612" prev="#ID_611"> mit dem Gewehr schleppten. Doch folgen Sie mir in einige Sitzungen ! ich will<lb/>
Ihnen ein getreuer Mephisto sein. Sprechen darf ich dort überdies so wenig als<lb/>
er, obwohl ein richtiger Urwähler. Denn Herr Hinkeldey duldet mich mir bis<lb/>
auf Weiteres hier, und Denunziantcnwesen, diese neue Novembererrungenschaft,<lb/>
hat eine nie geahnte Blüthe erreicht. Jede bedenkliche Rede liegt noch vor dem<lb/>
Schluß der Versaimnlnng wohlaufgchoben bei einem hohen Präsidium, und sofor¬<lb/>
tige Ausweisung, Dienstentlassung :c. sind die unausbleiblichen Folgen jedes &#x201E;nicht<lb/>
heilsamen Einflusses" auf die Wahlen. So ward ein armer Canzleibote aus<lb/>
süßen Träumen von den schönen spvecti, den er am vergangenen Abend gehalten,<lb/>
dnrch die unangenehme Botschaft erweckt, der Herr Stadtgcrichtsdircctor habe ihn<lb/>
seines Amtes enthoben. Also s-locke linAuig! Reden ist Silber, Schweigen ist<lb/>
Gold &#x2014; wie alle Solone, bis zu Baumstark herab, versichern, obwohl der letztere<lb/>
diese Wahrheit uoch niemals practisch bestätigt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_613"> Es war ein düsteres Schulzimmer, geräumig genug, um circa 80 unglück¬<lb/>
liche Geschöpfe auf einmal zu erziehen; der Magister steht kopfschüttelnd in einer<lb/>
Ecke, leicht kenntlich an dem ärmlichen Blicke, mit dem er all die Alfanzereien<lb/>
mißt, durch die man diese heiligen Hallen entweiht. Auf dem Katheder, wo er<lb/>
sonst den Bakel schwingt, sitzt ein behäbiger Bezirksvorsteher, einen gewaltigen<lb/>
Krug mit Wasser zu seiner Linken, eine Glocke zur Rechten. An der Thüre kauert<lb/>
die hohe Polizei, wahrscheinlich um die Versammlung gegen irgend eine noch nn-<lb/>
enthüllte demokratische Verschwörung zu schützen. Ans den Bänken haben sich die<lb/>
Urwähler in dichten Kreisen geschaart, im ganzen keine unwürdigen Stellvertreter<lb/>
der sonstigen Inhaber dieser Plätze und ein handgreiflicher Beweis dafür, was<lb/>
hier erzogen wird. Die vordersten Bänke nehmen Beamte ein, darunter ein ehe¬<lb/>
maliger Polizeipräsident, einige in jedem Bezirk unvermeidliche Geheimräthe, ein<lb/>
paar Offiziere und Soldaten &#x2014; lauter entschiedene Reactionärs, wollt' ich sagen<lb/>
Constitutivnelle von gestern. Sie sind jetzt die einzigen Liberalen; denn wer nur<lb/>
noch von Opposition spricht, der ist ein rother Republikaner. Und doch sind wir<lb/>
die Alten und sie sind die Alten &#x2014; Mephisto lispelt, es ist Alles beim Alten.<lb/>
Hinter ihnen die kleineren Größen, meistens radicales Völkchen, nur vereinzelt<lb/>
einige Gcwerbtreibeude darunter mit verbissenem Ingrimm auf den Gesichtern; sie<lb/>
wollen Ruhe! Ruhe! haben für ihr Handwerk und die Demokraten an den Gal¬<lb/>
gen. An deu Ofen lehnt sich ein Artillcrieobrist;' mit verächtlichem Achselzucken<lb/>
sieht er herab auf das Geschlecht der Urwähler und rechtet in seinem Sinne mit<lb/>
Wrangel, der einen Mann von seinen Jahren noch zu solchen Narrenspossen com-<lb/>
mandirt. Der Präsident eröffnet die Sitzung mit einigen unpassenden Worten,<lb/>
in denen er natürlich einen &#x201E;hochedlen Magistrat" wegen verschiedener Nachlässig¬<lb/>
keiten gebührend heruntermacht; er ist seit Krausuick's Zeiten der stehende Sün¬<lb/>
denbock für Alles. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_614" next="#ID_615"> Zuerst besteigt ein kleiner, fixer Sattlermeister die Tribune und fordert die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0196] mit dem Gewehr schleppten. Doch folgen Sie mir in einige Sitzungen ! ich will Ihnen ein getreuer Mephisto sein. Sprechen darf ich dort überdies so wenig als er, obwohl ein richtiger Urwähler. Denn Herr Hinkeldey duldet mich mir bis auf Weiteres hier, und Denunziantcnwesen, diese neue Novembererrungenschaft, hat eine nie geahnte Blüthe erreicht. Jede bedenkliche Rede liegt noch vor dem Schluß der Versaimnlnng wohlaufgchoben bei einem hohen Präsidium, und sofor¬ tige Ausweisung, Dienstentlassung :c. sind die unausbleiblichen Folgen jedes „nicht heilsamen Einflusses" auf die Wahlen. So ward ein armer Canzleibote aus süßen Träumen von den schönen spvecti, den er am vergangenen Abend gehalten, dnrch die unangenehme Botschaft erweckt, der Herr Stadtgcrichtsdircctor habe ihn seines Amtes enthoben. Also s-locke linAuig! Reden ist Silber, Schweigen ist Gold — wie alle Solone, bis zu Baumstark herab, versichern, obwohl der letztere diese Wahrheit uoch niemals practisch bestätigt hat. Es war ein düsteres Schulzimmer, geräumig genug, um circa 80 unglück¬ liche Geschöpfe auf einmal zu erziehen; der Magister steht kopfschüttelnd in einer Ecke, leicht kenntlich an dem ärmlichen Blicke, mit dem er all die Alfanzereien mißt, durch die man diese heiligen Hallen entweiht. Auf dem Katheder, wo er sonst den Bakel schwingt, sitzt ein behäbiger Bezirksvorsteher, einen gewaltigen Krug mit Wasser zu seiner Linken, eine Glocke zur Rechten. An der Thüre kauert die hohe Polizei, wahrscheinlich um die Versammlung gegen irgend eine noch nn- enthüllte demokratische Verschwörung zu schützen. Ans den Bänken haben sich die Urwähler in dichten Kreisen geschaart, im ganzen keine unwürdigen Stellvertreter der sonstigen Inhaber dieser Plätze und ein handgreiflicher Beweis dafür, was hier erzogen wird. Die vordersten Bänke nehmen Beamte ein, darunter ein ehe¬ maliger Polizeipräsident, einige in jedem Bezirk unvermeidliche Geheimräthe, ein paar Offiziere und Soldaten — lauter entschiedene Reactionärs, wollt' ich sagen Constitutivnelle von gestern. Sie sind jetzt die einzigen Liberalen; denn wer nur noch von Opposition spricht, der ist ein rother Republikaner. Und doch sind wir die Alten und sie sind die Alten — Mephisto lispelt, es ist Alles beim Alten. Hinter ihnen die kleineren Größen, meistens radicales Völkchen, nur vereinzelt einige Gcwerbtreibeude darunter mit verbissenem Ingrimm auf den Gesichtern; sie wollen Ruhe! Ruhe! haben für ihr Handwerk und die Demokraten an den Gal¬ gen. An deu Ofen lehnt sich ein Artillcrieobrist;' mit verächtlichem Achselzucken sieht er herab auf das Geschlecht der Urwähler und rechtet in seinem Sinne mit Wrangel, der einen Mann von seinen Jahren noch zu solchen Narrenspossen com- mandirt. Der Präsident eröffnet die Sitzung mit einigen unpassenden Worten, in denen er natürlich einen „hochedlen Magistrat" wegen verschiedener Nachlässig¬ keiten gebührend heruntermacht; er ist seit Krausuick's Zeiten der stehende Sün¬ denbock für Alles. , Zuerst besteigt ein kleiner, fixer Sattlermeister die Tribune und fordert die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/196
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/196>, abgerufen am 23.07.2024.